Sie las. Theodor! wie die griechischen Worte wogten von den zarten Lippen, die Worte des Mäo- niden. Jeder Laut war wie aus tiefster, innigster Seele.
Das Saftgrün der Blätter und die Gluth der Rosen und der Abendsonne ... die grauen alten Säulen .... die Trümmer um uns her .... und drüber hinein das Himmelblau .... und das Mäd- chen, vom quillenden Strahl der Sonne geküßt, mit ihrem Engelauge, mit ihren Rosen in den dun- keln Locken, mit ihrem Homer in den Händen ...!
Da rief ich endlich aus:
Atalanta, denke dir den Sänger, wie er stand auf dem grauen Felsen von Chios, wann die war- me Morgensonne seine weißen Locken umwallte, wie das Haupt eines Heiligen, und um ihn her saßen im Kreiße die Schüler auf den steinernen Bänken -- wie der alte Lehrer hinüberblickte über die lachenden Fluren des Eilands von der jähen Klippe, und sein Auge von den grünenden Buchten und dem frischen Gestade hinüberdrang, wie ein Lichtstrahl, in die gränzenlose Weite des Meeres, und endlich verschwamm in der Flamme des auf- steigenden Sonnengottes, wie nun seine Brust sich
Sie las. Theodor! wie die griechiſchen Worte wogten von den zarten Lippen, die Worte des Maͤo- niden. Jeder Laut war wie aus tiefſter, innigſter Seele.
Das Saftgruͤn der Blaͤtter und die Gluth der Roſen und der Abendſonne … die grauen alten Saͤulen .... die Truͤmmer um uns her .... und druͤber hinein das Himmelblau .... und das Maͤd- chen, vom quillenden Strahl der Sonne gekuͤßt, mit ihrem Engelauge, mit ihren Roſen in den dun- keln Locken, mit ihrem Homer in den Haͤnden …!
Da rief ich endlich aus:
Atalanta, denke dir den Saͤnger, wie er ſtand auf dem grauen Felſen von Chios, wann die war- me Morgenſonne ſeine weißen Locken umwallte, wie das Haupt eines Heiligen, und um ihn her ſaßen im Kreiße die Schuͤler auf den ſteinernen Baͤnken — wie der alte Lehrer hinuͤberblickte uͤber die lachenden Fluren des Eilands von der jaͤhen Klippe, und ſein Auge von den gruͤnenden Buchten und dem friſchen Geſtade hinuͤberdrang, wie ein Lichtſtrahl, in die graͤnzenloſe Weite des Meeres, und endlich verſchwamm in der Flamme des auf- ſteigenden Sonnengottes, wie nun ſeine Bruſt ſich
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Sie las. Theodor! wie die griechiſchen Worte
wogten von den zarten Lippen, die Worte des Maͤo-
niden. Jeder Laut war wie aus tiefſter, innigſter
Seele.
Das Saftgruͤn der Blaͤtter und die Gluth der
Roſen und der Abendſonne … die grauen alten
Saͤulen .... die Truͤmmer um uns her .... und
druͤber hinein das Himmelblau .... und das Maͤd-
chen, vom quillenden Strahl der Sonne gekuͤßt,
mit ihrem Engelauge, mit ihren Roſen in den dun-
keln Locken, mit ihrem Homer in den Haͤnden …!
Da rief ich endlich aus:
Atalanta, denke dir den Saͤnger, wie er ſtand
auf dem grauen Felſen von Chios, wann die war-
me Morgenſonne ſeine weißen Locken umwallte,
wie das Haupt eines Heiligen, und um ihn her
ſaßen im Kreiße die Schuͤler auf den ſteinernen
Baͤnken — wie der alte Lehrer hinuͤberblickte uͤber
die lachenden Fluren des Eilands von der jaͤhen
Klippe, und ſein Auge von den gruͤnenden Buchten
und dem friſchen Geſtade hinuͤberdrang, wie ein
Lichtſtrahl, in die graͤnzenloſe Weite des Meeres,
und endlich verſchwamm in der Flamme des auf-
ſteigenden Sonnengottes, wie nun ſeine Bruſt ſich
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Waiblinger, Wilhelm: Phaëthon. Bd. 1. Stuttgart, 1823, S. 141. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/waiblinger_phaeton01_1823/151>, abgerufen am 16.02.2025.
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