Waiblinger, Wilhelm: Phaëthon. Bd. 1. Stuttgart, 1823.Binden waren ihm um's Haupt gewunden. Ueppi- 10 *
Binden waren ihm um’s Haupt gewunden. Ueppi- 10 *
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0157" n="147"/> Binden waren ihm um’s Haupt gewunden. Ueppi-<lb/> ge Weinreben, das Bild der Freude, wuchſen em-<lb/> por aus der Erde, und wie volle Kinderwangen,<lb/> laͤchelten ſchwellende Trauben aus dem dunkeln<lb/> Laube. Jn ſeinem Feuerauge blinkte die ſuͤße Be-<lb/> geiſterung des Dionyſos, um ſeinen Mund ſchwebte<lb/> ein ſpoͤttiſch-ſuͤßer Zug, aber aus ſeiner Stirne<lb/> ſprach ein ſtrenger, tiefer Ernſt, eine unausſprech-<lb/> liche Weisheit, eine unglaubliche Staͤrke, eine un-<lb/> beugſame Kuͤhnheit. Sein ganzes Weſen war ein<lb/> Raͤthſel. Denn waͤhrend er ohne Zucht und Scheu,<lb/> mit wilder Luſt, mit kecker Derbheit, alles, was<lb/> um ihn war, Goͤtter und Menſchen, zu hoͤhnen<lb/> ſchien, ſtrahlte doch aus ihm die Anmuth und jede<lb/> Gabe der Huldinnen in einer unerſchoͤpflichen Fuͤlle.<lb/> Sie ſchienen von ihm abhaͤngig, nicht er von ihnen.<lb/> Man mußt’ ihn anſtaunen und doch lieben, den<lb/> Wilden, Zuͤgelloſen. Mit der einen Hand ſchwang<lb/> er bald mit lautem Jubel einen vollen Weinbecher,<lb/> bald eine klingende Handpauke, und bald die Maske<lb/> der Thalia, waͤhrend er mit der andern den Hals<lb/> des Maͤdchens umſchlang, und mit dem Verlangen<lb/> der Liebe ihren blendend weißen Buſen kuͤßte. Dann<lb/> ſprangen Beyde auf mit wildem Gelaͤchter und<lb/> opferten den Charitinnen und der Aphrodite. Es<lb/> war Ariſtofanes.</p><lb/> <fw place="bottom" type="sig">10 *</fw><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [147/0157]
Binden waren ihm um’s Haupt gewunden. Ueppi-
ge Weinreben, das Bild der Freude, wuchſen em-
por aus der Erde, und wie volle Kinderwangen,
laͤchelten ſchwellende Trauben aus dem dunkeln
Laube. Jn ſeinem Feuerauge blinkte die ſuͤße Be-
geiſterung des Dionyſos, um ſeinen Mund ſchwebte
ein ſpoͤttiſch-ſuͤßer Zug, aber aus ſeiner Stirne
ſprach ein ſtrenger, tiefer Ernſt, eine unausſprech-
liche Weisheit, eine unglaubliche Staͤrke, eine un-
beugſame Kuͤhnheit. Sein ganzes Weſen war ein
Raͤthſel. Denn waͤhrend er ohne Zucht und Scheu,
mit wilder Luſt, mit kecker Derbheit, alles, was
um ihn war, Goͤtter und Menſchen, zu hoͤhnen
ſchien, ſtrahlte doch aus ihm die Anmuth und jede
Gabe der Huldinnen in einer unerſchoͤpflichen Fuͤlle.
Sie ſchienen von ihm abhaͤngig, nicht er von ihnen.
Man mußt’ ihn anſtaunen und doch lieben, den
Wilden, Zuͤgelloſen. Mit der einen Hand ſchwang
er bald mit lautem Jubel einen vollen Weinbecher,
bald eine klingende Handpauke, und bald die Maske
der Thalia, waͤhrend er mit der andern den Hals
des Maͤdchens umſchlang, und mit dem Verlangen
der Liebe ihren blendend weißen Buſen kuͤßte. Dann
ſprangen Beyde auf mit wildem Gelaͤchter und
opferten den Charitinnen und der Aphrodite. Es
war Ariſtofanes.
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