Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850.kalt, wie eine versteinerte Erinnerung, wie die Mumie kalt, wie eine verſteinerte Erinnerung, wie die Mumie <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0180" n="164"/> kalt, wie eine verſteinerte Erinnerung, wie die <hi rendition="#g">Mumie<lb/> des Griechenthums</hi>. — Dieſe Kunſt, im Solde der<lb/> Reichen zur Verzierung der Palläſte, gewann um ſo leichter<lb/> eine ungemeine Ausbreitung, als das künſtleriſche Schaffen<lb/> in ihr ſehr bald zur bloßen mechaniſchen Arbeit herabſinken<lb/> konnte. Der Gegenſtand der Bildhauerei iſt allerdings der<lb/> Menſch, der unendlich mannigfaltige, charakteriſtiſch ver¬<lb/> ſchiedene und in den verſchiedenſten Affekten ſich kund¬<lb/> gebende: aber den Stoff zu ſeiner Darſtellung nimmt dieſe<lb/> Kunſt von der ſinnlichen Außengeſtalt, aus der immer<lb/> nur die Hülle, nicht der Kern des menſchlichen Weſens zu<lb/> entnehmen iſt. Wohl giebt ſich der innere Menſch auf<lb/> das Entſprechendſte auch durch ſeine äußere Erſcheinung<lb/> kund, aber <hi rendition="#g">vollkommen</hi> nur in und durch die <hi rendition="#g">Bewegung</hi>.<lb/> Der Bildhauer kann von dieſer Bewegung aus ihrem mannig¬<lb/> faltigſten Wechſel nur dieſen <hi rendition="#g">einen</hi> Moment erfaſſen und<lb/> wiedergeben, die eigentliche Bewegung ſomit nur durch Ab¬<lb/> ſtraction von dem ſinnlich vorſtehenden Kunſtwerke nach einem<lb/> gewiſſen, mathematiſch vergleichenden Kalkül errathen<lb/> laſſen. War das richtigſte und entſprechend ſicherſte Ver¬<lb/> fahren, um aus dieſer Armuth und Unbehülflichkeit heraus<lb/> zur Darſtellung wirklichen Lebens zu gelangen, einmal <hi rendition="#g">ge¬<lb/> funden</hi>, — war dem natürlichen Stoffe einmal das voll¬<lb/> endete Maß der menſchlichen äußeren Erſcheinung — ein¬<lb/> gebildet und ihm die Fähigkeit, dieſes überzeugend uns zu¬<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [164/0180]
kalt, wie eine verſteinerte Erinnerung, wie die Mumie
des Griechenthums. — Dieſe Kunſt, im Solde der
Reichen zur Verzierung der Palläſte, gewann um ſo leichter
eine ungemeine Ausbreitung, als das künſtleriſche Schaffen
in ihr ſehr bald zur bloßen mechaniſchen Arbeit herabſinken
konnte. Der Gegenſtand der Bildhauerei iſt allerdings der
Menſch, der unendlich mannigfaltige, charakteriſtiſch ver¬
ſchiedene und in den verſchiedenſten Affekten ſich kund¬
gebende: aber den Stoff zu ſeiner Darſtellung nimmt dieſe
Kunſt von der ſinnlichen Außengeſtalt, aus der immer
nur die Hülle, nicht der Kern des menſchlichen Weſens zu
entnehmen iſt. Wohl giebt ſich der innere Menſch auf
das Entſprechendſte auch durch ſeine äußere Erſcheinung
kund, aber vollkommen nur in und durch die Bewegung.
Der Bildhauer kann von dieſer Bewegung aus ihrem mannig¬
faltigſten Wechſel nur dieſen einen Moment erfaſſen und
wiedergeben, die eigentliche Bewegung ſomit nur durch Ab¬
ſtraction von dem ſinnlich vorſtehenden Kunſtwerke nach einem
gewiſſen, mathematiſch vergleichenden Kalkül errathen
laſſen. War das richtigſte und entſprechend ſicherſte Ver¬
fahren, um aus dieſer Armuth und Unbehülflichkeit heraus
zur Darſtellung wirklichen Lebens zu gelangen, einmal ge¬
funden, — war dem natürlichen Stoffe einmal das voll¬
endete Maß der menſchlichen äußeren Erſcheinung — ein¬
gebildet und ihm die Fähigkeit, dieſes überzeugend uns zu¬
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