Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850.Der Hellene, wenn er sein Meer beschiffte, verlor Von den Ufern des Lebens schied sich der Christ. 4
Der Hellene, wenn er ſein Meer beſchiffte, verlor Von den Ufern des Lebens ſchied ſich der Chriſt. 4
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0089" n="73"/> <p>Der <hi rendition="#g">Hellene</hi>, wenn er ſein Meer beſchiffte, verlor<lb/> nie das Küſtenland aus dem Auge: ihm war es der ſichere<lb/> Strom, der ihn von Geſtade zu Geſtade trug, auf dem<lb/> er zwiſchen den wohlvertrauten Ufern nach dem melodiſchen<lb/> Takte der Ruder dahinfuhr, — dort das Auge dem Tanze<lb/> der Waldnymphen, dort das Ohr dem Götterhymnus zu¬<lb/> gewandt, deſſen ſinnig melodiſchen Wortreigen die Lüfte<lb/> aus dem Tempel von der Berghöhe ihm zuführten. Auf<lb/> der Fläche des Waſſers ſpiegelten ſich ihm, von blauem<lb/> Aetherſaume begränzt, getreu die Küſten des Landes mit<lb/> Felſen, Thälern, Bäumen, Blumen und Menſchen: und<lb/> dieſes reizend wogende, vom friſchen Fächeln der Lüfte an¬<lb/> muthig bewegte Spiegelbild dünkte ihm Harmonie. —</p><lb/> <p>Von den Ufern des Lebens ſchied ſich der <hi rendition="#g">Chriſt</hi>.<lb/> Weiter und unbegränzter ſuchte er das Meer auf, um end¬<lb/> lich auf dem Oceane zwiſchen Meer und Himmel gränzen¬<lb/> los allein zu ſein. Das <hi rendition="#g">Wort</hi>, das Wort des <hi rendition="#g">Glaubens</hi><lb/> war ſein Kompaß, der ihn unverwandt nur nach dem<lb/> Himmel wieß. Ueber ihm ſchwebte dieſer Himmel, nach<lb/> jedem Horizonte hin ſenkte er ſich als Grenze des Meeres<lb/> herab; nie aber erreichte der Segler dieſe Gränze: von<lb/> Jahrhundert zu Jahrhundert ſchwamm er unerlöſt der im¬<lb/> mer vorſchwebenden und nie doch erreichten neuen Heimath<lb/> zu, bis ihn der Zweifel an die Tugend ſeines Kompaßes<lb/> erfaßte, bis er auch ihn als letztes menſchliches Gaukelwerk<lb/> <fw place="bottom" type="sig">4<lb/></fw> </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [73/0089]
Der Hellene, wenn er ſein Meer beſchiffte, verlor
nie das Küſtenland aus dem Auge: ihm war es der ſichere
Strom, der ihn von Geſtade zu Geſtade trug, auf dem
er zwiſchen den wohlvertrauten Ufern nach dem melodiſchen
Takte der Ruder dahinfuhr, — dort das Auge dem Tanze
der Waldnymphen, dort das Ohr dem Götterhymnus zu¬
gewandt, deſſen ſinnig melodiſchen Wortreigen die Lüfte
aus dem Tempel von der Berghöhe ihm zuführten. Auf
der Fläche des Waſſers ſpiegelten ſich ihm, von blauem
Aetherſaume begränzt, getreu die Küſten des Landes mit
Felſen, Thälern, Bäumen, Blumen und Menſchen: und
dieſes reizend wogende, vom friſchen Fächeln der Lüfte an¬
muthig bewegte Spiegelbild dünkte ihm Harmonie. —
Von den Ufern des Lebens ſchied ſich der Chriſt.
Weiter und unbegränzter ſuchte er das Meer auf, um end¬
lich auf dem Oceane zwiſchen Meer und Himmel gränzen¬
los allein zu ſein. Das Wort, das Wort des Glaubens
war ſein Kompaß, der ihn unverwandt nur nach dem
Himmel wieß. Ueber ihm ſchwebte dieſer Himmel, nach
jedem Horizonte hin ſenkte er ſich als Grenze des Meeres
herab; nie aber erreichte der Segler dieſe Gränze: von
Jahrhundert zu Jahrhundert ſchwamm er unerlöſt der im¬
mer vorſchwebenden und nie doch erreichten neuen Heimath
zu, bis ihn der Zweifel an die Tugend ſeines Kompaßes
erfaßte, bis er auch ihn als letztes menſchliches Gaukelwerk
4
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |