Waiblinger, Wilhelm: Phaëthon. Bd. 2. Stuttgart, 1823.tem offenem Busen, die gotttrunkenen Augen zu Wenn er einen schönen weissen Knaben sah, Gegen Erwachsene war er verschlossen und ge- Um diese Zeit erhielt er einen Brief von Ata- Jch stand am See. Der Mond schien eben so tem offenem Buſen, die gotttrunkenen Augen zu Wenn er einen ſchoͤnen weiſſen Knaben ſah, Gegen Erwachſene war er verſchloſſen und ge- Um dieſe Zeit erhielt er einen Brief von Ata- Jch ſtand am See. Der Mond ſchien eben ſo <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0128" n="128"/> tem offenem Buſen, die gotttrunkenen Augen zu<lb/> einem großen Auge hebend, das uͤber ihr aus wal-<lb/> lendem Lichte quoll, womit er das Auge Gottes<lb/> bezeichnen wollte. Das wiederhohlt’ er hundertmal<lb/> und fuͤgte zuletzt immer ſeltſamere Bilder und Zei-<lb/> chen hinzu. Er verſchloß alles ſorgfaͤltig, was er<lb/> gebildet.</p><lb/> <p>Wenn er einen ſchoͤnen weiſſen Knaben ſah,<lb/> druͤckt’ er ihn an den Buſen, weinte, nannt’ ihn<lb/> ein Kind der Sonne.</p><lb/> <p>Gegen Erwachſene war er verſchloſſen und ge-<lb/> heimnißvoll. Die Worte Gott, Natur, kamen nie<lb/> auf ſeine Lippen.</p><lb/> <p>Um <hi rendition="#i">dieſe Zeit erh</hi>ielt er einen Brief von Ata-<lb/> lanta, der ſich ſchloß auf folgende Weiſe:</p><lb/> <p>Jch ſtand am See. Der Mond ſchien eben ſo<lb/> hell auf die ſtille daͤmmernde Gegend, wie einſt, als<lb/> wir mit einander in den Kahn traten. Blaſſes<lb/> Gewoͤlke kuͤßte die verſchwimmenden Bilder der<lb/> Berge. Der Wind ſpielte, wie ein liebender Geiſt,<lb/> in den Blaͤttern; uͤberall war ein ſanftes, inniges<lb/> Wogen in der Natur, in den ſilbernen zitternden<lb/> Wellen, in dem wankenden Laube, in den Bildern<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [128/0128]
tem offenem Buſen, die gotttrunkenen Augen zu
einem großen Auge hebend, das uͤber ihr aus wal-
lendem Lichte quoll, womit er das Auge Gottes
bezeichnen wollte. Das wiederhohlt’ er hundertmal
und fuͤgte zuletzt immer ſeltſamere Bilder und Zei-
chen hinzu. Er verſchloß alles ſorgfaͤltig, was er
gebildet.
Wenn er einen ſchoͤnen weiſſen Knaben ſah,
druͤckt’ er ihn an den Buſen, weinte, nannt’ ihn
ein Kind der Sonne.
Gegen Erwachſene war er verſchloſſen und ge-
heimnißvoll. Die Worte Gott, Natur, kamen nie
auf ſeine Lippen.
Um dieſe Zeit erhielt er einen Brief von Ata-
lanta, der ſich ſchloß auf folgende Weiſe:
Jch ſtand am See. Der Mond ſchien eben ſo
hell auf die ſtille daͤmmernde Gegend, wie einſt, als
wir mit einander in den Kahn traten. Blaſſes
Gewoͤlke kuͤßte die verſchwimmenden Bilder der
Berge. Der Wind ſpielte, wie ein liebender Geiſt,
in den Blaͤttern; uͤberall war ein ſanftes, inniges
Wogen in der Natur, in den ſilbernen zitternden
Wellen, in dem wankenden Laube, in den Bildern
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