Zweiter Abschnitt, welcher die Begebenheiten von meinem siebenten bis ins zwölfte Jahr enthält.
Mein Vater hatte nur wenige Wochen vor sei- nem Tode an Onele Petern geschrieben und Abschied von ihm genommen, weil er sein Ende nahe fühlte. Peter wollte ihn vor demselben noch einmal sehen, kam also einige Tage vorher an. Seine Gegenwart brachte dem Sterbenden die letzte Freude, und für meine Mutter die Nothwendigkeit mit, zehnmal zärtlicher um den letzten besorgt, und zehnmal be- trübter, da er diese Sorge nicht mehr nöthig hat- te, zu thun, als es ohnehin die einstudirte Politik wollte. Ohnmachten standen ihr zu Geboth, sie ließ deren am Sterbetage ihres im Leben theuer gewesenen Gatten drei bis vier hinter einander auf- marschiren, und mußte zu Bette gebracht werden, so matt war sie. Das gefiel Petern gar wohl, auch hatte er herzliches Mitleiden mit der betrübten Wittwe, tröstete sie mit allen Bibelstellen und Ver- sen aus Gesangbüchern, die sich auf eine solche
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2 r Theil. F
Zweiter Abſchnitt, welcher die Begebenheiten von meinem ſiebenten bis ins zwoͤlfte Jahr enthaͤlt.
Mein Vater hatte nur wenige Wochen vor ſei- nem Tode an Onele Petern geſchrieben und Abſchied von ihm genommen, weil er ſein Ende nahe fuͤhlte. Peter wollte ihn vor demſelben noch einmal ſehen, kam alſo einige Tage vorher an. Seine Gegenwart brachte dem Sterbenden die letzte Freude, und fuͤr meine Mutter die Nothwendigkeit mit, zehnmal zaͤrtlicher um den letzten beſorgt, und zehnmal be- truͤbter, da er dieſe Sorge nicht mehr noͤthig hat- te, zu thun, als es ohnehin die einſtudirte Politik wollte. Ohnmachten ſtanden ihr zu Geboth, ſie ließ deren am Sterbetage ihres im Leben theuer geweſenen Gatten drei bis vier hinter einander auf- marſchiren, und mußte zu Bette gebracht werden, ſo matt war ſie. Das gefiel Petern gar wohl, auch hatte er herzliches Mitleiden mit der betruͤbten Wittwe, troͤſtete ſie mit allen Bibelſtellen und Ver- ſen aus Geſangbuͤchern, die ſich auf eine ſolche
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[81/0085]
Zweiter Abſchnitt,
welcher die Begebenheiten von meinem ſiebenten
bis ins zwoͤlfte Jahr enthaͤlt.
Mein Vater hatte nur wenige Wochen vor ſei-
nem Tode an Onele Petern geſchrieben und Abſchied
von ihm genommen, weil er ſein Ende nahe fuͤhlte.
Peter wollte ihn vor demſelben noch einmal ſehen,
kam alſo einige Tage vorher an. Seine Gegenwart
brachte dem Sterbenden die letzte Freude, und fuͤr
meine Mutter die Nothwendigkeit mit, zehnmal
zaͤrtlicher um den letzten beſorgt, und zehnmal be-
truͤbter, da er dieſe Sorge nicht mehr noͤthig hat-
te, zu thun, als es ohnehin die einſtudirte Politik
wollte. Ohnmachten ſtanden ihr zu Geboth, ſie
ließ deren am Sterbetage ihres im Leben theuer
geweſenen Gatten drei bis vier hinter einander auf-
marſchiren, und mußte zu Bette gebracht werden,
ſo matt war ſie. Das gefiel Petern gar wohl, auch
hatte er herzliches Mitleiden mit der betruͤbten
Wittwe, troͤſtete ſie mit allen Bibelſtellen und Ver-
ſen aus Geſangbuͤchern, die ſich auf eine ſolche
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Wallenrodt, Johanna Isabella Eleonore von: Fritz, der Mann wie er nicht seyn sollte oder die Folgen einer übeln Erziehung. Bd. 2. Gera, 1800, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wallenrodt_fritz02_1800/85>, abgerufen am 14.05.2024.
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