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Wehrli, Max: Allgemeine Literaturwissenschaft. Zweite, durchgesehen Auflage. Bern u. a., 1969.

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Werk "hergestellt wird", erfüllt sich und verbirgt sich zugleich der Sinnzusammenhang pwe_060.002
"Welt". Im Gegeneinander von Lichtung und Verbergung, pwe_060.003
im "Streit" von Welt und Erde aber geschieht "Wahrheit", wird pwe_060.004
Wahrheit ins Werk gerichtet. Und das Erscheinen der Wahrheit, als dieses pwe_060.005
Sein der Wahrheit im Werk und als Werk, ist die Schönheit. "Wahrheit pwe_060.006
als die Lichtung und Verbergung des Seienden geschieht, indem sie pwe_060.007
gedichtet wird". Das Wesen der Dichtung - der ursprünglichsten, weil pwe_060.008
sprachlichen Kunst - ist die "Stiftung der Wahrheit".

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So ist bei Heidegger Dichtung und hier wieder das Werk zur höchsten pwe_060.010
Würde eines Ursprünglichen gekommen; das Gedicht ist nicht mehr bloßer pwe_060.011
Ausdruck oder Form eines Gehalts - um die Überwindung dieses lähmenden pwe_060.012
Form-Inhalt-Schemas ringt im Grunde die ganze moderne Poetik pwe_060.013
- aber es hat auch nicht die geschlossene Dinghaftigkeit des bloßen Ergons. pwe_060.014
Das Ergon ist in der Weise der Energeia.

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Was bedeutet nun für den Literaturwissenschafter die Interpretation so pwe_060.016
verstandener Dichtung? In dieser praktischen Hinsicht führen weiter wohl pwe_060.017
weniger Heideggers eigene kühne Interpretationen an Hölderlin oder pwe_060.018
Rilke als die neuen Ansätze von seiten der Literaturwissenschaft selbst. pwe_060.019
Gerade als Energeia kann Dichtung nicht analytisch-erklärend verstanden pwe_060.020
werden. Ein Kommerell möchte ausdrücklich "den Schein einer Beweisführung" pwe_060.021
vermeiden, er will "seine innere Erfahrung verdeutlichen, für pwe_060.022
andere benutzbar machen, nicht mehr". Weniger ein Erkennen als ein pwe_060.023
"Umgang" mit Dichtung, ja ein Einüben in sie ist nötig, eine "Hingabe". pwe_060.024
"Um des Gedichteten willen muß die Erläuterung des Gedichtes danach pwe_060.025
trachten, sich selbst überflüssig zu machen" (Heidegger) - eine These, pwe_060.026
die für eine historische Literaturbetrachtung sicher nicht gilt, denn diese pwe_060.027
versteht sich nicht nur als Weg, sondern erstrebt ein Resultat in der Gestalt pwe_060.028
des wissenschaftlichen Werk- und Erkenntnisganzen.

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Verstehen ist für Heidegger nicht das Erkennen oder Anschauen pwe_060.030
eines Gegenüberstehenden, sondern ein Grundmodus des Daseins selbst. pwe_060.031
Ein Gedicht verstehen heißt daher selber in der Offenheit des Gedichtes pwe_060.032
stehen. Nur so, d. h. "existentiell" ist auch der hermeneutische Kreislauf, pwe_060.033
der Zirkel des Verstehens - d. h. das Hin und Her zwischen Ganzem pwe_060.034
und Einzelnem, zwischen Vorentwurf und Sache selbst - kein fehlerhafter, pwe_060.035
sondern legitimer Zirkel. (Auf die allgemeine Theorie des Verstehens, pwe_060.036
die damit angeschnitten ist, kann hier nicht eingegangen werden. Eine pwe_060.037
schöne, leichtfaßliche Darstellung des Problems gibt O. F. Bollnow1 in pwe_060.038
Auseinandersetzung mit Dilthey und Heidegger. Indem er zwar dem

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Otto Friedrich Bollnow, Das Verstehen. Drei Aufsätze zur Theorie der Geisteswissenschaften. pwe_060.040
Mainz 1949. - Ders., Das Wesen der Stimmungen. Frankfurt pwe_060.041
a. M. 1941. - Ders., Die Methode der Geisteswissenschaften. Mainz 1950.

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Werk „hergestellt wird“, erfüllt sich und verbirgt sich zugleich der Sinnzusammenhang pwe_060.002
„Welt“. Im Gegeneinander von Lichtung und Verbergung, pwe_060.003
im „Streit“ von Welt und Erde aber geschieht „Wahrheit“, wird pwe_060.004
Wahrheit ins Werk gerichtet. Und das Erscheinen der Wahrheit, als dieses pwe_060.005
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als die Lichtung und Verbergung des Seienden geschieht, indem sie pwe_060.007
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sprachlichen Kunst – ist die „Stiftung der Wahrheit“.

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  So ist bei Heidegger Dichtung und hier wieder das Werk zur höchsten pwe_060.010
Würde eines Ursprünglichen gekommen; das Gedicht ist nicht mehr bloßer pwe_060.011
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Das Ergon ist in der Weise der Energeia.

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  Was bedeutet nun für den Literaturwissenschafter die Interpretation so pwe_060.016
verstandener Dichtung? In dieser praktischen Hinsicht führen weiter wohl pwe_060.017
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die für eine historische Literaturbetrachtung sicher nicht gilt, denn diese pwe_060.027
versteht sich nicht nur als Weg, sondern erstrebt ein Resultat in der Gestalt pwe_060.028
des wissenschaftlichen Werk- und Erkenntnisganzen.

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  Verstehen ist für Heidegger nicht das Erkennen oder Anschauen pwe_060.030
eines Gegenüberstehenden, sondern ein Grundmodus des Daseins selbst. pwe_060.031
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die damit angeschnitten ist, kann hier nicht eingegangen werden. Eine pwe_060.037
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1 pwe_060.039
Otto Friedrich Bollnow, Das Verstehen. Drei Aufsätze zur Theorie der Geisteswissenschaften. pwe_060.040
Mainz 1949. – Ders., Das Wesen der Stimmungen. Frankfurt pwe_060.041
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[60/0066] pwe_060.001 Werk „hergestellt wird“, erfüllt sich und verbirgt sich zugleich der Sinnzusammenhang pwe_060.002 „Welt“. Im Gegeneinander von Lichtung und Verbergung, pwe_060.003 im „Streit“ von Welt und Erde aber geschieht „Wahrheit“, wird pwe_060.004 Wahrheit ins Werk gerichtet. Und das Erscheinen der Wahrheit, als dieses pwe_060.005 Sein der Wahrheit im Werk und als Werk, ist die Schönheit. „Wahrheit pwe_060.006 als die Lichtung und Verbergung des Seienden geschieht, indem sie pwe_060.007 gedichtet wird“. Das Wesen der Dichtung – der ursprünglichsten, weil pwe_060.008 sprachlichen Kunst – ist die „Stiftung der Wahrheit“. pwe_060.009   So ist bei Heidegger Dichtung und hier wieder das Werk zur höchsten pwe_060.010 Würde eines Ursprünglichen gekommen; das Gedicht ist nicht mehr bloßer pwe_060.011 Ausdruck oder Form eines Gehalts – um die Überwindung dieses lähmenden pwe_060.012 Form-Inhalt-Schemas ringt im Grunde die ganze moderne Poetik pwe_060.013 – aber es hat auch nicht die geschlossene Dinghaftigkeit des bloßen Ergons. pwe_060.014 Das Ergon ist in der Weise der Energeia. pwe_060.015   Was bedeutet nun für den Literaturwissenschafter die Interpretation so pwe_060.016 verstandener Dichtung? In dieser praktischen Hinsicht führen weiter wohl pwe_060.017 weniger Heideggers eigene kühne Interpretationen an Hölderlin oder pwe_060.018 Rilke als die neuen Ansätze von seiten der Literaturwissenschaft selbst. pwe_060.019 Gerade als Energeia kann Dichtung nicht analytisch-erklärend verstanden pwe_060.020 werden. Ein Kommerell möchte ausdrücklich „den Schein einer Beweisführung“ pwe_060.021 vermeiden, er will „seine innere Erfahrung verdeutlichen, für pwe_060.022 andere benutzbar machen, nicht mehr“. Weniger ein Erkennen als ein pwe_060.023 „Umgang“ mit Dichtung, ja ein Einüben in sie ist nötig, eine „Hingabe“. pwe_060.024 „Um des Gedichteten willen muß die Erläuterung des Gedichtes danach pwe_060.025 trachten, sich selbst überflüssig zu machen“ (Heidegger) – eine These, pwe_060.026 die für eine historische Literaturbetrachtung sicher nicht gilt, denn diese pwe_060.027 versteht sich nicht nur als Weg, sondern erstrebt ein Resultat in der Gestalt pwe_060.028 des wissenschaftlichen Werk- und Erkenntnisganzen. pwe_060.029   Verstehen ist für Heidegger nicht das Erkennen oder Anschauen pwe_060.030 eines Gegenüberstehenden, sondern ein Grundmodus des Daseins selbst. pwe_060.031 Ein Gedicht verstehen heißt daher selber in der Offenheit des Gedichtes pwe_060.032 stehen. Nur so, d. h. „existentiell“ ist auch der hermeneutische Kreislauf, pwe_060.033 der Zirkel des Verstehens – d. h. das Hin und Her zwischen Ganzem pwe_060.034 und Einzelnem, zwischen Vorentwurf und Sache selbst – kein fehlerhafter, pwe_060.035 sondern legitimer Zirkel. (Auf die allgemeine Theorie des Verstehens, pwe_060.036 die damit angeschnitten ist, kann hier nicht eingegangen werden. Eine pwe_060.037 schöne, leichtfaßliche Darstellung des Problems gibt O. F. Bollnow 1 in pwe_060.038 Auseinandersetzung mit Dilthey und Heidegger. Indem er zwar dem 1 pwe_060.039 Otto Friedrich Bollnow, Das Verstehen. Drei Aufsätze zur Theorie der Geisteswissenschaften. pwe_060.040 Mainz 1949. – Ders., Das Wesen der Stimmungen. Frankfurt pwe_060.041 a. M. 1941. – Ders., Die Methode der Geisteswissenschaften. Mainz 1950.

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Zitationshilfe: Wehrli, Max: Allgemeine Literaturwissenschaft. Zweite, durchgesehen Auflage. Bern u. a., 1969, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wehrli_poetik_1951/66>, abgerufen am 21.11.2024.