O, wenn Sie den süßen, den immerdauernden Genuß eines guten Gewissens kennten! --
Es ist unbarmherzig von Jhnen, Herr Cele- stin, daß Sie mich nach etwas lüstern machen, was ich nicht haben kann. So was ist Pein für einen Thiermenschen, der gern alles genießen möch- te; also sagen Sie mir nichts mehr davon.
Sophie und Wilhelm Robert hatten eins am andern unsägliche Freude, sie sprachen wenig ernst- haft, lachten, scherzten und tändelten wie die Kin- der, hatten eins das andre an hundert kleine Strei- che und Possen zu erinnern, die sie in der Kind- heit zusammen ausgeführt, und schmeichelten ein- ander wie liebende Geschwister. Wilhelm hatte die ersten Tage besonders, alle Morgen was zu fragen oder zu erzählen, was er am vorigen Tage vergessen hatte und lief ohne Umstände zu seiner lieben Cousine. Sophie hatte ein andermal eben so dringende Angelegenheiten, konnte es nicht er- warten, bis er kam, sondern schickte wohl gar nach ihm. Sie vergaß, daß sich der allgemeine Hof-Cabinets- und Hausmahler Argus Lauer- hardt Verdacht beständig bereit hält, aus dem geringsten Anlaß ein historisches Gemählde zu ver- fertigen, daß er besonders die Gewohnheit hat, von der Wahrheit nur das Skelet zu nehmen,
und
O, wenn Sie den ſuͤßen, den immerdauernden Genuß eines guten Gewiſſens kennten! —
Es iſt unbarmherzig von Jhnen, Herr Cele- ſtin, daß Sie mich nach etwas luͤſtern machen, was ich nicht haben kann. So was iſt Pein fuͤr einen Thiermenſchen, der gern alles genießen moͤch- te; alſo ſagen Sie mir nichts mehr davon.
Sophie und Wilhelm Robert hatten eins am andern unſaͤgliche Freude, ſie ſprachen wenig ernſt- haft, lachten, ſcherzten und taͤndelten wie die Kin- der, hatten eins das andre an hundert kleine Strei- che und Poſſen zu erinnern, die ſie in der Kind- heit zuſammen ausgefuͤhrt, und ſchmeichelten ein- ander wie liebende Geſchwiſter. Wilhelm hatte die erſten Tage beſonders, alle Morgen was zu fragen oder zu erzaͤhlen, was er am vorigen Tage vergeſſen hatte und lief ohne Umſtaͤnde zu ſeiner lieben Couſine. Sophie hatte ein andermal eben ſo dringende Angelegenheiten, konnte es nicht er- warten, bis er kam, ſondern ſchickte wohl gar nach ihm. Sie vergaß, daß ſich der allgemeine Hof-Cabinets- und Hausmahler Argus Lauer- hardt Verdacht beſtaͤndig bereit haͤlt, aus dem geringſten Anlaß ein hiſtoriſches Gemaͤhlde zu ver- fertigen, daß er beſonders die Gewohnheit hat, von der Wahrheit nur das Skelet zu nehmen,
und
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O, wenn Sie den ſuͤßen, den immerdauernden
Genuß eines guten Gewiſſens kennten! —
Es iſt unbarmherzig von Jhnen, Herr Cele-
ſtin, daß Sie mich nach etwas luͤſtern machen,
was ich nicht haben kann. So was iſt Pein fuͤr
einen Thiermenſchen, der gern alles genießen moͤch-
te; alſo ſagen Sie mir nichts mehr davon.
Sophie und Wilhelm Robert hatten eins am
andern unſaͤgliche Freude, ſie ſprachen wenig ernſt-
haft, lachten, ſcherzten und taͤndelten wie die Kin-
der, hatten eins das andre an hundert kleine Strei-
che und Poſſen zu erinnern, die ſie in der Kind-
heit zuſammen ausgefuͤhrt, und ſchmeichelten ein-
ander wie liebende Geſchwiſter. Wilhelm hatte
die erſten Tage beſonders, alle Morgen was zu
fragen oder zu erzaͤhlen, was er am vorigen Tage
vergeſſen hatte und lief ohne Umſtaͤnde zu ſeiner
lieben Couſine. Sophie hatte ein andermal eben
ſo dringende Angelegenheiten, konnte es nicht er-
warten, bis er kam, ſondern ſchickte wohl gar
nach ihm. Sie vergaß, daß ſich der allgemeine
Hof-Cabinets- und Hausmahler Argus Lauer-
hardt Verdacht beſtaͤndig bereit haͤlt, aus dem
geringſten Anlaß ein hiſtoriſches Gemaͤhlde zu ver-
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Wallenrodt, Johanna Isabella Eleonore von: Fritz, der Mann wie er nicht seyn sollte oder die Folgen einer übeln Erziehung. Bd. 1. Gera, 1800, S. 342. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wallenrodt_fritz01_1800/348>, abgerufen am 21.11.2024.
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