es nicht sogleich bemerken, fuhr fort sie zu liebko- sen, und stellte mich endlich verwundert, oder mehr empfindlich, daß sie meine Zärtlichkeiten nicht wie vorhin erwiedern, ja sich dagegen sträuben wollte. O Gott, sagte sie mit bebender Stimme, o Gott, wie unglücklich haben Sie mich gemacht! Unglück- lich? rief ich, halten Sie es für ein Unglück, Dor- chen, dem Bräutigam das gewährt zu haben, was der Ehemann in kurzer Zeit fordern konnte? Diese Frage schien ihrem Herzen zwar Erleichterung zu geben, aber nicht volle Beruhigung, sie blieb zu- rückhaltend, antwortete nur durch abgebrochene Worte auf alles, was ich sagte, und schleppte sich mehr als sie ging nach der Stadt zu, als fürchtete sie nach Hause zu kommen. Nah am Thore bat ich sie, sich zu fassen, weil ja sonst ihre Tante auf Verdacht gerathen würde; sie sah dies ein, nahm sich zusammen, trocknete ihre Thränen, und, ohne Zweifel um sich ganz fassen zu können, sagte sie: Schnitzer, wollen Sie jenen verbrecherischen Au- genblick aus ihrem Gedächtniß verbannen, und wie- der mein redlicher Fritz sein? wollen Sie von jetzt an keine Forderungen mehr haben, die nur der Ehe- mann machen kann? Jch versprach es feierlich, fand aber den Ausdruck verbrech erisch in unserm Ver- hältniß viel zu stark, und bot meine ganze Kunst
zu
es nicht ſogleich bemerken, fuhr fort ſie zu liebko- ſen, und ſtellte mich endlich verwundert, oder mehr empfindlich, daß ſie meine Zaͤrtlichkeiten nicht wie vorhin erwiedern, ja ſich dagegen ſtraͤuben wollte. O Gott, ſagte ſie mit bebender Stimme, o Gott, wie ungluͤcklich haben Sie mich gemacht! Ungluͤck- lich? rief ich, halten Sie es fuͤr ein Ungluͤck, Dor- chen, dem Braͤutigam das gewaͤhrt zu haben, was der Ehemann in kurzer Zeit fordern konnte? Dieſe Frage ſchien ihrem Herzen zwar Erleichterung zu geben, aber nicht volle Beruhigung, ſie blieb zu- ruͤckhaltend, antwortete nur durch abgebrochene Worte auf alles, was ich ſagte, und ſchleppte ſich mehr als ſie ging nach der Stadt zu, als fuͤrchtete ſie nach Hauſe zu kommen. Nah am Thore bat ich ſie, ſich zu faſſen, weil ja ſonſt ihre Tante auf Verdacht gerathen wuͤrde; ſie ſah dies ein, nahm ſich zuſammen, trocknete ihre Thraͤnen, und, ohne Zweifel um ſich ganz faſſen zu koͤnnen, ſagte ſie: Schnitzer, wollen Sie jenen verbrecheriſchen Au- genblick aus ihrem Gedaͤchtniß verbannen, und wie- der mein redlicher Fritz ſein? wollen Sie von jetzt an keine Forderungen mehr haben, die nur der Ehe- mann machen kann? Jch verſprach es feierlich, fand aber den Ausdruck verbrech eriſch in unſerm Ver- haͤltniß viel zu ſtark, und bot meine ganze Kunſt
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es nicht ſogleich bemerken, fuhr fort ſie zu liebko-
ſen, und ſtellte mich endlich verwundert, oder mehr
empfindlich, daß ſie meine Zaͤrtlichkeiten nicht wie
vorhin erwiedern, ja ſich dagegen ſtraͤuben wollte.
O Gott, ſagte ſie mit bebender Stimme, o Gott,
wie ungluͤcklich haben Sie mich gemacht! Ungluͤck-
lich? rief ich, halten Sie es fuͤr ein Ungluͤck, Dor-
chen, dem Braͤutigam das gewaͤhrt zu haben, was
der Ehemann in kurzer Zeit fordern konnte? Dieſe
Frage ſchien ihrem Herzen zwar Erleichterung zu
geben, aber nicht volle Beruhigung, ſie blieb zu-
ruͤckhaltend, antwortete nur durch abgebrochene
Worte auf alles, was ich ſagte, und ſchleppte ſich
mehr als ſie ging nach der Stadt zu, als fuͤrchtete
ſie nach Hauſe zu kommen. Nah am Thore bat
ich ſie, ſich zu faſſen, weil ja ſonſt ihre Tante auf
Verdacht gerathen wuͤrde; ſie ſah dies ein, nahm
ſich zuſammen, trocknete ihre Thraͤnen, und, ohne
Zweifel um ſich ganz faſſen zu koͤnnen, ſagte ſie:
Schnitzer, wollen Sie jenen verbrecheriſchen Au-
genblick aus ihrem Gedaͤchtniß verbannen, und wie-
der mein redlicher Fritz ſein? wollen Sie von jetzt
an keine Forderungen mehr haben, die nur der Ehe-
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Wallenrodt, Johanna Isabella Eleonore von: Fritz, der Mann wie er nicht seyn sollte oder die Folgen einer übeln Erziehung. Bd. 2. Gera, 1800, S. 326. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wallenrodt_fritz02_1800/330>, abgerufen am 22.11.2024.
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