Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873pwa_336.001 pwa_336.011 pwa_336.001 pwa_336.011 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0354" n="336"/><lb n="pwa_336.001"/> unsrem Volk eigenthümlichen Begriffe und ihrer Namen hinausliegen. <lb n="pwa_336.002"/> Da muss denn der Geschichtsschreiber mit der fremden Seele auch <lb n="pwa_336.003"/> das fremde Wort herübernehmen; sei es auch etymologisch unverstanden, <lb n="pwa_336.004"/> sei es auch gleich jenen Fremdworten der lehrhaften Prosa ein <lb n="pwa_336.005"/> blosses Zeichen, es wird immer deutlicher sein, als jeder Versuch einer <lb n="pwa_336.006"/> Verdeutschung, und als gar solche Verdeutschungen, die auf eine <lb n="pwa_336.007"/> schiefe und irre leitende Weise fremde und einheimische, antike und <lb n="pwa_336.008"/> moderne Begriffe in Eins zu schmelzen suchen, wie wenn man z. B. <lb n="pwa_336.009"/> von einem Bürgermeister Kikero spricht, wo der römische Consul <lb n="pwa_336.010"/> Cicero gemeint ist.</p> <p><lb n="pwa_336.011"/> Es hat sich also die lehrhafte Prosa und die beschreibende und <lb n="pwa_336.012"/> die geschichtliche gar wohl ausländischer, meist lateinischer und griechischer <lb n="pwa_336.013"/> Worte zu bedienen für solche Begriffe, wofür die einheimische <lb n="pwa_336.014"/> Sprache entweder gar keine besitzt, oder unzulängliche und dadurch <lb n="pwa_336.015"/> undeutliche. Wo aber der Deutsche selbst den Begriff und selbst das <lb n="pwa_336.016"/> Wort dafür hat, verdient diess natürlich der Deutlichkeit wegen den <lb n="pwa_336.017"/> Vorzug vor jedem fremden. In solchen Fällen verschafft sich auch <lb n="pwa_336.018"/> die Sprache früher oder später selbst ihr Recht. Bekanntlich gab es <lb n="pwa_336.019"/> Zeiten, wo es in Deutschland für zierlich galt, seine Rede mit bunten <lb n="pwa_336.020"/> Fetzen aus den übrigen lebenden Sprachen, namentlich der französischen, <lb n="pwa_336.021"/> zu behängen, und wo es gelehrte Bildung verrathen sollte, <lb n="pwa_336.022"/> wenn man mehr lateinische Worte in den Mund nahm als deutsche. <lb n="pwa_336.023"/> Im elften Jahrhundert sieht man den Mönchen an, dass sie ihre Lateingelehrsamkeit <lb n="pwa_336.024"/> nicht umsonst haben wollten; ähnlich wieder im dreizehnten <lb n="pwa_336.025"/> Jahrhundert, wo die Ritter an den Höfen sich gerne französischer <lb n="pwa_336.026"/> Worte bedienten; endlich im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert <lb n="pwa_336.027"/> traf Beides zusammen, indem die Gelehrten lateinische, die <lb n="pwa_336.028"/> Hofleute dagegen vorzugsweise französische Brocken einzustreuen <lb n="pwa_336.029"/> liebten. Dergleichen ist jetzt so gut als vorüber, und wenn noch <lb n="pwa_336.030"/> Ueberbleibsel jener unglückseligen Zeiten vorhanden sind, so tilgt jedes <lb n="pwa_336.031"/> Jahr mehr und mehr davon. Jetzt wird kaum ein Geschichtsschreiber <lb n="pwa_336.032"/> mehr, der auch Stilist ist, von <hi rendition="#i">Armeen</hi> sprechen, sondern von <hi rendition="#i">Heeren,</hi> <lb n="pwa_336.033"/> und er wird schon lieber Reiterei und Fussvolk sagen als <hi rendition="#i">Cavallerie</hi> <lb n="pwa_336.034"/> und <hi rendition="#i">Infanterie.</hi> Ein ergötzliches Beispiel, wie weit man es früherhin <lb n="pwa_336.035"/> in der barbarischen Sprachmengerei getrieben, bietet Nicolaus Hieronymus <lb n="pwa_336.036"/> Gundlings „<hi rendition="#i">Academischer Discours</hi> über des Freyherrn Samuel <lb n="pwa_336.037"/> von Pufendorffs Einleitung zu der Historie Der vornehmsten Reiche <lb n="pwa_336.038"/> und Staaten“ (Frankfurt a/M. 1737). Die Prolegomena zu seinem <lb n="pwa_336.039"/> Discours hebt Gundling folgendermassen an: „Nicht allein Cicero, <lb n="pwa_336.040"/> sondern auch alle kluge Leute sagen: Dass die <hi rendition="#i">Historia</hi> sey <hi rendition="#i">Magistra, <lb n="pwa_336.041"/> Scholaque vitae.</hi> Denn sowohl die <hi rendition="#i">Stulti,</hi> als <hi rendition="#i">Sapientes,</hi> können daraus </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [336/0354]
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unsrem Volk eigenthümlichen Begriffe und ihrer Namen hinausliegen. pwa_336.002
Da muss denn der Geschichtsschreiber mit der fremden Seele auch pwa_336.003
das fremde Wort herübernehmen; sei es auch etymologisch unverstanden, pwa_336.004
sei es auch gleich jenen Fremdworten der lehrhaften Prosa ein pwa_336.005
blosses Zeichen, es wird immer deutlicher sein, als jeder Versuch einer pwa_336.006
Verdeutschung, und als gar solche Verdeutschungen, die auf eine pwa_336.007
schiefe und irre leitende Weise fremde und einheimische, antike und pwa_336.008
moderne Begriffe in Eins zu schmelzen suchen, wie wenn man z. B. pwa_336.009
von einem Bürgermeister Kikero spricht, wo der römische Consul pwa_336.010
Cicero gemeint ist.
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Es hat sich also die lehrhafte Prosa und die beschreibende und pwa_336.012
die geschichtliche gar wohl ausländischer, meist lateinischer und griechischer pwa_336.013
Worte zu bedienen für solche Begriffe, wofür die einheimische pwa_336.014
Sprache entweder gar keine besitzt, oder unzulängliche und dadurch pwa_336.015
undeutliche. Wo aber der Deutsche selbst den Begriff und selbst das pwa_336.016
Wort dafür hat, verdient diess natürlich der Deutlichkeit wegen den pwa_336.017
Vorzug vor jedem fremden. In solchen Fällen verschafft sich auch pwa_336.018
die Sprache früher oder später selbst ihr Recht. Bekanntlich gab es pwa_336.019
Zeiten, wo es in Deutschland für zierlich galt, seine Rede mit bunten pwa_336.020
Fetzen aus den übrigen lebenden Sprachen, namentlich der französischen, pwa_336.021
zu behängen, und wo es gelehrte Bildung verrathen sollte, pwa_336.022
wenn man mehr lateinische Worte in den Mund nahm als deutsche. pwa_336.023
Im elften Jahrhundert sieht man den Mönchen an, dass sie ihre Lateingelehrsamkeit pwa_336.024
nicht umsonst haben wollten; ähnlich wieder im dreizehnten pwa_336.025
Jahrhundert, wo die Ritter an den Höfen sich gerne französischer pwa_336.026
Worte bedienten; endlich im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert pwa_336.027
traf Beides zusammen, indem die Gelehrten lateinische, die pwa_336.028
Hofleute dagegen vorzugsweise französische Brocken einzustreuen pwa_336.029
liebten. Dergleichen ist jetzt so gut als vorüber, und wenn noch pwa_336.030
Ueberbleibsel jener unglückseligen Zeiten vorhanden sind, so tilgt jedes pwa_336.031
Jahr mehr und mehr davon. Jetzt wird kaum ein Geschichtsschreiber pwa_336.032
mehr, der auch Stilist ist, von Armeen sprechen, sondern von Heeren, pwa_336.033
und er wird schon lieber Reiterei und Fussvolk sagen als Cavallerie pwa_336.034
und Infanterie. Ein ergötzliches Beispiel, wie weit man es früherhin pwa_336.035
in der barbarischen Sprachmengerei getrieben, bietet Nicolaus Hieronymus pwa_336.036
Gundlings „Academischer Discours über des Freyherrn Samuel pwa_336.037
von Pufendorffs Einleitung zu der Historie Der vornehmsten Reiche pwa_336.038
und Staaten“ (Frankfurt a/M. 1737). Die Prolegomena zu seinem pwa_336.039
Discours hebt Gundling folgendermassen an: „Nicht allein Cicero, pwa_336.040
sondern auch alle kluge Leute sagen: Dass die Historia sey Magistra, pwa_336.041
Scholaque vitae. Denn sowohl die Stulti, als Sapientes, können daraus
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