Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wallenrodt, Johanna Isabella Eleonore von: Fritz, der Mann wie er nicht seyn sollte oder die Folgen einer übeln Erziehung. Bd. 2. Gera, 1800.

Bild:
<< vorherige Seite
sei, auch würde ich Geist, Verstand und Lebhaf-
tigkeit mit der Muttermilch einsaugen.

Sie beschloß nehmlich, da ich auf die Welt
kam, und sogleich ihre ganze Liebe als erstes Ge-
schenk überkam, mich selbst zu stillen; es war ihr
höchst angenehm, dies thun zu können, ohne dar-
um eine gemeine Frau zu scheinen, da, wie ihr zu
Ohren gekommen war, eine gewisse Fürstinn und
etliche andere sehr hohe Damen dieses Geschäft selbst
übernommen hatten. Nichts that sie also mit grö-
ßerm Vergnügen, als mich an die Brust zu legen,
obwohl ihr dies viel Schmerz verursachte, denn da
der schon im ersten Theil meiner Geschichte gedach-
te Trieb zu beißen in mir lag, so preßte ich, wenn
ich saugte, in Ermangelung der Zähne das Zahn-
fleisch fest zusammen, und nagte so an dem Pur-
purknöpfchen, welches meine Mutter mir in den
Mund gab, daß ich oft Blut und Milch zusam-
mengenoß. Sie sorgte für ein Mittel, die Wun-
den immer wieder zu heilen, und stillte mich die
ersten Tage meines Lebens täglich nur ein- oder
zweimal; man mußte mich dazwischen mit etwas
anderm abfertigen; Demnach gieng es lange noch
so mit, und des Schmerzes wurde, weil ihn Gold-
fritzel verursachte, nicht geachtet. Aber nach eini-
gen Wochen hatte ich das, woran ich saugen sollte,
völlig
ſei, auch wuͤrde ich Geiſt, Verſtand und Lebhaf-
tigkeit mit der Muttermilch einſaugen.

Sie beſchloß nehmlich, da ich auf die Welt
kam, und ſogleich ihre ganze Liebe als erſtes Ge-
ſchenk uͤberkam, mich ſelbſt zu ſtillen; es war ihr
hoͤchſt angenehm, dies thun zu koͤnnen, ohne dar-
um eine gemeine Frau zu ſcheinen, da, wie ihr zu
Ohren gekommen war, eine gewiſſe Fuͤrſtinn und
etliche andere ſehr hohe Damen dieſes Geſchaͤft ſelbſt
uͤbernommen hatten. Nichts that ſie alſo mit groͤ-
ßerm Vergnuͤgen, als mich an die Bruſt zu legen,
obwohl ihr dies viel Schmerz verurſachte, denn da
der ſchon im erſten Theil meiner Geſchichte gedach-
te Trieb zu beißen in mir lag, ſo preßte ich, wenn
ich ſaugte, in Ermangelung der Zaͤhne das Zahn-
fleiſch feſt zuſammen, und nagte ſo an dem Pur-
purknoͤpfchen, welches meine Mutter mir in den
Mund gab, daß ich oft Blut und Milch zuſam-
mengenoß. Sie ſorgte fuͤr ein Mittel, die Wun-
den immer wieder zu heilen, und ſtillte mich die
erſten Tage meines Lebens taͤglich nur ein- oder
zweimal; man mußte mich dazwiſchen mit etwas
anderm abfertigen; Demnach gieng es lange noch
ſo mit, und des Schmerzes wurde, weil ihn Gold-
fritzel verurſachte, nicht geachtet. Aber nach eini-
gen Wochen hatte ich das, woran ich ſaugen ſollte,
voͤllig
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <sp who="#SUS">
          <p><pb facs="#f0026" n="22"/>
&#x017F;ei, auch wu&#x0364;rde ich Gei&#x017F;t, Ver&#x017F;tand und Lebhaf-<lb/>
tigkeit mit der Muttermilch ein&#x017F;augen.</p><lb/>
          <p>Sie be&#x017F;chloß nehmlich, da ich auf die Welt<lb/>
kam, und &#x017F;ogleich ihre ganze Liebe als er&#x017F;tes Ge-<lb/>
&#x017F;chenk u&#x0364;berkam, mich &#x017F;elb&#x017F;t zu &#x017F;tillen; es war ihr<lb/>
ho&#x0364;ch&#x017F;t angenehm, dies thun zu ko&#x0364;nnen, ohne dar-<lb/>
um eine gemeine Frau zu &#x017F;cheinen, da, wie ihr zu<lb/>
Ohren gekommen war, eine gewi&#x017F;&#x017F;e Fu&#x0364;r&#x017F;tinn und<lb/>
etliche andere &#x017F;ehr hohe Damen die&#x017F;es Ge&#x017F;cha&#x0364;ft &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
u&#x0364;bernommen hatten. Nichts that &#x017F;ie al&#x017F;o mit gro&#x0364;-<lb/>
ßerm Vergnu&#x0364;gen, als mich an die Bru&#x017F;t zu legen,<lb/>
obwohl ihr dies viel Schmerz verur&#x017F;achte, denn da<lb/>
der &#x017F;chon im er&#x017F;ten Theil meiner Ge&#x017F;chichte gedach-<lb/>
te Trieb zu beißen in mir lag, &#x017F;o preßte ich, wenn<lb/>
ich &#x017F;augte, in Ermangelung der Za&#x0364;hne das Zahn-<lb/>
flei&#x017F;ch fe&#x017F;t zu&#x017F;ammen, und nagte &#x017F;o an dem Pur-<lb/>
purkno&#x0364;pfchen, welches meine Mutter mir in den<lb/>
Mund gab, daß ich oft Blut und Milch zu&#x017F;am-<lb/>
mengenoß. Sie &#x017F;orgte fu&#x0364;r ein Mittel, die Wun-<lb/>
den immer wieder zu heilen, und &#x017F;tillte mich die<lb/>
er&#x017F;ten Tage meines Lebens ta&#x0364;glich nur ein- oder<lb/>
zweimal; man mußte mich dazwi&#x017F;chen mit etwas<lb/>
anderm abfertigen; Demnach gieng es lange noch<lb/>
&#x017F;o mit, und des Schmerzes wurde, weil ihn Gold-<lb/>
fritzel verur&#x017F;achte, nicht geachtet. Aber nach eini-<lb/>
gen Wochen hatte ich das, woran ich &#x017F;augen &#x017F;ollte,<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">vo&#x0364;llig</fw><lb/></p>
        </sp>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[22/0026] ſei, auch wuͤrde ich Geiſt, Verſtand und Lebhaf- tigkeit mit der Muttermilch einſaugen. Sie beſchloß nehmlich, da ich auf die Welt kam, und ſogleich ihre ganze Liebe als erſtes Ge- ſchenk uͤberkam, mich ſelbſt zu ſtillen; es war ihr hoͤchſt angenehm, dies thun zu koͤnnen, ohne dar- um eine gemeine Frau zu ſcheinen, da, wie ihr zu Ohren gekommen war, eine gewiſſe Fuͤrſtinn und etliche andere ſehr hohe Damen dieſes Geſchaͤft ſelbſt uͤbernommen hatten. Nichts that ſie alſo mit groͤ- ßerm Vergnuͤgen, als mich an die Bruſt zu legen, obwohl ihr dies viel Schmerz verurſachte, denn da der ſchon im erſten Theil meiner Geſchichte gedach- te Trieb zu beißen in mir lag, ſo preßte ich, wenn ich ſaugte, in Ermangelung der Zaͤhne das Zahn- fleiſch feſt zuſammen, und nagte ſo an dem Pur- purknoͤpfchen, welches meine Mutter mir in den Mund gab, daß ich oft Blut und Milch zuſam- mengenoß. Sie ſorgte fuͤr ein Mittel, die Wun- den immer wieder zu heilen, und ſtillte mich die erſten Tage meines Lebens taͤglich nur ein- oder zweimal; man mußte mich dazwiſchen mit etwas anderm abfertigen; Demnach gieng es lange noch ſo mit, und des Schmerzes wurde, weil ihn Gold- fritzel verurſachte, nicht geachtet. Aber nach eini- gen Wochen hatte ich das, woran ich ſaugen ſollte, voͤllig

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wallenrodt_fritz02_1800
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wallenrodt_fritz02_1800/26
Zitationshilfe: Wallenrodt, Johanna Isabella Eleonore von: Fritz, der Mann wie er nicht seyn sollte oder die Folgen einer übeln Erziehung. Bd. 2. Gera, 1800, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wallenrodt_fritz02_1800/26>, abgerufen am 29.04.2024.