Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873pwa_334.001 1 pwa_334.040
Grimm, Wörterb. 1, 158. pwa_334.001 1 pwa_334.040
Grimm, Wörterb. 1, 158. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0352" n="334"/><lb n="pwa_334.001"/> zu einer grösseren, jetzt zu einer geringeren Anzahl fremder Kunstausdrücke <lb n="pwa_334.002"/> zurückgekehrt. Wir können einmal den ganzen Gang und <lb n="pwa_334.003"/> Ursprung, den unsere wissenschaftliche Bildung genommen hat, nicht <lb n="pwa_334.004"/> ungeschehen machen und die Grundlagen, die sie in Rom und in <lb n="pwa_334.005"/> Griechenland und in Frankreich hat, nicht aufheben. Und erwägt <lb n="pwa_334.006"/> man die Sache nur unbefangen, so sieht man alsbald, wie nöthig und <lb n="pwa_334.007"/> unentbehrlich grade für die Deutlichkeit der Belehrung der Gebrauch <lb n="pwa_334.008"/> fremder Wörter ist. Die abstracten Dinge und Verhältnisse, mit denen <lb n="pwa_334.009"/> es die didactische Prosa zu thun hat, verlangen Benennungen, die <lb n="pwa_334.010"/> mehr blosse Zeichen als wirkliche Namen sind, verlangen blosse <lb n="pwa_334.011"/> Zeichen, unter denen man den Begriff nach Belieben verengern und <lb n="pwa_334.012"/> erweitern kann, nicht aber wirkliche Namen, deren Grenzen sich nicht <lb n="pwa_334.013"/> so willkürlich ausdehnen und zusammenziehen lassen, verlangen nur <lb n="pwa_334.014"/> gleichsam leere Gefässe, in die der Sprechende Alles hineinlegen kann, <lb n="pwa_334.015"/> was er will, nicht aber solche, die an sich selber schon gefüllt sind, <lb n="pwa_334.016"/> und wirkliche Namen sind gefüllte Gefässe. Die meisten deutschen <lb n="pwa_334.017"/> Benennungen jener abstracten Dinge sind für das, was sie ausdrücken <lb n="pwa_334.018"/> sollen, immer noch zu concret, sagen bald mehr, als sie sagen sollen, <lb n="pwa_334.019"/> bald weniger, oder sagen es schief und mit störenden sinnlichen Seitenbeziehungen: <lb n="pwa_334.020"/> das Alles nur, weil man sich ihres etymologischen <lb n="pwa_334.021"/> Ursprunges und ihrer anderweitigen, mehr eigentlichen und sinnlichen <lb n="pwa_334.022"/> Bedeutung immer noch zu deutlich bewusst ist. Nicht so die fremden <lb n="pwa_334.023"/> Worte: hier fällt diess lebhafte etymologische Bewusstsein fort, und <lb n="pwa_334.024"/> wir kennen sie in keiner anderen Anwendung als in dieser abstracten. <lb n="pwa_334.025"/> Nehmen wir z. B. eben das Wort <hi rendition="#i">abstract.</hi> Behält man diess in seiner <lb n="pwa_334.026"/> Fremdheit bei, so weiss gleich ein Jeder, was er sich dabei zu denken <lb n="pwa_334.027"/> habe, eben weil er sich etymologisch genommen nichts mehr <lb n="pwa_334.028"/> dabei denkt, weil es bloss ein ausgesprochenes Zeichen ist, und weil <lb n="pwa_334.029"/> es zugleich möglich macht, dass man je nach dem philosophischen <lb n="pwa_334.030"/> System etwas Anderes dabei denke. Sagt man aber, wie zuerst Leibnitz <lb n="pwa_334.031"/> hat wollen,<note xml:id="pwa_334_1" place="foot" n="1"><lb n="pwa_334.040"/> Grimm, Wörterb. 1, 158.</note> zu deutsch <hi rendition="#i">abgezogen,</hi> so muss jeden Unbefangenen die <lb n="pwa_334.032"/> Willkür verletzen, die man hier der Sprache anthut, und er wird eher <lb n="pwa_334.033"/> sinnlicher Weise an abgezogene Wasser und abgezogene Thiere denken <lb n="pwa_334.034"/> als an abstracte Begriffe. Oder ein Beispiel aus der Grammatik: Viele <lb n="pwa_334.035"/> haben sich schon an den Benennungen <hi rendition="#i">Nominativ, Genitiv</hi> u. s. w. <lb n="pwa_334.036"/> gestossen und haben dafür deutsche auf bringen wollen; die Einen haben <lb n="pwa_334.037"/> <hi rendition="#i">Nennfall, Zeugefall, Gebefall</hi> u. s. f. gesagt, die Andern <hi rendition="#i">erster, zweiter, <lb n="pwa_334.038"/> dritter Fall</hi> u. s. f., wieder Andere <hi rendition="#i">Werfall, Wesfall, Wemfall</hi> u. s. f., <lb n="pwa_334.039"/> Andere noch anders: aber alle deutschen Namen werden zum mindesten </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [334/0352]
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zu einer grösseren, jetzt zu einer geringeren Anzahl fremder Kunstausdrücke pwa_334.002
zurückgekehrt. Wir können einmal den ganzen Gang und pwa_334.003
Ursprung, den unsere wissenschaftliche Bildung genommen hat, nicht pwa_334.004
ungeschehen machen und die Grundlagen, die sie in Rom und in pwa_334.005
Griechenland und in Frankreich hat, nicht aufheben. Und erwägt pwa_334.006
man die Sache nur unbefangen, so sieht man alsbald, wie nöthig und pwa_334.007
unentbehrlich grade für die Deutlichkeit der Belehrung der Gebrauch pwa_334.008
fremder Wörter ist. Die abstracten Dinge und Verhältnisse, mit denen pwa_334.009
es die didactische Prosa zu thun hat, verlangen Benennungen, die pwa_334.010
mehr blosse Zeichen als wirkliche Namen sind, verlangen blosse pwa_334.011
Zeichen, unter denen man den Begriff nach Belieben verengern und pwa_334.012
erweitern kann, nicht aber wirkliche Namen, deren Grenzen sich nicht pwa_334.013
so willkürlich ausdehnen und zusammenziehen lassen, verlangen nur pwa_334.014
gleichsam leere Gefässe, in die der Sprechende Alles hineinlegen kann, pwa_334.015
was er will, nicht aber solche, die an sich selber schon gefüllt sind, pwa_334.016
und wirkliche Namen sind gefüllte Gefässe. Die meisten deutschen pwa_334.017
Benennungen jener abstracten Dinge sind für das, was sie ausdrücken pwa_334.018
sollen, immer noch zu concret, sagen bald mehr, als sie sagen sollen, pwa_334.019
bald weniger, oder sagen es schief und mit störenden sinnlichen Seitenbeziehungen: pwa_334.020
das Alles nur, weil man sich ihres etymologischen pwa_334.021
Ursprunges und ihrer anderweitigen, mehr eigentlichen und sinnlichen pwa_334.022
Bedeutung immer noch zu deutlich bewusst ist. Nicht so die fremden pwa_334.023
Worte: hier fällt diess lebhafte etymologische Bewusstsein fort, und pwa_334.024
wir kennen sie in keiner anderen Anwendung als in dieser abstracten. pwa_334.025
Nehmen wir z. B. eben das Wort abstract. Behält man diess in seiner pwa_334.026
Fremdheit bei, so weiss gleich ein Jeder, was er sich dabei zu denken pwa_334.027
habe, eben weil er sich etymologisch genommen nichts mehr pwa_334.028
dabei denkt, weil es bloss ein ausgesprochenes Zeichen ist, und weil pwa_334.029
es zugleich möglich macht, dass man je nach dem philosophischen pwa_334.030
System etwas Anderes dabei denke. Sagt man aber, wie zuerst Leibnitz pwa_334.031
hat wollen, 1 zu deutsch abgezogen, so muss jeden Unbefangenen die pwa_334.032
Willkür verletzen, die man hier der Sprache anthut, und er wird eher pwa_334.033
sinnlicher Weise an abgezogene Wasser und abgezogene Thiere denken pwa_334.034
als an abstracte Begriffe. Oder ein Beispiel aus der Grammatik: Viele pwa_334.035
haben sich schon an den Benennungen Nominativ, Genitiv u. s. w. pwa_334.036
gestossen und haben dafür deutsche auf bringen wollen; die Einen haben pwa_334.037
Nennfall, Zeugefall, Gebefall u. s. f. gesagt, die Andern erster, zweiter, pwa_334.038
dritter Fall u. s. f., wieder Andere Werfall, Wesfall, Wemfall u. s. f., pwa_334.039
Andere noch anders: aber alle deutschen Namen werden zum mindesten
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Grimm, Wörterb. 1, 158.
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