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Wedekind, Frank: Frühlings Erwachen. Zürich, 1891.

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Wendla (zugleich). Eine Bettlade hält er unterm Kinn,
fiedelt die Wacht am Rhein drauf -- -- eben biegt er um die
Ecke ...
Frau Bergmann. Du bist und bleibst doch ein Kinds-
kopf! -- Deine alte einfältige Mutter so in Schrecken jagen! --
Geh, nimm deinen Hut. Nimmt mich Wunder, wann bei dir einmal
der Verstand kommt. -- Ich habe die Hoffnung aufgegeben.
Wendla. Ich auch, Mütterchen, ich auch. -- Um meinen
Verstand ist es ein traurig Ding. -- Hab' ich nun eine Schwester,
die ist seit zwei und einem halben Jahre verheirathet, und ich
selber bin zum dritten Male Tante geworden, und habe gar
keinen Begriff, wie das alles zugeht ... Nicht böse werden,
Mütterchen; nicht böse werden! Wen in der Welt soll ich denn
fragen als dich! Bitte, liebe Mutter, sag es mir! Sag's mir,
geliebtes Mütterchen! Ich schäme mich vor mir selber. Ich bitte
dich, Mutter, sprich! Schilt mich nicht, daß ich so etwas frage.
Gieb mir Antwort -- wie geht es zu? -- wie kommt das alles?
-- Du kannst doch im Ernst nicht verlangen, daß ich bei meinen
vierzehn Jahren noch an den Storch glaube.
Frau Bergmann. Aber du großer Gott, Kind, wie bist
du sonderbar! -- Was du für Einfälle hast! -- Das kann ich
ja doch wahrhaftig nicht!
Wendla. Warum denn nicht, Mutter! -- Warum denn
nicht! -- Es kann ja doch nichts Häßliches sein, wenn sich Alles
darüber freut!
Frau Bergmann. O -- o Gott behüte mich! -- Ich
verdiente ja ... Geh', zieh' dich an, Mädchen; zieh' dich an!
Wendla. Ich gehe, ... Und wenn dein Kind nun hingeht
und fragt den Schornsteinfeger?
Frau Bergmann. Aber das ist ja zum Närrischwerden!
-- Komm' Kind, komm' her, ich sag' es dir! Ich sage dir
Wedekind, Frühlings-Erwachen. 3
Wendla (zugleich). Eine Bettlade hält er unterm Kinn,
fiedelt die Wacht am Rhein drauf — — eben biegt er um die
Ecke …
Frau Bergmann. Du biſt und bleibſt doch ein Kinds-
kopf! — Deine alte einfältige Mutter ſo in Schrecken jagen! —
Geh, nimm deinen Hut. Nimmt mich Wunder, wann bei dir einmal
der Verſtand kommt. — Ich habe die Hoffnung aufgegeben.
Wendla. Ich auch, Mütterchen, ich auch. — Um meinen
Verſtand iſt es ein traurig Ding. — Hab' ich nun eine Schweſter,
die iſt ſeit zwei und einem halben Jahre verheirathet, und ich
ſelber bin zum dritten Male Tante geworden, und habe gar
keinen Begriff, wie das alles zugeht … Nicht böſe werden,
Mütterchen; nicht böſe werden! Wen in der Welt ſoll ich denn
fragen als dich! Bitte, liebe Mutter, ſag es mir! Sag's mir,
geliebtes Mütterchen! Ich ſchäme mich vor mir ſelber. Ich bitte
dich, Mutter, ſprich! Schilt mich nicht, daß ich ſo etwas frage.
Gieb mir Antwort — wie geht es zu? — wie kommt das alles?
— Du kannſt doch im Ernſt nicht verlangen, daß ich bei meinen
vierzehn Jahren noch an den Storch glaube.
Frau Bergmann. Aber du großer Gott, Kind, wie biſt
du ſonderbar! — Was du für Einfälle haſt! — Das kann ich
ja doch wahrhaftig nicht!
Wendla. Warum denn nicht, Mutter! — Warum denn
nicht! — Es kann ja doch nichts Häßliches ſein, wenn ſich Alles
darüber freut!
Frau Bergmann. O — o Gott behüte mich! — Ich
verdiente ja … Geh', zieh' dich an, Mädchen; zieh' dich an!
Wendla. Ich gehe, … Und wenn dein Kind nun hingeht
und fragt den Schornſteinfeger?
Frau Bergmann. Aber das iſt ja zum Närriſchwerden!
— Komm' Kind, komm' her, ich ſag' es dir! Ich ſage dir
Wedekind, Frühlings-Erwachen. 3
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[33/0049] Wendla (zugleich). Eine Bettlade hält er unterm Kinn, fiedelt die Wacht am Rhein drauf — — eben biegt er um die Ecke … Frau Bergmann. Du biſt und bleibſt doch ein Kinds- kopf! — Deine alte einfältige Mutter ſo in Schrecken jagen! — Geh, nimm deinen Hut. Nimmt mich Wunder, wann bei dir einmal der Verſtand kommt. — Ich habe die Hoffnung aufgegeben. Wendla. Ich auch, Mütterchen, ich auch. — Um meinen Verſtand iſt es ein traurig Ding. — Hab' ich nun eine Schweſter, die iſt ſeit zwei und einem halben Jahre verheirathet, und ich ſelber bin zum dritten Male Tante geworden, und habe gar keinen Begriff, wie das alles zugeht … Nicht böſe werden, Mütterchen; nicht böſe werden! Wen in der Welt ſoll ich denn fragen als dich! Bitte, liebe Mutter, ſag es mir! Sag's mir, geliebtes Mütterchen! Ich ſchäme mich vor mir ſelber. Ich bitte dich, Mutter, ſprich! Schilt mich nicht, daß ich ſo etwas frage. Gieb mir Antwort — wie geht es zu? — wie kommt das alles? — Du kannſt doch im Ernſt nicht verlangen, daß ich bei meinen vierzehn Jahren noch an den Storch glaube. Frau Bergmann. Aber du großer Gott, Kind, wie biſt du ſonderbar! — Was du für Einfälle haſt! — Das kann ich ja doch wahrhaftig nicht! Wendla. Warum denn nicht, Mutter! — Warum denn nicht! — Es kann ja doch nichts Häßliches ſein, wenn ſich Alles darüber freut! Frau Bergmann. O — o Gott behüte mich! — Ich verdiente ja … Geh', zieh' dich an, Mädchen; zieh' dich an! Wendla. Ich gehe, … Und wenn dein Kind nun hingeht und fragt den Schornſteinfeger? Frau Bergmann. Aber das iſt ja zum Närriſchwerden! — Komm' Kind, komm' her, ich ſag' es dir! Ich ſage dir Wedekind, Frühlings-Erwachen. 3

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




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Zitationshilfe: Wedekind, Frank: Frühlings Erwachen. Zürich, 1891, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wedekind_erwachen_1891/49>, abgerufen am 21.11.2024.