Wehrli, Max: Allgemeine Literaturwissenschaft. Zweite, durchgesehen Auflage. Bern u. a., 1969.pwe_011.001 Wie steht in diesen revolutionären Wandlungen des Menschenbildes und des pwe_011.012 1 pwe_011.038
Eva Siebels, Sprache und Dichtung im physiognomischen Weltbild Rudolf pwe_011.039 Kassners. DV 19 (1941) 218 ff. - Theodor Wieser, Die Einbildungskraft bei pwe_011.040 Rudolf Kassner. Studie mit Abriß von Leben und Werk. Diss. (Zürich) Lausanne pwe_011.041 1949. pwe_011.001 Wie steht in diesen revolutionären Wandlungen des Menschenbildes und des pwe_011.012 1 pwe_011.038
Eva Siebels, Sprache und Dichtung im physiognomischen Weltbild Rudolf pwe_011.039 Kassners. DV 19 (1941) 218 ff. – Theodor Wieser, Die Einbildungskraft bei pwe_011.040 Rudolf Kassner. Studie mit Abriß von Leben und Werk. Diss. (Zürich) Lausanne pwe_011.041 1949. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0017" n="11"/><lb n="pwe_011.001"/> ein neuer, positiver Sinn abgewonnen; nicht zuletzt sind es Soziologie und <lb n="pwe_011.002"/> Psychologie, die mannigfache Brücken schlagen. Wenn seit Lebensphilosophie, <lb n="pwe_011.003"/> Phänomenologie und Existenzphilosophie der Glaube an den großen <lb n="pwe_011.004"/> Systembau in Philosophie und Geisteswissenschaft Schiffbruch litt, so ergeben <lb n="pwe_011.005"/> sich doch neue Möglichkeiten, wenn nicht des logisch-systematischen <lb n="pwe_011.006"/> Denkens, so doch des Sehens und Beschreibens, und es kann an Stelle kausaler <lb n="pwe_011.007"/> Ergründung der menschlichen Lebens- und Kulturerscheinungen ein <lb n="pwe_011.008"/> physiognomisches Erkennen treten, wenn etwa bei Rudolf Kassner die <lb n="pwe_011.009"/> Lehre von der Einbildungskraft zum Schlüssel einer umfassenden Erkenntnisweise <lb n="pwe_011.010"/> eigener Art entwickelt wird<note xml:id="PWE_011_1" place="foot" n="1"><lb n="pwe_011.038"/> Eva Siebels, <hi rendition="#i">Sprache und Dichtung im physiognomischen Weltbild Rudolf <lb n="pwe_011.039"/> Kassners.</hi> DV 19 (1941) 218 ff. – Theodor Wieser, <hi rendition="#i">Die Einbildungskraft bei <lb n="pwe_011.040"/> Rudolf Kassner. Studie mit Abriß von Leben und Werk.</hi> Diss. (Zürich) Lausanne <lb n="pwe_011.041"/> 1949.</note>.</p> <lb n="pwe_011.011"/> <p> Wie steht in diesen revolutionären Wandlungen des Menschenbildes und des <lb n="pwe_011.012"/> menschlichen Lebens die <hi rendition="#g">Dichtung</hi> selbst? Sie ist ja nicht nur Illustration <lb n="pwe_011.013"/> und Beleg zur Geistes- und Philosophiegeschichte, sondern zeigt in ihren Stilwandlungen <lb n="pwe_011.014"/> mindestens gleich ursprünglich die Veränderungen an. Daß der <lb n="pwe_011.015"/> klassische, idealistische Stil, der noch die Dichtung der großen Realisten des <lb n="pwe_011.016"/> 19. Jahrhunderts, ihre „Grundtrauer“ und ihr innerstes Bedrohtsein überglänzt, <lb n="pwe_011.017"/> sich im naturalistischen Dichten tumultuarisch auflöst, bedarf keiner <lb n="pwe_011.018"/> Worte. Dem forcierten Sich-Versichern der Wirklichkeit, das der Dichtung <lb n="pwe_011.019"/> immerhin noch ein gewisses soziales Pathos läßt, folgt in den dekadenten, <lb n="pwe_011.020"/> impressionistischen oder neuromantischen Bewegungen zunächst ein Rückzug <lb n="pwe_011.021"/> der Dichtung vom Leben. Sie ist mißtrauisch geworden gegen die <lb n="pwe_011.022"/> Kraft des Wortes und kann nur noch hoffen, sich selbst wie die entgleitende <lb n="pwe_011.023"/> Welt wenigstens im schwebenden Hinhören auf die Empfindungen <lb n="pwe_011.024"/> und Gefühle zu wahren und durch diese Rücknahme der Front wenigstens <lb n="pwe_011.025"/> das Wort reinzuhalten und ihm die Möglichkeit einer Wiedergeburt von <lb n="pwe_011.026"/> innen zu sichern. Wenn demgegenüber eine – künstlerisch nicht allzufruchtbare <lb n="pwe_011.027"/> – Bewegung im Sinne Nietzsches oder Spittelers dem Kult des <lb n="pwe_011.028"/> starken Lebens, der trotzigen Persönlichkeit oder gar der entfesselten Triebe <lb n="pwe_011.029"/> frönte, so vermochte diese Überkompensation die fortschreitende Auflösung <lb n="pwe_011.030"/> der menschlichen Person und allgemein ein pessimistisches Grundgefühl <lb n="pwe_011.031"/> nicht zu verbergen. In den Explosionen des Expressionismus, der im <lb n="pwe_011.032"/> ersten Weltkrieg seine äußere Bestätigung findet, ist beides: die Berufung <lb n="pwe_011.033"/> auf die Ursprünglichkeit einer rational nicht mehr kontrollierbaren dichterischen <lb n="pwe_011.034"/> Aussage wie auch der Aufweis einer in alle Elemente chaotisch <lb n="pwe_011.035"/> zerstobenen Welt, in beidem die Rücknahme auf die dichterische Existenz <lb n="pwe_011.036"/> als alleinige Wirklichkeit. Die großen dichterischen Werke der Zeit sind zu <lb n="pwe_011.037"/> einem guten Teil Darstellungen von Untergängen, Höllenfahrten ins Reich </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [11/0017]
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ein neuer, positiver Sinn abgewonnen; nicht zuletzt sind es Soziologie und pwe_011.002
Psychologie, die mannigfache Brücken schlagen. Wenn seit Lebensphilosophie, pwe_011.003
Phänomenologie und Existenzphilosophie der Glaube an den großen pwe_011.004
Systembau in Philosophie und Geisteswissenschaft Schiffbruch litt, so ergeben pwe_011.005
sich doch neue Möglichkeiten, wenn nicht des logisch-systematischen pwe_011.006
Denkens, so doch des Sehens und Beschreibens, und es kann an Stelle kausaler pwe_011.007
Ergründung der menschlichen Lebens- und Kulturerscheinungen ein pwe_011.008
physiognomisches Erkennen treten, wenn etwa bei Rudolf Kassner die pwe_011.009
Lehre von der Einbildungskraft zum Schlüssel einer umfassenden Erkenntnisweise pwe_011.010
eigener Art entwickelt wird 1.
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Wie steht in diesen revolutionären Wandlungen des Menschenbildes und des pwe_011.012
menschlichen Lebens die Dichtung selbst? Sie ist ja nicht nur Illustration pwe_011.013
und Beleg zur Geistes- und Philosophiegeschichte, sondern zeigt in ihren Stilwandlungen pwe_011.014
mindestens gleich ursprünglich die Veränderungen an. Daß der pwe_011.015
klassische, idealistische Stil, der noch die Dichtung der großen Realisten des pwe_011.016
19. Jahrhunderts, ihre „Grundtrauer“ und ihr innerstes Bedrohtsein überglänzt, pwe_011.017
sich im naturalistischen Dichten tumultuarisch auflöst, bedarf keiner pwe_011.018
Worte. Dem forcierten Sich-Versichern der Wirklichkeit, das der Dichtung pwe_011.019
immerhin noch ein gewisses soziales Pathos läßt, folgt in den dekadenten, pwe_011.020
impressionistischen oder neuromantischen Bewegungen zunächst ein Rückzug pwe_011.021
der Dichtung vom Leben. Sie ist mißtrauisch geworden gegen die pwe_011.022
Kraft des Wortes und kann nur noch hoffen, sich selbst wie die entgleitende pwe_011.023
Welt wenigstens im schwebenden Hinhören auf die Empfindungen pwe_011.024
und Gefühle zu wahren und durch diese Rücknahme der Front wenigstens pwe_011.025
das Wort reinzuhalten und ihm die Möglichkeit einer Wiedergeburt von pwe_011.026
innen zu sichern. Wenn demgegenüber eine – künstlerisch nicht allzufruchtbare pwe_011.027
– Bewegung im Sinne Nietzsches oder Spittelers dem Kult des pwe_011.028
starken Lebens, der trotzigen Persönlichkeit oder gar der entfesselten Triebe pwe_011.029
frönte, so vermochte diese Überkompensation die fortschreitende Auflösung pwe_011.030
der menschlichen Person und allgemein ein pessimistisches Grundgefühl pwe_011.031
nicht zu verbergen. In den Explosionen des Expressionismus, der im pwe_011.032
ersten Weltkrieg seine äußere Bestätigung findet, ist beides: die Berufung pwe_011.033
auf die Ursprünglichkeit einer rational nicht mehr kontrollierbaren dichterischen pwe_011.034
Aussage wie auch der Aufweis einer in alle Elemente chaotisch pwe_011.035
zerstobenen Welt, in beidem die Rücknahme auf die dichterische Existenz pwe_011.036
als alleinige Wirklichkeit. Die großen dichterischen Werke der Zeit sind zu pwe_011.037
einem guten Teil Darstellungen von Untergängen, Höllenfahrten ins Reich
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Kassners. DV 19 (1941) 218 ff. – Theodor Wieser, Die Einbildungskraft bei pwe_011.040
Rudolf Kassner. Studie mit Abriß von Leben und Werk. Diss. (Zürich) Lausanne pwe_011.041
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