Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850.

Bild:
<< vorherige Seite

qualmigen Kneipe, aus der dampfenden Felddüngergrube
sollen uns die Gebilde der Schönheit und Kunst aufsteigen?

Sehr richtig! Nicht aus der schmutzigen Grundlage
Eurer heutigen Kultur, nicht aus dem widerlichen Boden¬
satze Eurer modernen feinen Bildung, nicht aus den Be¬
dingungen die Eurer modernen Civilisation die einzig denk¬
bare Basis des Daseins geben, soll das Kunstwerk der Zu¬
kunft entstehen. Bedenkt aber, daß dieser Pöbel keines¬
wegs ein normales Produkt der wirklichen menschlichen
Natur ist, sondern vielmehr das künstliche Erzeugniß
Eurer unnatürlichen Kultur -- daß alle die Laster und
Scheußlichkeiten, die Euch an diesem Pöbel anwidern, nur
die verzweiflungsvollen Gebärden des Kampfes sind, den
die wirkliche menschliche Natur gegen ihre grausame Un¬
terdrückerin, die moderne Civilisation, führt, und das Ab¬
schreckende in diesen Gebärden keineswegs die wahre Miene
der Natur, sondern vielmehr der Widerschein der glei߬
nerischen Fratze Eurer Staats- und Criminalkultur ist.
Bedenkt ferner, daß da, wo ein Theil der staatlichen Ge¬
sellschaft nur überflüssige Kunst und Literatur treibt, ein
anderer Theil nothwendig nur den Schmutz Eures un¬
nützen Daseins zu tilgen hat; daß da, wo Schöngeisterei
und Mode ein ganzes unnöthiges Leben erfüllen, Roh¬
heit und Plumpheit die Grundzüge eines anderen, Euch
nothwendigen, Lebens ausmachen müssen; daß da, wo der

qualmigen Kneipe, aus der dampfenden Felddüngergrube
ſollen uns die Gebilde der Schönheit und Kunſt aufſteigen?

Sehr richtig! Nicht aus der ſchmutzigen Grundlage
Eurer heutigen Kultur, nicht aus dem widerlichen Boden¬
ſatze Eurer modernen feinen Bildung, nicht aus den Be¬
dingungen die Eurer modernen Civiliſation die einzig denk¬
bare Baſis des Daſeins geben, ſoll das Kunſtwerk der Zu¬
kunft entſtehen. Bedenkt aber, daß dieſer Pöbel keines¬
wegs ein normales Produkt der wirklichen menſchlichen
Natur iſt, ſondern vielmehr das künſtliche Erzeugniß
Eurer unnatürlichen Kultur — daß alle die Laſter und
Scheußlichkeiten, die Euch an dieſem Pöbel anwidern, nur
die verzweiflungsvollen Gebärden des Kampfes ſind, den
die wirkliche menſchliche Natur gegen ihre grauſame Un¬
terdrückerin, die moderne Civiliſation, führt, und das Ab¬
ſchreckende in dieſen Gebärden keineswegs die wahre Miene
der Natur, ſondern vielmehr der Widerſchein der glei߬
neriſchen Fratze Eurer Staats- und Criminalkultur iſt.
Bedenkt ferner, daß da, wo ein Theil der ſtaatlichen Ge¬
ſellſchaft nur überflüſſige Kunſt und Literatur treibt, ein
anderer Theil nothwendig nur den Schmutz Eures un¬
nützen Daſeins zu tilgen hat; daß da, wo Schöngeiſterei
und Mode ein ganzes unnöthiges Leben erfüllen, Roh¬
heit und Plumpheit die Grundzüge eines anderen, Euch
nothwendigen, Lebens ausmachen müſſen; daß da, wo der

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0241" n="225"/>
qualmigen Kneipe, aus der dampfenden Felddüngergrube<lb/>
&#x017F;ollen uns die Gebilde der Schönheit und Kun&#x017F;t auf&#x017F;teigen?</p><lb/>
        <p>Sehr richtig! Nicht aus der &#x017F;chmutzigen Grundlage<lb/>
Eurer heutigen Kultur, nicht aus dem widerlichen Boden¬<lb/>
&#x017F;atze Eurer modernen feinen Bildung, nicht aus den Be¬<lb/>
dingungen die Eurer modernen Civili&#x017F;ation die einzig denk¬<lb/>
bare Ba&#x017F;is des Da&#x017F;eins geben, &#x017F;oll das Kun&#x017F;twerk der Zu¬<lb/>
kunft ent&#x017F;tehen. Bedenkt aber, daß die&#x017F;er Pöbel keines¬<lb/>
wegs ein normales Produkt der wirklichen men&#x017F;chlichen<lb/>
Natur i&#x017F;t, &#x017F;ondern vielmehr das kün&#x017F;tliche Erzeugniß<lb/>
Eurer unnatürlichen Kultur &#x2014; daß alle die La&#x017F;ter und<lb/>
Scheußlichkeiten, die Euch an die&#x017F;em Pöbel anwidern, nur<lb/>
die verzweiflungsvollen Gebärden des Kampfes &#x017F;ind, den<lb/>
die wirkliche men&#x017F;chliche Natur gegen ihre grau&#x017F;ame Un¬<lb/>
terdrückerin, die moderne Civili&#x017F;ation, führt, und das Ab¬<lb/>
&#x017F;chreckende in die&#x017F;en Gebärden keineswegs die wahre Miene<lb/>
der Natur, &#x017F;ondern vielmehr der Wider&#x017F;chein der glei߬<lb/>
neri&#x017F;chen Fratze Eurer Staats- und Criminalkultur i&#x017F;t.<lb/>
Bedenkt ferner, daß da, wo ein Theil der &#x017F;taatlichen Ge¬<lb/>
&#x017F;ell&#x017F;chaft nur überflü&#x017F;&#x017F;ige Kun&#x017F;t und Literatur treibt, ein<lb/>
anderer Theil nothwendig nur den Schmutz Eures un¬<lb/>
nützen Da&#x017F;eins zu tilgen hat; daß da, wo Schöngei&#x017F;terei<lb/>
und Mode ein ganzes unnöthiges Leben erfüllen, Roh¬<lb/>
heit und Plumpheit die Grundzüge eines anderen, Euch<lb/>
nothwendigen, Lebens ausmachen mü&#x017F;&#x017F;en; daß da, wo der<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[225/0241] qualmigen Kneipe, aus der dampfenden Felddüngergrube ſollen uns die Gebilde der Schönheit und Kunſt aufſteigen? Sehr richtig! Nicht aus der ſchmutzigen Grundlage Eurer heutigen Kultur, nicht aus dem widerlichen Boden¬ ſatze Eurer modernen feinen Bildung, nicht aus den Be¬ dingungen die Eurer modernen Civiliſation die einzig denk¬ bare Baſis des Daſeins geben, ſoll das Kunſtwerk der Zu¬ kunft entſtehen. Bedenkt aber, daß dieſer Pöbel keines¬ wegs ein normales Produkt der wirklichen menſchlichen Natur iſt, ſondern vielmehr das künſtliche Erzeugniß Eurer unnatürlichen Kultur — daß alle die Laſter und Scheußlichkeiten, die Euch an dieſem Pöbel anwidern, nur die verzweiflungsvollen Gebärden des Kampfes ſind, den die wirkliche menſchliche Natur gegen ihre grauſame Un¬ terdrückerin, die moderne Civiliſation, führt, und das Ab¬ ſchreckende in dieſen Gebärden keineswegs die wahre Miene der Natur, ſondern vielmehr der Widerſchein der glei߬ neriſchen Fratze Eurer Staats- und Criminalkultur iſt. Bedenkt ferner, daß da, wo ein Theil der ſtaatlichen Ge¬ ſellſchaft nur überflüſſige Kunſt und Literatur treibt, ein anderer Theil nothwendig nur den Schmutz Eures un¬ nützen Daſeins zu tilgen hat; daß da, wo Schöngeiſterei und Mode ein ganzes unnöthiges Leben erfüllen, Roh¬ heit und Plumpheit die Grundzüge eines anderen, Euch nothwendigen, Lebens ausmachen müſſen; daß da, wo der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wagner_zukunft_1850
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wagner_zukunft_1850/241
Zitationshilfe: Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850, S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wagner_zukunft_1850/241>, abgerufen am 21.11.2024.