Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wallenrodt, Johanna Isabella Eleonore von: Fritz, der Mann wie er nicht seyn sollte oder die Folgen einer übeln Erziehung. Bd. 2. Gera, 1800.

Bild:
<< vorherige Seite

geschieht nie, und am liebsten bitten sie vorneh-
mere Leute zu Gevattern. Dieß thun sie nicht,
wie man glauben sollte, blos um des Eingebinds
willen, denn der Kindtaufschmauß kostet immer
mehr, als sie dadurch bekommen; und sie fühlen
sich sehr gekränkt, wenn die vornehmen Pathen
nicht dabei erscheinen. Es geschieht also blos, weil
sie sich viel darauf zu Gute thun, daß ihr Kind
auf eine vompöse Art zur Taufe gefahren, und mit
Feierlichkeit dabei behandelt wird, die Nahmen
der vornehmen Pathen erhält, kurz, weil ihm auf
diese Art die erste und zwar eben diese Ehrenbe-
zeugung wiederfährt, als wäre es ein Kind von
den größten Ansprüchen.

Meine Mutter glaubte zwar nicht, daß sie
unter die geringern Stände gehörte, und wenn sie
vollends bedachte, was sie noch werden wollte, so
rechnete sie sich völlig, nicht allein unter die Honora-
tiores, sondern unter die großen Herrschaften; aber
dieser Einbildung zum Possen strebten Hang und
Neigung des gemeinen Standes bei allen Gelegen-
heiten hervor. Da nun der Egoismus bei ihr in
zehnfacher Dosis zu finden war, so machte dieß
zusammen zuweilen komischen, zuweilen tragischen,
immer sehr auffallenden und zugleich widersprechen-
den Effect.

Dieß
A 3

geſchieht nie, und am liebſten bitten ſie vorneh-
mere Leute zu Gevattern. Dieß thun ſie nicht,
wie man glauben ſollte, blos um des Eingebinds
willen, denn der Kindtaufſchmauß koſtet immer
mehr, als ſie dadurch bekommen; und ſie fuͤhlen
ſich ſehr gekraͤnkt, wenn die vornehmen Pathen
nicht dabei erſcheinen. Es geſchieht alſo blos, weil
ſie ſich viel darauf zu Gute thun, daß ihr Kind
auf eine vompoͤſe Art zur Taufe gefahren, und mit
Feierlichkeit dabei behandelt wird, die Nahmen
der vornehmen Pathen erhaͤlt, kurz, weil ihm auf
dieſe Art die erſte und zwar eben dieſe Ehrenbe-
zeugung wiederfaͤhrt, als waͤre es ein Kind von
den groͤßten Anſpruͤchen.

Meine Mutter glaubte zwar nicht, daß ſie
unter die geringern Staͤnde gehoͤrte, und wenn ſie
vollends bedachte, was ſie noch werden wollte, ſo
rechnete ſie ſich voͤllig, nicht allein unter die Honora-
tiores, ſondern unter die großen Herrſchaften; aber
dieſer Einbildung zum Poſſen ſtrebten Hang und
Neigung des gemeinen Standes bei allen Gelegen-
heiten hervor. Da nun der Egoismus bei ihr in
zehnfacher Doſis zu finden war, ſo machte dieß
zuſammen zuweilen komiſchen, zuweilen tragiſchen,
immer ſehr auffallenden und zugleich widerſprechen-
den Effect.

Dieß
A 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0009" n="5"/>
ge&#x017F;chieht nie, und am lieb&#x017F;ten bitten &#x017F;ie vorneh-<lb/>
mere Leute zu Gevattern. Dieß thun &#x017F;ie nicht,<lb/>
wie man glauben &#x017F;ollte, blos um des Eingebinds<lb/>
willen, denn der Kindtauf&#x017F;chmauß ko&#x017F;tet immer<lb/>
mehr, als &#x017F;ie dadurch bekommen; und &#x017F;ie fu&#x0364;hlen<lb/>
&#x017F;ich &#x017F;ehr gekra&#x0364;nkt, wenn die vornehmen Pathen<lb/>
nicht dabei er&#x017F;cheinen. Es ge&#x017F;chieht al&#x017F;o blos, weil<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;ich viel darauf zu Gute thun, daß ihr Kind<lb/>
auf eine vompo&#x0364;&#x017F;e Art zur Taufe gefahren, und mit<lb/>
Feierlichkeit dabei behandelt wird, die Nahmen<lb/>
der vornehmen Pathen erha&#x0364;lt, kurz, weil ihm auf<lb/>
die&#x017F;e Art die er&#x017F;te und zwar eben die&#x017F;e Ehrenbe-<lb/>
zeugung wiederfa&#x0364;hrt, als wa&#x0364;re es ein Kind von<lb/>
den gro&#x0364;ßten An&#x017F;pru&#x0364;chen.</p><lb/>
        <p>Meine Mutter glaubte zwar nicht, daß &#x017F;ie<lb/>
unter die geringern Sta&#x0364;nde geho&#x0364;rte, und wenn &#x017F;ie<lb/>
vollends bedachte, was &#x017F;ie noch werden wollte, &#x017F;o<lb/>
rechnete &#x017F;ie &#x017F;ich vo&#x0364;llig, nicht allein unter die Honora-<lb/>
tiores, &#x017F;ondern unter die großen Herr&#x017F;chaften; aber<lb/>
die&#x017F;er Einbildung zum Po&#x017F;&#x017F;en &#x017F;trebten Hang und<lb/>
Neigung des gemeinen Standes bei allen Gelegen-<lb/>
heiten hervor. Da nun der Egoismus bei ihr in<lb/>
zehnfacher Do&#x017F;is zu finden war, &#x017F;o machte dieß<lb/>
zu&#x017F;ammen zuweilen komi&#x017F;chen, zuweilen tragi&#x017F;chen,<lb/>
immer &#x017F;ehr auffallenden und zugleich wider&#x017F;prechen-<lb/>
den Effect.</p><lb/>
        <fw place="bottom" type="sig">A 3</fw>
        <fw place="bottom" type="catch">Dieß</fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[5/0009] geſchieht nie, und am liebſten bitten ſie vorneh- mere Leute zu Gevattern. Dieß thun ſie nicht, wie man glauben ſollte, blos um des Eingebinds willen, denn der Kindtaufſchmauß koſtet immer mehr, als ſie dadurch bekommen; und ſie fuͤhlen ſich ſehr gekraͤnkt, wenn die vornehmen Pathen nicht dabei erſcheinen. Es geſchieht alſo blos, weil ſie ſich viel darauf zu Gute thun, daß ihr Kind auf eine vompoͤſe Art zur Taufe gefahren, und mit Feierlichkeit dabei behandelt wird, die Nahmen der vornehmen Pathen erhaͤlt, kurz, weil ihm auf dieſe Art die erſte und zwar eben dieſe Ehrenbe- zeugung wiederfaͤhrt, als waͤre es ein Kind von den groͤßten Anſpruͤchen. Meine Mutter glaubte zwar nicht, daß ſie unter die geringern Staͤnde gehoͤrte, und wenn ſie vollends bedachte, was ſie noch werden wollte, ſo rechnete ſie ſich voͤllig, nicht allein unter die Honora- tiores, ſondern unter die großen Herrſchaften; aber dieſer Einbildung zum Poſſen ſtrebten Hang und Neigung des gemeinen Standes bei allen Gelegen- heiten hervor. Da nun der Egoismus bei ihr in zehnfacher Doſis zu finden war, ſo machte dieß zuſammen zuweilen komiſchen, zuweilen tragiſchen, immer ſehr auffallenden und zugleich widerſprechen- den Effect. Dieß A 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wallenrodt_fritz02_1800
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wallenrodt_fritz02_1800/9
Zitationshilfe: Wallenrodt, Johanna Isabella Eleonore von: Fritz, der Mann wie er nicht seyn sollte oder die Folgen einer übeln Erziehung. Bd. 2. Gera, 1800, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wallenrodt_fritz02_1800/9>, abgerufen am 29.04.2024.