Weber, Max: Wissenschaft als Beruf. In: Geistige Arbeit als Beruf. Vier Vorträge vor dem Freistudentischen Bund. Erster Vortrag. München, 1919.wie Helmholtz mit naturwissenschaftlicher Genauigkeit für sich Nun: ob jemand wissenschaftliche Eingebungen hat, das wie Helmholtz mit naturwiſſenſchaftlicher Genauigkeit für ſich Nun: ob jemand wiſſenſchaftliche Eingebungen hat, das <TEI> <text> <body> <div> <p><pb facs="#f0011" n="12"/> wie Helmholtz mit naturwiſſenſchaftlicher Genauigkeit für ſich<lb/> angibt: beim Spaziergang auf langſam ſteigender Straße, oder<lb/> ähnlich, jedenfalls aber dann, wenn man ſie nicht erwartet,<lb/> einfallen, und nicht während des Grübelns und Suchens am<lb/> Schreibtiſch. Sie wären einem nur freilich nicht eingefallen,<lb/> wenn man jenes Grübeln am Schreibtiſch und wenn man das<lb/> leidenſchaftliche Fragen nicht hinter ſich gehabt hätte. Wie<lb/> dem aber ſei: – dieſen Hazard, der bei jeder wiſſenſchaftlichen<lb/> Arbeit mit unterläuft: kommt die „Eingebung“ oder nicht?<lb/> auch den muß der wiſſenſchaftliche Arbeiter in Kauf nehmen.<lb/> Es kann einer ein vorzüglicher Arbeiter ſein und doch nie<lb/> einen eigenen wertvollen Einfall gehabt haben. Nur iſt es ein<lb/> ſchwerer Jrrtum, zu glauben, das ſei nur in der Wiſſenſchaft<lb/> ſo und z. B. in einem Kontor gehe es etwa anders zu wie in<lb/> einem Laboratorium. Ein Kaufmann oder Großinduſtrieller<lb/> ohne „kaufmänniſche Phantaſie“, d. h. ohne Einfälle, geniale<lb/> Einfälle, der iſt ſein Leben lang nur ein Mann, der am beſten<lb/> Kommis oder techniſcher Beamter bliebe: nie wird er organi-<lb/> ſatoriſche Neuſchöpfungen geſtalten. Die Eingebung ſpielt<lb/> auf dem Gebiete der Wiſſenſchaft ganz und gar nicht – wie<lb/> ſich der Gelehrtendünkel einbildet – eine größere Rolle als<lb/> auf dem Gebiete der Bewältigung von Problemen des prak-<lb/> tiſchen Lebens durch einen modernen Unternehmer. Und ſie<lb/> ſpielt andererſeits – was auch oft verkannt wird – keine ge-<lb/> ringere Rolle als auf dem Gebiete der Kunſt. Es iſt eine<lb/> kindliche Vorſtellung, daß ein Mathematiker an einem Schreibtiſch<lb/> mit einem Lineal oder mit anderen mechaniſchen Mitteln oder<lb/> Rechenmaſchinen zu irgendwelchem wiſſenſchaftlich wertvollen<lb/> Reſultat käme: die mathematiſche Phantaſie eines Weierſtraß iſt<lb/> natürlich dem Sinn und Reſultat nach ganz anders ausgerichtet<lb/> als die eines Künſtlers und qualitativ von ihr grundverſchieden.<lb/> Aber nicht dem pſychologiſchen Vorgang nach. Beide ſind:<lb/> Rauſch (im Sinne von Platons „Mania“) und „Eingebung“.</p><lb/> <p>Nun: ob jemand wiſſenſchaftliche Eingebungen hat, das<lb/> hängt ab von uns verborgenen Schickſalen, außerdem aber<lb/> von „Gabe“. Nicht zuletzt auf Grund jener zweifelloſen<lb/> Wahrheit hat nun eine ganz begreiflicherweiſe gerade bei der<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [12/0011]
wie Helmholtz mit naturwiſſenſchaftlicher Genauigkeit für ſich
angibt: beim Spaziergang auf langſam ſteigender Straße, oder
ähnlich, jedenfalls aber dann, wenn man ſie nicht erwartet,
einfallen, und nicht während des Grübelns und Suchens am
Schreibtiſch. Sie wären einem nur freilich nicht eingefallen,
wenn man jenes Grübeln am Schreibtiſch und wenn man das
leidenſchaftliche Fragen nicht hinter ſich gehabt hätte. Wie
dem aber ſei: – dieſen Hazard, der bei jeder wiſſenſchaftlichen
Arbeit mit unterläuft: kommt die „Eingebung“ oder nicht?
auch den muß der wiſſenſchaftliche Arbeiter in Kauf nehmen.
Es kann einer ein vorzüglicher Arbeiter ſein und doch nie
einen eigenen wertvollen Einfall gehabt haben. Nur iſt es ein
ſchwerer Jrrtum, zu glauben, das ſei nur in der Wiſſenſchaft
ſo und z. B. in einem Kontor gehe es etwa anders zu wie in
einem Laboratorium. Ein Kaufmann oder Großinduſtrieller
ohne „kaufmänniſche Phantaſie“, d. h. ohne Einfälle, geniale
Einfälle, der iſt ſein Leben lang nur ein Mann, der am beſten
Kommis oder techniſcher Beamter bliebe: nie wird er organi-
ſatoriſche Neuſchöpfungen geſtalten. Die Eingebung ſpielt
auf dem Gebiete der Wiſſenſchaft ganz und gar nicht – wie
ſich der Gelehrtendünkel einbildet – eine größere Rolle als
auf dem Gebiete der Bewältigung von Problemen des prak-
tiſchen Lebens durch einen modernen Unternehmer. Und ſie
ſpielt andererſeits – was auch oft verkannt wird – keine ge-
ringere Rolle als auf dem Gebiete der Kunſt. Es iſt eine
kindliche Vorſtellung, daß ein Mathematiker an einem Schreibtiſch
mit einem Lineal oder mit anderen mechaniſchen Mitteln oder
Rechenmaſchinen zu irgendwelchem wiſſenſchaftlich wertvollen
Reſultat käme: die mathematiſche Phantaſie eines Weierſtraß iſt
natürlich dem Sinn und Reſultat nach ganz anders ausgerichtet
als die eines Künſtlers und qualitativ von ihr grundverſchieden.
Aber nicht dem pſychologiſchen Vorgang nach. Beide ſind:
Rauſch (im Sinne von Platons „Mania“) und „Eingebung“.
Nun: ob jemand wiſſenſchaftliche Eingebungen hat, das
hängt ab von uns verborgenen Schickſalen, außerdem aber
von „Gabe“. Nicht zuletzt auf Grund jener zweifelloſen
Wahrheit hat nun eine ganz begreiflicherweiſe gerade bei der
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription.
(2018-02-07T08:13:52Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2018-02-07T08:13:52Z)
Weitere Informationen:Bogensignaturen: übernommen; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): transkribiert; Normalisierungen: dokumentiert; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |