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Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873

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omne malis." Also gesellt sich zur Uebereinstimmung der Laute der pwa_440.002
Parallelismus des Inhaltes. Die lateinische Poesie des Mittelalters pwa_440.003
hielt den Reim in der Cäsur und am Schlusse des Hexameters fest, pwa_440.004
aber in indifferenter Weise und ohne ein bestimmtes Verhältniss der pwa_440.005
reimenden Worte. Es sind das die sogenannten leoninischen Verse: pwa_440.006
ein solcher ist z. B. der bekannte Stossseufzer eines Abschreibers, pwa_440.007
womit häufig mittelalterliche Handschriften schliessen: "Explicit hoc pwa_440.008
totum, infunde, da mihi potum." Auch der deutsche Reim, wie er pwa_440.009
seit dem neunten Jahrhundert und seit Otfried zur Geltung gekommen pwa_440.010
ist, entbehrt dieser tieferen Beziehung, er ist ein bloss äusserer pwa_440.011
Schmuck. Durch tausendjährigen Gebrauch ist er aber ein unentbehrliches pwa_440.012
und elementares Eigenthum unserer poetischen Rede geworden, pwa_440.013
insofern sie nämlich deutsch sein und sich nicht der Antike oder der pwa_440.014
Poesie anderer Völker nachgestalten will. Freilich, wie unsere meisten pwa_440.015
Dichter reimen, trägt er nicht sonderlich zur Ausschmückung durch pwa_440.016
Wohllaut bei, eher zur Entstellung durch Misslaut. Fast jeder hält pwa_440.017
es für erlaubt, hier allerlei Ungenauigkeit und namentlich die Unarten pwa_440.018
seines Dialectes in die Schriftsprache einzuschwärzen. Die einen fehlen pwa_440.019
in den Consonanten, die anderen in den Vocalen; in jenen namentlich pwa_440.020
die Norddeutschen. Die eigentlichen Niederdeutschen, wie sie in ihrer pwa_440.021
Mundart und in ihrem Hochdeutsch zu Ende eines Wortes g und ch pwa_440.022
nicht unterscheiden können, werfen so nun auch im Reim diese Laute pwa_440.023
durcheinander und stehn nicht an Buch auf Flug und Pflug, Bug auf pwa_440.024
Fluch, kriecht auf siegt, taugt auf raucht zu reimen, und da bei pwa_440.025
ihnen ng wie nk lautet, so verbinden sie unbedenklich Sang: Schwank pwa_440.026
oder sank: Schwang. Die Obersachsen dagegen verwechseln auch pwa_440.027
innerhalb des Wortes g und ch, d und t und reimen so Reigen: pwa_440.028
Zeichen, reichen: zeigen, Tode: Bote, todten: Boden. Ebenso verhält pwa_440.029
es sich auch mit ss und s in Mittel- und Oberdeutschland, wo man pwa_440.030
keinen Anstand nimmt, Schoosse: Rose zu reimen. Vgl. A. W. v. Schlegels pwa_440.031
Kennzeichen (LB. 2, 1309). In den Vocalen fehlen mehr die Oberdeutschen pwa_440.032
und die an den Grenzen, deren Sprache schon halb und pwa_440.033
halb aufhört, deutsch zu sein. So können die Oestreicher auch im pwa_440.034
Reime lange und kurze Vocale nicht sondern, sie reimen z. B. viel: pwa_440.035
still (steil). Die Schwaben, die Schlesier und manche Schweizer verwechseln pwa_440.036
Mischlaute und einfache Laute; sie sprechen ö wie e, ü wie pwa_440.037
i, eu wie ei, und so reimen sie denn beten: Nöthen, göthisch: poetisch, pwa_440.038
biegen: fügen, Eule: Weile. Und dass die Schwaben e i und ü nicht pwa_440.039
unterscheiden, zeigt Schillers Leichenphantasie, wo Str. 5 Menschen pwa_440.040
auf Wünschen reimt. Sicherlich ist das Alles tadelnswerth; der eigentliche pwa_440.041
Zweck des Reimes, der Wohllaut, geht darüber ganz verloren:

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omne malis.“ Also gesellt sich zur Uebereinstimmung der Laute der pwa_440.002
Parallelismus des Inhaltes. Die lateinische Poesie des Mittelalters pwa_440.003
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seit dem neunten Jahrhundert und seit Otfried zur Geltung gekommen pwa_440.010
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Dichter reimen, trägt er nicht sonderlich zur Ausschmückung durch pwa_440.016
Wohllaut bei, eher zur Entstellung durch Misslaut. Fast jeder hält pwa_440.017
es für erlaubt, hier allerlei Ungenauigkeit und namentlich die Unarten pwa_440.018
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Mundart und in ihrem Hochdeutsch zu Ende eines Wortes g und ch pwa_440.022
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durcheinander und stehn nicht an Buch auf Flug und Pflug, Bug auf pwa_440.024
Fluch, kriecht auf siegt, taugt auf raucht zu reimen, und da bei pwa_440.025
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keinen Anstand nimmt, Schoosse: Rose zu reimen. Vgl. A. W. v. Schlegels pwa_440.031
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Zitationshilfe: Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873, S. 440. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wackernagel_poetik_1873/458>, abgerufen am 09.11.2024.