Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Waiblinger, Wilhelm: Phaëthon. Bd. 2. Stuttgart, 1823.

Bild:
<< vorherige Seite
Phaethon an Theodor.

Jch bin so empfindlich, so verletzbar. Das macht
mich unglücklich unter den Menschen. Wohin ich
mich bewege, stoß' ich an, und das schmerzt, und
wird nach und nach zu Einer großen, vielleicht un-
heilbaren Wunde.

Jch weiß nicht, ist's meine Schuld oder der
Menschen. Jeder nimmt mich nur theilweise,
nimmt mich nicht ganz: darum bin ich jedem ein
anderer und keinem der wahre, der ganze.

Jch würde verzweifeln in dieser Zeit: aber ein
unendlich seltsames Etwas fühl' ich quillen aus dem
Tief-Jnnersten, aus dem Geiste selbst, aus dem
Mittelpunkte meines Wesens, und gründen und
bilden aus all' der Fülle eine selige Einheit, schaf-
fen und ordnen darinn, und erzeugen ein volles,
jugendlichstrebendes Bewußtseyn.

Phaethon an Theodor.

Jch bin ſo empfindlich, ſo verletzbar. Das macht
mich ungluͤcklich unter den Menſchen. Wohin ich
mich bewege, ſtoß’ ich an, und das ſchmerzt, und
wird nach und nach zu Einer großen, vielleicht un-
heilbaren Wunde.

Jch weiß nicht, iſt’s meine Schuld oder der
Menſchen. Jeder nimmt mich nur theilweiſe,
nimmt mich nicht ganz: darum bin ich jedem ein
anderer und keinem der wahre, der ganze.

Jch wuͤrde verzweifeln in dieſer Zeit: aber ein
unendlich ſeltſames Etwas fuͤhl’ ich quillen aus dem
Tief-Jnnerſten, aus dem Geiſte ſelbſt, aus dem
Mittelpunkte meines Weſens, und gruͤnden und
bilden aus all’ der Fuͤlle eine ſelige Einheit, ſchaf-
fen und ordnen darinn, und erzeugen ein volles,
jugendlichſtrebendes Bewußtſeyn.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0089" n="89"/>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#g">Phaethon an Theodor.</hi> </head><lb/>
        <p><hi rendition="#in">J</hi>ch bin &#x017F;o empfindlich, &#x017F;o verletzbar. Das macht<lb/>
mich unglu&#x0364;cklich unter den Men&#x017F;chen. Wohin ich<lb/>
mich bewege, &#x017F;toß&#x2019; ich an, und das &#x017F;chmerzt, und<lb/>
wird nach und nach zu Einer großen, vielleicht un-<lb/>
heilbaren Wunde.</p><lb/>
        <p>Jch weiß nicht, i&#x017F;t&#x2019;s meine Schuld oder der<lb/>
Men&#x017F;chen. Jeder nimmt mich nur theilwei&#x017F;e,<lb/>
nimmt mich nicht ganz: darum bin ich jedem ein<lb/>
anderer und keinem der wahre, der ganze.</p><lb/>
        <p>Jch wu&#x0364;rde verzweifeln in die&#x017F;er Zeit: aber ein<lb/>
unendlich &#x017F;elt&#x017F;ames Etwas fu&#x0364;hl&#x2019; ich quillen aus dem<lb/>
Tief-Jnner&#x017F;ten, aus dem Gei&#x017F;te &#x017F;elb&#x017F;t, aus dem<lb/>
Mittelpunkte meines We&#x017F;ens, und gru&#x0364;nden und<lb/>
bilden aus all&#x2019; der Fu&#x0364;lle eine &#x017F;elige Einheit, &#x017F;chaf-<lb/>
fen und ordnen darinn, und erzeugen ein volles,<lb/>
jugendlich&#x017F;trebendes Bewußt&#x017F;eyn.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[89/0089] Phaethon an Theodor. Jch bin ſo empfindlich, ſo verletzbar. Das macht mich ungluͤcklich unter den Menſchen. Wohin ich mich bewege, ſtoß’ ich an, und das ſchmerzt, und wird nach und nach zu Einer großen, vielleicht un- heilbaren Wunde. Jch weiß nicht, iſt’s meine Schuld oder der Menſchen. Jeder nimmt mich nur theilweiſe, nimmt mich nicht ganz: darum bin ich jedem ein anderer und keinem der wahre, der ganze. Jch wuͤrde verzweifeln in dieſer Zeit: aber ein unendlich ſeltſames Etwas fuͤhl’ ich quillen aus dem Tief-Jnnerſten, aus dem Geiſte ſelbſt, aus dem Mittelpunkte meines Weſens, und gruͤnden und bilden aus all’ der Fuͤlle eine ſelige Einheit, ſchaf- fen und ordnen darinn, und erzeugen ein volles, jugendlichſtrebendes Bewußtſeyn.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/waiblinger_phaeton02_1823
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/waiblinger_phaeton02_1823/89
Zitationshilfe: Waiblinger, Wilhelm: Phaëthon. Bd. 2. Stuttgart, 1823, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/waiblinger_phaeton02_1823/89>, abgerufen am 21.11.2024.