Wehrli, Max: Allgemeine Literaturwissenschaft. Zweite, durchgesehen Auflage. Bern u. a., 1969.pwe_159.001 Es ist das große Verdienst dieses monumentalen Werkes, daß die Frage pwe_159.024 So wird die Synthese einer europäischen Traditionseinheit alle Ebenen pwe_159.033 1 pwe_159.039 Cleanth Brooks, Modern Poetry and the Tradition. London 1948. 2 pwe_159.040
Andreas Heusler, Die altgermanische Dichtung. 2. Ausgabe. Potsdam 1941. pwe_159.001 Es ist das große Verdienst dieses monumentalen Werkes, daß die Frage pwe_159.024 So wird die Synthese einer europäischen Traditionseinheit alle Ebenen pwe_159.033 1 pwe_159.039 Cleanth Brooks, Modern Poetry and the Tradition. London 1948. 2 pwe_159.040
Andreas Heusler, Die altgermanische Dichtung. 2. Ausgabe. Potsdam 1941. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0165" n="159"/><lb n="pwe_159.001"/> empfangen“ kann jedenfalls Zusammenhang und Gegenspiel der Nationalliteraturen <lb n="pwe_159.002"/> nicht erschöpfend charakterisieren. So wie es innerhalb des <lb n="pwe_159.003"/> Mittellateinischen biblisch-christliche Konstanten gibt, die bei <hi rendition="#k">Curtius</hi> neben <lb n="pwe_159.004"/> den antiken wohl etwas zu kurz kommen, muß es auch von Anfang an die <lb n="pwe_159.005"/> nationalsprachlichen geben. Die germanischen Literaturen erscheinen bei <lb n="pwe_159.006"/> <hi rendition="#k">Curtius</hi> nur in ihrer Abhängigkeit vom Romanisch-Lateinischen, die Germanistik <lb n="pwe_159.007"/> nur im polemischen Zusammenhang. Nationalsprachlich mindestens <lb n="pwe_159.008"/> teilweise bedingte gemeineuropäische Welten wie die der höfischritterlichen <lb n="pwe_159.009"/> Literatur sind vom Mittellatein aus kaum verstehbar. Geschichtsschreibung <lb n="pwe_159.010"/> bedeutet auch im Zusammenhang der europäischen Literatur ein <lb n="pwe_159.011"/> Zusammensehen von Konstanz und Wechsel, ein Achten auf den wechselnden <lb n="pwe_159.012"/> Stellenwert der Konstanten, ein Sehen der dramatischen Auseinandersetzungen <lb n="pwe_159.013"/> und immer neuen Kombinationen der unter sich oft antagonistischen <lb n="pwe_159.014"/> Traditionen oder individuellen Schöpfungen: vor allem im Hinblick auf <lb n="pwe_159.015"/> die Spannung zwischen christlicher und antiker, zwischen universaler und <lb n="pwe_159.016"/> nationaler Welt. Es genügt z. B. nicht, im Nibelungenlied französische Quellen <lb n="pwe_159.017"/> zu entdecken und es damit ans Romanisch-Mittellateinische anzuschließen; <lb n="pwe_159.018"/> die Tradition des germanischen Heldenliedes ist selber als Mit- oder <lb n="pwe_159.019"/> Gegenwirkung zum europäischen Geschehen einzusetzen. Das richtet sich <lb n="pwe_159.020"/> freilich weniger gegen <hi rendition="#k">Curtius,</hi> dessen Interessen topologisch und bewußt <lb n="pwe_159.021"/> einseitig sind, als gegen falsche Konsequenzen, die seine Darstellung gelegentlich <lb n="pwe_159.022"/> nahelegt.</p> <lb n="pwe_159.023"/> <p> Es ist das große Verdienst dieses monumentalen Werkes, daß die Frage <lb n="pwe_159.024"/> der literarischen <hi rendition="#g">Tradition</hi> und ihrer Formen als Kernproblem jeder <lb n="pwe_159.025"/> Historik der Literatur wieder gestellt worden ist. Im ganzen kann dieses <lb n="pwe_159.026"/> Traditionsgeschehen auch aufgefaßt werden als eine beständige Modifikation <lb n="pwe_159.027"/> der Welt der Dichtung und ihres Selbstverständnisses überhaupt (so spricht <lb n="pwe_159.028"/> <hi rendition="#k">C. Brooks</hi> in seiner Untersuchung moderner Lyrik<note xml:id="PWE_159_1" place="foot" n="1"><lb n="pwe_159.039"/> Cleanth Brooks, <hi rendition="#i">Modern Poetry and the Tradition.</hi> London 1948.</note> nach ihrem Verhältnis <lb n="pwe_159.029"/> zur Tradition von der „total conception of poetry“, die durch jeden Dichter <lb n="pwe_159.030"/> mehr oder weniger geändert wird, in oberflächlicheren oder grundlegenden <lb n="pwe_159.031"/> Verschiebungen).</p> <lb n="pwe_159.032"/> <p> So wird die Synthese einer europäischen Traditionseinheit alle Ebenen <lb n="pwe_159.033"/> und alle Aspekte berücksichtigen müssen. Dabei kann unter Umständen auch <lb n="pwe_159.034"/> des Vorgehen nationaler Literaturwissenschaften Anregungen geben. Wir <lb n="pwe_159.035"/> denken etwa an <hi rendition="#k">Andreas Heuslers</hi><note xml:id="PWE_159_2" place="foot" n="2"><lb n="pwe_159.040"/> Andreas Heusler, <hi rendition="#i">Die altgermanische Dichtung.</hi> 2. Ausgabe. Potsdam 1941.</note> methodisch glänzende Darstellung <lb n="pwe_159.036"/> der germanischen Literatur mit ihrer Unterscheidung von Urgermanischem <lb n="pwe_159.037"/> (zeitlich und ursprünglich Gemeinsames), Gemeingermanischem (auch <lb n="pwe_159.038"/> nachträglich Gemeinsames) und Altgermanischem (gegenüber antiker oder </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [159/0165]
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empfangen“ kann jedenfalls Zusammenhang und Gegenspiel der Nationalliteraturen pwe_159.002
nicht erschöpfend charakterisieren. So wie es innerhalb des pwe_159.003
Mittellateinischen biblisch-christliche Konstanten gibt, die bei Curtius neben pwe_159.004
den antiken wohl etwas zu kurz kommen, muß es auch von Anfang an die pwe_159.005
nationalsprachlichen geben. Die germanischen Literaturen erscheinen bei pwe_159.006
Curtius nur in ihrer Abhängigkeit vom Romanisch-Lateinischen, die Germanistik pwe_159.007
nur im polemischen Zusammenhang. Nationalsprachlich mindestens pwe_159.008
teilweise bedingte gemeineuropäische Welten wie die der höfischritterlichen pwe_159.009
Literatur sind vom Mittellatein aus kaum verstehbar. Geschichtsschreibung pwe_159.010
bedeutet auch im Zusammenhang der europäischen Literatur ein pwe_159.011
Zusammensehen von Konstanz und Wechsel, ein Achten auf den wechselnden pwe_159.012
Stellenwert der Konstanten, ein Sehen der dramatischen Auseinandersetzungen pwe_159.013
und immer neuen Kombinationen der unter sich oft antagonistischen pwe_159.014
Traditionen oder individuellen Schöpfungen: vor allem im Hinblick auf pwe_159.015
die Spannung zwischen christlicher und antiker, zwischen universaler und pwe_159.016
nationaler Welt. Es genügt z. B. nicht, im Nibelungenlied französische Quellen pwe_159.017
zu entdecken und es damit ans Romanisch-Mittellateinische anzuschließen; pwe_159.018
die Tradition des germanischen Heldenliedes ist selber als Mit- oder pwe_159.019
Gegenwirkung zum europäischen Geschehen einzusetzen. Das richtet sich pwe_159.020
freilich weniger gegen Curtius, dessen Interessen topologisch und bewußt pwe_159.021
einseitig sind, als gegen falsche Konsequenzen, die seine Darstellung gelegentlich pwe_159.022
nahelegt.
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Es ist das große Verdienst dieses monumentalen Werkes, daß die Frage pwe_159.024
der literarischen Tradition und ihrer Formen als Kernproblem jeder pwe_159.025
Historik der Literatur wieder gestellt worden ist. Im ganzen kann dieses pwe_159.026
Traditionsgeschehen auch aufgefaßt werden als eine beständige Modifikation pwe_159.027
der Welt der Dichtung und ihres Selbstverständnisses überhaupt (so spricht pwe_159.028
C. Brooks in seiner Untersuchung moderner Lyrik 1 nach ihrem Verhältnis pwe_159.029
zur Tradition von der „total conception of poetry“, die durch jeden Dichter pwe_159.030
mehr oder weniger geändert wird, in oberflächlicheren oder grundlegenden pwe_159.031
Verschiebungen).
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So wird die Synthese einer europäischen Traditionseinheit alle Ebenen pwe_159.033
und alle Aspekte berücksichtigen müssen. Dabei kann unter Umständen auch pwe_159.034
des Vorgehen nationaler Literaturwissenschaften Anregungen geben. Wir pwe_159.035
denken etwa an Andreas Heuslers 2 methodisch glänzende Darstellung pwe_159.036
der germanischen Literatur mit ihrer Unterscheidung von Urgermanischem pwe_159.037
(zeitlich und ursprünglich Gemeinsames), Gemeingermanischem (auch pwe_159.038
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Cleanth Brooks, Modern Poetry and the Tradition. London 1948.
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