Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873pwa_040.001 pwa_040.004 1 pwa_040.037
Para pasi d' os epipan tria phula ton timomenon diapherontos esti, pwa_040.038 bardoi te kai ouateis kai druidai? bardoi men umnetai kai poietai, ouateis de pwa_040.039 ieropoioi kai phusiologoi, druidai de pros te phusiologia kai ten ethiken philosophian pwa_040.040 askousi. pwa_040.001 pwa_040.004 1 pwa_040.037
Παρὰ πᾶσι δ' ὡς ἐπίπαν τρία φῦλα τῶν τιμωμένων διαφερόντως ἐστί, pwa_040.038 βάρδοι τε καὶ οὐάτεις καὶ δρυίδαι; βάρδοι μὲν ὑμνηταὶ καὶ ποιηταί, οὐάτεις δὲ pwa_040.039 ἱεροποιοὶ καὶ φυσιόλογοι, δρυίδαι δὲ πρὸς τῇ φυσιολογίᾳ καὶ τὴν ἠθικὴν φιλοσοφίαν pwa_040.040 ἀσκοῦσι. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0058" n="40"/><lb n="pwa_040.001"/> kam, musste man sich durch diesen Gegensatz besonders klar <lb n="pwa_040.002"/> bewusst werden, wie die Poesie eine schaffende Kunst, der Dichter <lb n="pwa_040.003"/> ein Schöpfer auf dem Standpunkte der Menschheit sei.</p> <p><lb n="pwa_040.004"/> Diese letzteren griechischen Ausdrücke haben sich die Römer <lb n="pwa_040.005"/> schon frühzeitig angeeignet; die daneben bestehenden lateinischen sind <lb n="pwa_040.006"/> <hi rendition="#i">canere, carmen, vates.</hi> Bei <hi rendition="#i">canere</hi> ist es noch zweifelhaft, ob es da, <lb n="pwa_040.007"/> wo es im Sinne von Dichten gebraucht wird, nicht etwa bloss eine <lb n="pwa_040.008"/> Uebersetzung des homerischen <foreign xml:lang="grc">ἀείδειν</foreign> sei. <hi rendition="#i">Carmen</hi> ist schwer auszudeuten; <lb n="pwa_040.009"/> jedesfalls kann es nicht von <hi rendition="#i">canere</hi> hergeleitet werden, vielleicht <lb n="pwa_040.010"/> beruht es auf einer alten und neueren Sprachen nicht ungeläufigen <lb n="pwa_040.011"/> Vergleichung der Dichtkunst mit einer mechanischen Handfertigkeit, <lb n="pwa_040.012"/> mit dem Bereiten des Gewandes. Bei den Griechen hiess einer, <lb n="pwa_040.013"/> der die einzelnen alten Heldenlieder zu grösseren Ganzen verband <lb n="pwa_040.014"/> und so verbunden vortrug, Gesangnäher <foreign xml:lang="grc">ῥαψῳδός</foreign>, von <foreign xml:lang="grc">ῥάπτειν ἀοιδήν</foreign>: <lb n="pwa_040.015"/> Hesiod. fragm. 34, 2. Die Lateiner gebrauchen in diesem Sinne <hi rendition="#i">texere</hi> <lb n="pwa_040.016"/> weben, z. B. contexere carmen bei Cicero, ähnlich im Mittelalter. So <lb n="pwa_040.017"/> kann auch <hi rendition="#i">carmen</hi> von <hi rendition="#i">carere</hi> kommen, welches die Bereitung der <lb n="pwa_040.018"/> Wolle vor dem Weben des Tuches und wie <hi rendition="#i">carminare</hi> auch das Weben <lb n="pwa_040.019"/> bezeichnet. Mit <hi rendition="#i">carmen</hi> hängt auch der lateinische Name der Göttin <lb n="pwa_040.020"/> der Dichtkunst zusammen, <hi rendition="#i">Camena:</hi> von den Grammatikern wird nämlich <lb n="pwa_040.021"/> mehrfach bezeugt, dass die ältere Form <hi rendition="#i">Casmena</hi> lautete; das <lb n="pwa_040.022"/> wäre dann wieder der gewöhnliche Wechsel von <hi rendition="#i">s</hi> und <hi rendition="#i">r. Vâtes</hi> endlich <lb n="pwa_040.023"/> bezeichnet den Römern einen Weissager und einen Dichter, entweder <lb n="pwa_040.024"/> weil die Weissager in Versen sprachen, oder weil man sich <lb n="pwa_040.025"/> den Dichter prophetisch begeistert dachte. Im Lateinischen ist das <lb n="pwa_040.026"/> Wort ohne Wurzel: zwar hat man es mit dem griechischen <foreign xml:lang="grc">φάτης</foreign> <lb n="pwa_040.027"/> zusammengestellt, allein diese Erklärung ist eine etymologische Unmöglichkeit, <lb n="pwa_040.028"/> indem diese Wurzel auch in <hi rendition="#i">fari, fateor</hi> vorkommt, <foreign xml:lang="grc">φ</foreign> <lb n="pwa_040.029"/> und <hi rendition="#i">f</hi> aber nie in <hi rendition="#i">v</hi> übergehen. Dazu kommt, dass <foreign xml:lang="grc">φάτης</foreign> ein kurzes, <lb n="pwa_040.030"/> <hi rendition="#i">vates</hi> dagegen ein langes <hi rendition="#i">a</hi> hat. Wahrscheinlich ist das Wort gar <lb n="pwa_040.031"/> kein lateinisches, sondern neben so vielen andern von den Galliern <lb n="pwa_040.032"/> entlehnt. Strabo 4 p. 197 nennt neben den Barden und den Druiden <lb n="pwa_040.033"/> als eine Klasse der priesterlichen Gelehrten bei den Galliern die <lb n="pwa_040.034"/> <foreign xml:lang="grc">οὐάτεις</foreign> und bezeichnet dieselben als <foreign xml:lang="grc">ἱεροποιοὺς καὶ φυσιολόγους</foreign> (Priester <lb n="pwa_040.035"/> und Naturgelehrte)<note xml:id="pwa_040_1" place="foot" n="1"><lb n="pwa_040.037"/><foreign xml:lang="grc">Παρὰ πᾶσι δ' ὡς ἐπίπαν τρία φῦλα τῶν τιμωμένων διαφερόντως ἐστί</foreign>, <lb n="pwa_040.038"/><foreign xml:lang="grc">βάρδοι τε καὶ οὐάτεις καὶ δρυίδαι; βάρδοι μὲν ὑμνηταὶ καὶ</foreign><foreign xml:lang="grc">ποιηταί, οὐάτεις δὲ</foreign><lb n="pwa_040.039"/><foreign xml:lang="grc">ἱεροποιοὶ καὶ φυσιόλογοι, δρυίδαι δὲ πρὸς τῇ φυσιολογίᾳ καὶ</foreign><foreign xml:lang="grc">τὴν ἠθικὴν φιλοσοφίαν</foreign><lb n="pwa_040.040"/><foreign xml:lang="grc">ἀσκοῦσι</foreign>.</note>. Doch bleibt das Wort auch im Celtischen <lb n="pwa_040.036"/> dunkel.</p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [40/0058]
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kam, musste man sich durch diesen Gegensatz besonders klar pwa_040.002
bewusst werden, wie die Poesie eine schaffende Kunst, der Dichter pwa_040.003
ein Schöpfer auf dem Standpunkte der Menschheit sei.
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Diese letzteren griechischen Ausdrücke haben sich die Römer pwa_040.005
schon frühzeitig angeeignet; die daneben bestehenden lateinischen sind pwa_040.006
canere, carmen, vates. Bei canere ist es noch zweifelhaft, ob es da, pwa_040.007
wo es im Sinne von Dichten gebraucht wird, nicht etwa bloss eine pwa_040.008
Uebersetzung des homerischen ἀείδειν sei. Carmen ist schwer auszudeuten; pwa_040.009
jedesfalls kann es nicht von canere hergeleitet werden, vielleicht pwa_040.010
beruht es auf einer alten und neueren Sprachen nicht ungeläufigen pwa_040.011
Vergleichung der Dichtkunst mit einer mechanischen Handfertigkeit, pwa_040.012
mit dem Bereiten des Gewandes. Bei den Griechen hiess einer, pwa_040.013
der die einzelnen alten Heldenlieder zu grösseren Ganzen verband pwa_040.014
und so verbunden vortrug, Gesangnäher ῥαψῳδός, von ῥάπτειν ἀοιδήν: pwa_040.015
Hesiod. fragm. 34, 2. Die Lateiner gebrauchen in diesem Sinne texere pwa_040.016
weben, z. B. contexere carmen bei Cicero, ähnlich im Mittelalter. So pwa_040.017
kann auch carmen von carere kommen, welches die Bereitung der pwa_040.018
Wolle vor dem Weben des Tuches und wie carminare auch das Weben pwa_040.019
bezeichnet. Mit carmen hängt auch der lateinische Name der Göttin pwa_040.020
der Dichtkunst zusammen, Camena: von den Grammatikern wird nämlich pwa_040.021
mehrfach bezeugt, dass die ältere Form Casmena lautete; das pwa_040.022
wäre dann wieder der gewöhnliche Wechsel von s und r. Vâtes endlich pwa_040.023
bezeichnet den Römern einen Weissager und einen Dichter, entweder pwa_040.024
weil die Weissager in Versen sprachen, oder weil man sich pwa_040.025
den Dichter prophetisch begeistert dachte. Im Lateinischen ist das pwa_040.026
Wort ohne Wurzel: zwar hat man es mit dem griechischen φάτης pwa_040.027
zusammengestellt, allein diese Erklärung ist eine etymologische Unmöglichkeit, pwa_040.028
indem diese Wurzel auch in fari, fateor vorkommt, φ pwa_040.029
und f aber nie in v übergehen. Dazu kommt, dass φάτης ein kurzes, pwa_040.030
vates dagegen ein langes a hat. Wahrscheinlich ist das Wort gar pwa_040.031
kein lateinisches, sondern neben so vielen andern von den Galliern pwa_040.032
entlehnt. Strabo 4 p. 197 nennt neben den Barden und den Druiden pwa_040.033
als eine Klasse der priesterlichen Gelehrten bei den Galliern die pwa_040.034
οὐάτεις und bezeichnet dieselben als ἱεροποιοὺς καὶ φυσιολόγους (Priester pwa_040.035
und Naturgelehrte) 1. Doch bleibt das Wort auch im Celtischen pwa_040.036
dunkel.
1 pwa_040.037
Παρὰ πᾶσι δ' ὡς ἐπίπαν τρία φῦλα τῶν τιμωμένων διαφερόντως ἐστί, pwa_040.038
βάρδοι τε καὶ οὐάτεις καὶ δρυίδαι; βάρδοι μὲν ὑμνηταὶ καὶ ποιηταί, οὐάτεις δὲ pwa_040.039
ἱεροποιοὶ καὶ φυσιόλογοι, δρυίδαι δὲ πρὸς τῇ φυσιολογίᾳ καὶ τὴν ἠθικὴν φιλοσοφίαν pwa_040.040
ἀσκοῦσι.
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