pwa_262.001 die Kleider Stück für Stück angelegt werden: er weiss das an sich pwa_262.002 Unbelebte und Unbewegte mit in den belebten und bewegten Gang der pwa_262.003 Ereignisse hinein zu ziehen. So sollte es denn auch die prosaische pwa_262.004 Epopöie, der Roman, halten. Nicht aber so Walter Scott: er beschreibt pwa_262.005 in allen solchen Fällen wirklich nur, er lässt das Ruhende in seiner pwa_262.006 Ruhe, er schaut das, was in der Wirklichkeit neben einander ist, auch pwa_262.007 neben einander an, obgleich er es doch nur nach einander vorführen pwa_262.008 kann, es also auch in einem historischen Nacheinander auffassen sollte, pwa_262.009 er bleibt stille stehn, geht nicht vorwärts.
pwa_262.010 Von einer Art didactisch erzählender Prosa, die eigentlich als pwa_262.011 organisches Glied in Werke der Geschichtsschreibung gehört, die aber pwa_262.012 auch öfters eine selbständige Geltung für sich in Anspruch nimmt, pwa_262.013 sprechen wir noch zuletzt besonders. Es ist diess die sogenannte pwa_262.014 Characteristik. Einem Historiker ist es oft zweckdienlich, den Character pwa_262.015 irgend einer ausgezeichneten Person, deren Geschichte er erzählt pwa_262.016 hat oder erzählen will, noch zuletzt oder vorher zum Gegenstande pwa_262.017 einer besonderen Darstellung zu machen, damit derselbe durch diese pwa_262.018 psychologische Zusammenfassung in ein noch helleres Licht trete. pwa_262.019 Denn vielleicht gestattet ihm der geringe Umfang oder die Bestimmung pwa_262.020 seines Werkes nicht, die Geschichte jener Person so umständlich zu erzählen, pwa_262.021 dass aus den erzählten Thaten und Reden der Character in genügender pwa_262.022 Deutlichkeit hervorleuchtete, oder er hat auch vielleicht eine solche pwa_262.023 Fülle thatsächlicher Einzelheiten zu berichten, dass er fürchten muss, der pwa_262.024 Character werde dadurch eher verdunkelt. Dann ist ihm, dem Historiker, pwa_262.025 diese Aushilfe, eine abgelöste, besondere Characteristik als Einleitung pwa_262.026 oder als Recapitulation am Schlusse, wohl zu erlauben, während in pwa_262.027 einem Roman dergleichen von vorn herein nur tadelhaft wäre: denn pwa_262.028 der Roman soll einmal, das ist ja ein hauptsächlicher Zug seiner pwa_262.029 Eigenthümlichkeit, durch Thaten und Reden characterisieren, nicht pwa_262.030 ausserhalb derselben. Eine solche Characteristik gehört nun wesentlich pwa_262.031 auch mit zur Beschreibung: denn auch hier ist der Gegenstand pwa_262.032 der Darstellung ein unbewegt verweilender: der Character ist ja der pwa_262.033 eine unveränderlich ruhende Grund der vorüberfliessenden und bunt pwa_262.034 wechselnden Thaten und Begebenheiten. Soll nun aber diese Darstellung pwa_262.035 zu dem historischen Wesen der übrigen Theile des Werkes pwa_262.036 passen, so muss auch sie, muss auch die Characteristik eine historische pwa_262.037 Farbe annehmen. Und das ist gar nicht so schwer, denn einerseits pwa_262.038 gliedert sich jede wohlgehaltene psychologische Entwickelung von pwa_262.039 selbst in solcher Weise, entwickelt sich in einer causalen Reihenfolge, pwa_262.040 und sodann muss hin und wieder auf bezeichnende und beweisende pwa_262.041 Begebenheiten aus dem Leben der characterisierten Person Bezug
pwa_262.001 die Kleider Stück für Stück angelegt werden: er weiss das an sich pwa_262.002 Unbelebte und Unbewegte mit in den belebten und bewegten Gang der pwa_262.003 Ereignisse hinein zu ziehen. So sollte es denn auch die prosaische pwa_262.004 Epopöie, der Roman, halten. Nicht aber so Walter Scott: er beschreibt pwa_262.005 in allen solchen Fällen wirklich nur, er lässt das Ruhende in seiner pwa_262.006 Ruhe, er schaut das, was in der Wirklichkeit neben einander ist, auch pwa_262.007 neben einander an, obgleich er es doch nur nach einander vorführen pwa_262.008 kann, es also auch in einem historischen Nacheinander auffassen sollte, pwa_262.009 er bleibt stille stehn, geht nicht vorwärts.
pwa_262.010 Von einer Art didactisch erzählender Prosa, die eigentlich als pwa_262.011 organisches Glied in Werke der Geschichtsschreibung gehört, die aber pwa_262.012 auch öfters eine selbständige Geltung für sich in Anspruch nimmt, pwa_262.013 sprechen wir noch zuletzt besonders. Es ist diess die sogenannte pwa_262.014 Characteristik. Einem Historiker ist es oft zweckdienlich, den Character pwa_262.015 irgend einer ausgezeichneten Person, deren Geschichte er erzählt pwa_262.016 hat oder erzählen will, noch zuletzt oder vorher zum Gegenstande pwa_262.017 einer besonderen Darstellung zu machen, damit derselbe durch diese pwa_262.018 psychologische Zusammenfassung in ein noch helleres Licht trete. pwa_262.019 Denn vielleicht gestattet ihm der geringe Umfang oder die Bestimmung pwa_262.020 seines Werkes nicht, die Geschichte jener Person so umständlich zu erzählen, pwa_262.021 dass aus den erzählten Thaten und Reden der Character in genügender pwa_262.022 Deutlichkeit hervorleuchtete, oder er hat auch vielleicht eine solche pwa_262.023 Fülle thatsächlicher Einzelheiten zu berichten, dass er fürchten muss, der pwa_262.024 Character werde dadurch eher verdunkelt. Dann ist ihm, dem Historiker, pwa_262.025 diese Aushilfe, eine abgelöste, besondere Characteristik als Einleitung pwa_262.026 oder als Recapitulation am Schlusse, wohl zu erlauben, während in pwa_262.027 einem Roman dergleichen von vorn herein nur tadelhaft wäre: denn pwa_262.028 der Roman soll einmal, das ist ja ein hauptsächlicher Zug seiner pwa_262.029 Eigenthümlichkeit, durch Thaten und Reden characterisieren, nicht pwa_262.030 ausserhalb derselben. Eine solche Characteristik gehört nun wesentlich pwa_262.031 auch mit zur Beschreibung: denn auch hier ist der Gegenstand pwa_262.032 der Darstellung ein unbewegt verweilender: der Character ist ja der pwa_262.033 eine unveränderlich ruhende Grund der vorüberfliessenden und bunt pwa_262.034 wechselnden Thaten und Begebenheiten. Soll nun aber diese Darstellung pwa_262.035 zu dem historischen Wesen der übrigen Theile des Werkes pwa_262.036 passen, so muss auch sie, muss auch die Characteristik eine historische pwa_262.037 Farbe annehmen. Und das ist gar nicht so schwer, denn einerseits pwa_262.038 gliedert sich jede wohlgehaltene psychologische Entwickelung von pwa_262.039 selbst in solcher Weise, entwickelt sich in einer causalen Reihenfolge, pwa_262.040 und sodann muss hin und wieder auf bezeichnende und beweisende pwa_262.041 Begebenheiten aus dem Leben der characterisierten Person Bezug
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die Kleider Stück für Stück angelegt werden: er weiss das an sich pwa_262.002
Unbelebte und Unbewegte mit in den belebten und bewegten Gang der pwa_262.003
Ereignisse hinein zu ziehen. So sollte es denn auch die prosaische pwa_262.004
Epopöie, der Roman, halten. Nicht aber so Walter Scott: er beschreibt pwa_262.005
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neben einander an, obgleich er es doch nur nach einander vorführen pwa_262.008
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er bleibt stille stehn, geht nicht vorwärts.
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Von einer Art didactisch erzählender Prosa, die eigentlich als pwa_262.011
organisches Glied in Werke der Geschichtsschreibung gehört, die aber pwa_262.012
auch öfters eine selbständige Geltung für sich in Anspruch nimmt, pwa_262.013
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Characteristik. Einem Historiker ist es oft zweckdienlich, den Character pwa_262.015
irgend einer ausgezeichneten Person, deren Geschichte er erzählt pwa_262.016
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psychologische Zusammenfassung in ein noch helleres Licht trete. pwa_262.019
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selbst in solcher Weise, entwickelt sich in einer causalen Reihenfolge, pwa_262.040
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Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873, S. 262. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wackernagel_poetik_1873/280>, abgerufen am 22.11.2024.
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