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Wehrli, Max: Allgemeine Literaturwissenschaft. Zweite, durchgesehen Auflage. Bern u. a., 1969.

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die "außerästhetischen" d. h. inhaltlichen Faktoren der Wertung pwe_111.002
zur Geltung zu bringen.

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Strenge Stilkritik versteht sich aber kaum je als Formalismus, sondern pwe_111.004
will im Gegenteil meistens ein Kunstwerk im Hinblick auf die Gesamtheit pwe_111.005
der menschlichen Existenz auffassen (vgl. z. B. Th. Spoerri, Die Formwerdung pwe_111.006
des Menschen).
Unstimmigkeit, Spannungen zwischen ästhetischen pwe_111.007
und außerästhetischen Belangen würden sich bei einer tieferen Fassung des pwe_111.008
Begriffs "Stil" im Werk selbst nachweisen lassen, mit andern Worten: das pwe_111.009
Schöne, das Wahre und das Gute müssen sich letztlich als Eines erweisen; das pwe_111.010
ist ein unausgesprochenes Postulat der Stilkritik. Wie weit damit ein Begriff pwe_111.011
wie Stil und Schönheit überspannt ist, bleibt allerdings noch offen. Es pwe_111.012
bedeutet hiefür schon ein verdächtiges Indiz, daß der Begriff "reiner" pwe_111.013
Poesie gewöhnlich aus liedhafter Lyrik gewonnen wird und die Stilkritik pwe_111.014
überhaupt wohl der Lyrik am glücklichsten begegnet. Die Divina Commedia pwe_111.015
ist zwar keine "unreine" Poesie, aber die Transzendenz des Werkes ins pwe_111.016
Inhaltliche, ja Lehrmäßige ist hier so stark und die Spannung zwischen pwe_111.017
sinnlich-dichterischer und übersinnlich-religiöser Welt hier so energisch, daß pwe_111.018
Begriffe wie dichterische Reinheit oder Schönheit an Gewicht verlieren. pwe_111.019
(Nur im Bereich der Mystik scheint eine Kongruenz dichterischer und religiöser pwe_111.020
Aussage möglich - vgl. E. Hederer1 -, auch wenn dann noch der pwe_111.021
Unterschied zwischen mystischer Erleuchtung und Dichtung - "a motion pwe_111.022
terminating in an arrangement of words on paper", wie T. S. Eliot pwe_111.023
sagt - nicht zu übersehen ist). Und dann zieht man gerne der Bezeichnung pwe_111.024
"Schönheit" die der "Größe" vor, worunter auch der Schillersche pwe_111.025
Begriff des "Erhabenen" fallen würde. Der Gegensatz von Schönheit und pwe_111.026
Größe in diesem Sinne kann nur auf die Unterscheidung ästhetisch-außerästhetisch pwe_111.027
bezogen werden. Doch ist damit nicht mehr der Fall gemeint, pwe_111.028
wo aus einem Werk eine inhaltliche Tendenz abstrahiert und gegen das pwe_111.029
Werk wertend ausgespielt wird (etwa der von Kayser besprochene Streit pwe_111.030
um den angeblich unmoralischen Ehebruchsroman von Madame Bovary); pwe_111.031
hier steht im Grunde nicht Moral oder Glaube gegen Kunst, sondern ein pwe_111.032
alter Stil gegen einen neuen, wobei sich die Anwälte des alten Stils pwe_111.033
werkfremde moralische Argumente borgen. Das betont auch Pottle2 in pwe_111.034
seinem wenig belangreichen Kapitel "The Moral Evaluation of Literature". pwe_111.035
Gemeint ist vielmehr die im Kunstwerk selbst sich ereignende Transzendenz pwe_111.036
des Kunstwerks. So ist wohl auch der bei Wellek-Warren zitierte, scheinbar pwe_111.037
paradoxe Ausspruch Eliots zu verstehen: The ,greatness' of literature pwe_111.038
cannot be determined solely by literary standards, though we must remember,

1 pwe_111.039
Edgar Hederer, Mystik und Lyrik. München und Berlin 1941.
2 pwe_111.040
Frederick A. Pottle, The Idiom of Poetry, 2nd edition, Ithaca N. Y. 1946.

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die „außerästhetischen“ d. h. inhaltlichen Faktoren der Wertung pwe_111.002
zur Geltung zu bringen.

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  Strenge Stilkritik versteht sich aber kaum je als Formalismus, sondern pwe_111.004
will im Gegenteil meistens ein Kunstwerk im Hinblick auf die Gesamtheit pwe_111.005
der menschlichen Existenz auffassen (vgl. z. B. Th. Spoerri, Die Formwerdung pwe_111.006
des Menschen).
Unstimmigkeit, Spannungen zwischen ästhetischen pwe_111.007
und außerästhetischen Belangen würden sich bei einer tieferen Fassung des pwe_111.008
Begriffs „Stil“ im Werk selbst nachweisen lassen, mit andern Worten: das pwe_111.009
Schöne, das Wahre und das Gute müssen sich letztlich als Eines erweisen; das pwe_111.010
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Poesie gewöhnlich aus liedhafter Lyrik gewonnen wird und die Stilkritik pwe_111.014
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ist zwar keine „unreine“ Poesie, aber die Transzendenz des Werkes ins pwe_111.016
Inhaltliche, ja Lehrmäßige ist hier so stark und die Spannung zwischen pwe_111.017
sinnlich-dichterischer und übersinnlich-religiöser Welt hier so energisch, daß pwe_111.018
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Aussage möglich – vgl. E. Hederer1 –, auch wenn dann noch der pwe_111.021
Unterschied zwischen mystischer Erleuchtung und Dichtung – „a motion pwe_111.022
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„Schönheit“ die der „Größe“ vor, worunter auch der Schillersche pwe_111.025
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Größe in diesem Sinne kann nur auf die Unterscheidung ästhetisch-außerästhetisch pwe_111.027
bezogen werden. Doch ist damit nicht mehr der Fall gemeint, pwe_111.028
wo aus einem Werk eine inhaltliche Tendenz abstrahiert und gegen das pwe_111.029
Werk wertend ausgespielt wird (etwa der von Kayser besprochene Streit pwe_111.030
um den angeblich unmoralischen Ehebruchsroman von Madame Bovary); pwe_111.031
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Gemeint ist vielmehr die im Kunstwerk selbst sich ereignende Transzendenz pwe_111.036
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1 pwe_111.039
Edgar Hederer, Mystik und Lyrik. München und Berlin 1941.
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Zitationshilfe: Wehrli, Max: Allgemeine Literaturwissenschaft. Zweite, durchgesehen Auflage. Bern u. a., 1969, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wehrli_poetik_1951/117>, abgerufen am 27.11.2024.