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Waiblinger, Wilhelm: Phaëthon. Bd. 2. Stuttgart, 1823.

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und doch so tiefbeseligt war, aus Bäumen und
Blättern, Blumen und Gräsern, aus Wellen und
Wolken nur Eines uns überquoll, der Geist der
Gottheit in seiner stillen ruhigen Größe, außer uns,
in uns alles so innig war, so warm und so voll ..
so Vieles und das Viele nur Eines ... diese Fülle
und doch dieser selige Gleichklang ... ewiger Früh-
ling, ewige Jugend ..! o das war schön!

Ordnung überall und Uebereinstimmung! Und
du hast das geheimnißvolle Band aus dem innern
Auge verloren, das diese Manigfaltigkeit zur Ein-
heit bringt? Ueberall Leben und Liebe! Du allein
bist ohne Glauben, Hoffnung und Zuversicht?

Hab' ich die Kraft verloren, dich glücklich zu
machen?

O warum diese verzehrende Gluth, dieß be-
täubende Sehnen? du bist so unruhig geworden, so
wild in der Ferne, und meine Seele liebt dich doch
mit so viel Frieden, so viel Ruhe, und doch so
viel Stärke.

Die höchste Liebe ist wie das Schwei-
gen der allbeseelten, stummlebendigen
Natur .... tief und ruhig, wie das klare

und doch ſo tiefbeſeligt war, aus Baͤumen und
Blaͤttern, Blumen und Graͤſern, aus Wellen und
Wolken nur Eines uns uͤberquoll, der Geiſt der
Gottheit in ſeiner ſtillen ruhigen Groͤße, außer uns,
in uns alles ſo innig war, ſo warm und ſo voll ..
ſo Vieles und das Viele nur Eines … dieſe Fuͤlle
und doch dieſer ſelige Gleichklang … ewiger Fruͤh-
ling, ewige Jugend ..! o das war ſchoͤn!

Ordnung uͤberall und Uebereinſtimmung! Und
du haſt das geheimnißvolle Band aus dem innern
Auge verloren, das dieſe Manigfaltigkeit zur Ein-
heit bringt? Ueberall Leben und Liebe! Du allein
biſt ohne Glauben, Hoffnung und Zuverſicht?

Hab’ ich die Kraft verloren, dich gluͤcklich zu
machen?

O warum dieſe verzehrende Gluth, dieß be-
taͤubende Sehnen? du biſt ſo unruhig geworden, ſo
wild in der Ferne, und meine Seele liebt dich doch
mit ſo viel Frieden, ſo viel Ruhe, und doch ſo
viel Staͤrke.

Die hoͤchſte Liebe iſt wie das Schwei-
gen der allbeſeelten, ſtummlebendigen
Natur .... tief und ruhig, wie das klare

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[100/0100] und doch ſo tiefbeſeligt war, aus Baͤumen und Blaͤttern, Blumen und Graͤſern, aus Wellen und Wolken nur Eines uns uͤberquoll, der Geiſt der Gottheit in ſeiner ſtillen ruhigen Groͤße, außer uns, in uns alles ſo innig war, ſo warm und ſo voll .. ſo Vieles und das Viele nur Eines … dieſe Fuͤlle und doch dieſer ſelige Gleichklang … ewiger Fruͤh- ling, ewige Jugend ..! o das war ſchoͤn! Ordnung uͤberall und Uebereinſtimmung! Und du haſt das geheimnißvolle Band aus dem innern Auge verloren, das dieſe Manigfaltigkeit zur Ein- heit bringt? Ueberall Leben und Liebe! Du allein biſt ohne Glauben, Hoffnung und Zuverſicht? Hab’ ich die Kraft verloren, dich gluͤcklich zu machen? O warum dieſe verzehrende Gluth, dieß be- taͤubende Sehnen? du biſt ſo unruhig geworden, ſo wild in der Ferne, und meine Seele liebt dich doch mit ſo viel Frieden, ſo viel Ruhe, und doch ſo viel Staͤrke. Die hoͤchſte Liebe iſt wie das Schwei- gen der allbeſeelten, ſtummlebendigen Natur .... tief und ruhig, wie das klare

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Zitationshilfe: Waiblinger, Wilhelm: Phaëthon. Bd. 2. Stuttgart, 1823, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/waiblinger_phaeton02_1823/100>, abgerufen am 21.11.2024.