Wehrli, Max: Allgemeine Literaturwissenschaft. Zweite, durchgesehen Auflage. Bern u. a., 1969.pwe_158.001 Auch Curtius betont, am deutlichsten bei der Betrachtung Dantes, daß pwe_158.002 Es sind zwar nicht alles nur Topoi, worauf Curtius sein Augenmerk pwe_158.023 Das zeigt sich ganz besonders, wo die auffälligen Konstanten einer europäischen pwe_158.039 pwe_158.001 Auch Curtius betont, am deutlichsten bei der Betrachtung Dantes, daß pwe_158.002 Es sind zwar nicht alles nur Topoi, worauf Curtius sein Augenmerk pwe_158.023 Das zeigt sich ganz besonders, wo die auffälligen Konstanten einer europäischen pwe_158.039 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0164" n="158"/> <lb n="pwe_158.001"/> <p> Auch <hi rendition="#k">Curtius</hi> betont, am deutlichsten bei der Betrachtung Dantes, daß <lb n="pwe_158.002"/> „nur die schöpferischen Geister zählen“, ja man ist verwundert, wenn vom <lb n="pwe_158.003"/> Petrarkismus, einer beherrschenden Sprache abendländischer Lyrik, zweimal <lb n="pwe_158.004"/> gesagt wird, sie habe sich „wie eine Pest“ durch Europa ausgebreitet. In <lb n="pwe_158.005"/> einem Schlußkapitel über „<hi rendition="#i">Nachahmung und Schöpfung</hi>“ wird der einzige <lb n="pwe_158.006"/> Pseudo-Longin gegen zwei Jahrtausende herrschender Nachahmungslehre <lb n="pwe_158.007"/> ausgespielt. <hi rendition="#k">Curtius</hi> scheint also seine exakte, topologische Literarhistorie zu <lb n="pwe_158.008"/> beschränken auf die Darstellung des Zettels der Tradition, der erst zusammen <lb n="pwe_158.009"/> mit dem schöpferischen Einschlag zum Gewebe der Literatur würde. <lb n="pwe_158.010"/> Das wird in der polemischen Haltung <hi rendition="#k">Curtius'</hi> weitgehend wieder verdrängt, <lb n="pwe_158.011"/> denn es wäre damit zugegeben, daß es vielleicht noch mehr als auf <lb n="pwe_158.012"/> die Konstanz des Topos auf die je aus eigener Mitte lebende, ursprüngliche <lb n="pwe_158.013"/> Kraft ankommt. Nicht nur insofern, als die europäische Literaturgeschichte <lb n="pwe_158.014"/> nicht aus der mittellateinischen Literatur abgeleitet werden kann, diese vielmehr <lb n="pwe_158.015"/> nur ein Element der Auseinandersetzung mit andern Welten ist, sondern <lb n="pwe_158.016"/> vor allem insofern, als es bei jeder einzelnen künstlerischen Äußerung <lb n="pwe_158.017"/> die Ursprungsfrage neu zu stellen gilt: der Topos ist nichts Konstantes, <lb n="pwe_158.018"/> sondern hat in jedem Werk wieder anderen Stellenwert, geht in ein Neues <lb n="pwe_158.019"/> und Ursprüngliches ein. Mit den Ausdruckskonstanten sind weder die Werke <lb n="pwe_158.020"/> allein noch die Literaturen genügend bestimmt; so wirken auch die Sammlungen <lb n="pwe_158.021"/> von <hi rendition="#k">Curtius</hi> oft als etwas äußerliche Zusammenstellungen.</p> <lb n="pwe_158.022"/> <p> Es sind zwar nicht alles nur Topoi, worauf <hi rendition="#k">Curtius</hi> sein Augenmerk <lb n="pwe_158.023"/> richtet: die Grenze zum Motiv, zur allgemeinen Vorstellungswelt, zur Stiltypologie <lb n="pwe_158.024"/> ist fließend, ja es werden selbst die Jungschen Archetypen herangezogen. <lb n="pwe_158.025"/> So ist anzunehmen, daß ein literaturgeschichtlicher Zusammenhang, <lb n="pwe_158.026"/> auch im bloßen Sinn der „Konstanten“, vielleicht nicht in erster Linie nur <lb n="pwe_158.027"/> die Topen betrifft, sondern an sich von jedem Element der poetischen Struktur <lb n="pwe_158.028"/> aus verfolgt werden kann und muß. Es macht ja das komplizierte und <lb n="pwe_158.029"/> komplexe Wesen jedes literaturgeschichtlichen Verlaufes aus, daß wir hier <lb n="pwe_158.030"/> nicht nur ganze Werke in historische Reihen ordnen, sondern daß es die Geschichte <lb n="pwe_158.031"/> auch der einzelnen Aspekte gibt: Versgeschichte, Problemgeschichte, <lb n="pwe_158.032"/> Artgeschichte usw. Die Kurven, die von der Geschichte dieser einzelnen <lb n="pwe_158.033"/> Aspekte beschrieben werden, brauchen durchaus nicht analog zu sein, sie <lb n="pwe_158.034"/> können voneinander abweichen, verschiedene Wellenlängen haben, Spannungen, <lb n="pwe_158.035"/> Interferenzen aller Art aufweisen – auch wenn es das Ziel der <lb n="pwe_158.036"/> umfassenden Literaturgeschichte bleiben wird, die Kurven aufeinander zu <lb n="pwe_158.037"/> beziehen und zu integrieren.</p> <lb n="pwe_158.038"/> <p> Das zeigt sich ganz besonders, wo die auffälligen Konstanten einer europäischen <lb n="pwe_158.039"/> Literatur mit den individuell-variierenden Ausprägungen der <hi rendition="#g">nationalen <lb n="pwe_158.040"/> Literaturen</hi> zusammenzusehen sind. Der Satz „durch die <lb n="pwe_158.041"/> Romania und ihre Ausstrahlungen hat das Abendland die lateinische Schulung </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [158/0164]
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Auch Curtius betont, am deutlichsten bei der Betrachtung Dantes, daß pwe_158.002
„nur die schöpferischen Geister zählen“, ja man ist verwundert, wenn vom pwe_158.003
Petrarkismus, einer beherrschenden Sprache abendländischer Lyrik, zweimal pwe_158.004
gesagt wird, sie habe sich „wie eine Pest“ durch Europa ausgebreitet. In pwe_158.005
einem Schlußkapitel über „Nachahmung und Schöpfung“ wird der einzige pwe_158.006
Pseudo-Longin gegen zwei Jahrtausende herrschender Nachahmungslehre pwe_158.007
ausgespielt. Curtius scheint also seine exakte, topologische Literarhistorie zu pwe_158.008
beschränken auf die Darstellung des Zettels der Tradition, der erst zusammen pwe_158.009
mit dem schöpferischen Einschlag zum Gewebe der Literatur würde. pwe_158.010
Das wird in der polemischen Haltung Curtius' weitgehend wieder verdrängt, pwe_158.011
denn es wäre damit zugegeben, daß es vielleicht noch mehr als auf pwe_158.012
die Konstanz des Topos auf die je aus eigener Mitte lebende, ursprüngliche pwe_158.013
Kraft ankommt. Nicht nur insofern, als die europäische Literaturgeschichte pwe_158.014
nicht aus der mittellateinischen Literatur abgeleitet werden kann, diese vielmehr pwe_158.015
nur ein Element der Auseinandersetzung mit andern Welten ist, sondern pwe_158.016
vor allem insofern, als es bei jeder einzelnen künstlerischen Äußerung pwe_158.017
die Ursprungsfrage neu zu stellen gilt: der Topos ist nichts Konstantes, pwe_158.018
sondern hat in jedem Werk wieder anderen Stellenwert, geht in ein Neues pwe_158.019
und Ursprüngliches ein. Mit den Ausdruckskonstanten sind weder die Werke pwe_158.020
allein noch die Literaturen genügend bestimmt; so wirken auch die Sammlungen pwe_158.021
von Curtius oft als etwas äußerliche Zusammenstellungen.
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Es sind zwar nicht alles nur Topoi, worauf Curtius sein Augenmerk pwe_158.023
richtet: die Grenze zum Motiv, zur allgemeinen Vorstellungswelt, zur Stiltypologie pwe_158.024
ist fließend, ja es werden selbst die Jungschen Archetypen herangezogen. pwe_158.025
So ist anzunehmen, daß ein literaturgeschichtlicher Zusammenhang, pwe_158.026
auch im bloßen Sinn der „Konstanten“, vielleicht nicht in erster Linie nur pwe_158.027
die Topen betrifft, sondern an sich von jedem Element der poetischen Struktur pwe_158.028
aus verfolgt werden kann und muß. Es macht ja das komplizierte und pwe_158.029
komplexe Wesen jedes literaturgeschichtlichen Verlaufes aus, daß wir hier pwe_158.030
nicht nur ganze Werke in historische Reihen ordnen, sondern daß es die Geschichte pwe_158.031
auch der einzelnen Aspekte gibt: Versgeschichte, Problemgeschichte, pwe_158.032
Artgeschichte usw. Die Kurven, die von der Geschichte dieser einzelnen pwe_158.033
Aspekte beschrieben werden, brauchen durchaus nicht analog zu sein, sie pwe_158.034
können voneinander abweichen, verschiedene Wellenlängen haben, Spannungen, pwe_158.035
Interferenzen aller Art aufweisen – auch wenn es das Ziel der pwe_158.036
umfassenden Literaturgeschichte bleiben wird, die Kurven aufeinander zu pwe_158.037
beziehen und zu integrieren.
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Das zeigt sich ganz besonders, wo die auffälligen Konstanten einer europäischen pwe_158.039
Literatur mit den individuell-variierenden Ausprägungen der nationalen pwe_158.040
Literaturen zusammenzusehen sind. Der Satz „durch die pwe_158.041
Romania und ihre Ausstrahlungen hat das Abendland die lateinische Schulung
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