Wehrli, Max: Allgemeine Literaturwissenschaft. Zweite, durchgesehen Auflage. Bern u. a., 1969.pwe_065.001 pwe_065.016 So wie hier "Individualität" der dichterischen Person aus einem thematischen pwe_065.017 Völlig unabhängig davon und auf viel breiterer Basis ist dieses Wirklichkeitsproblem pwe_065.036 1 pwe_065.038 Clemens Lugowski, Wirklichkeit und Dichtung. Untersuchungen zur Wirklichkeitsauffassung pwe_065.039 Heinrichs von Kleist. Frankfurt a. M. 1936. 2 pwe_065.040
Erich Auerbach, Mimesis. Dargestellte Wirklichkeit in der abendländischen pwe_065.041 Literatur. Bern 1946. pwe_065.001 pwe_065.016 So wie hier „Individualität“ der dichterischen Person aus einem thematischen pwe_065.017 Völlig unabhängig davon und auf viel breiterer Basis ist dieses Wirklichkeitsproblem pwe_065.036 1 pwe_065.038 Clemens Lugowski, Wirklichkeit und Dichtung. Untersuchungen zur Wirklichkeitsauffassung pwe_065.039 Heinrichs von Kleist. Frankfurt a. M. 1936. 2 pwe_065.040
Erich Auerbach, Mimesis. Dargestellte Wirklichkeit in der abendländischen pwe_065.041 Literatur. Bern 1946. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0071" n="65"/><lb n="pwe_065.001"/> dem Subjekt aller der verschiedenen Probleme (Liebe, Tod usw.), d. h. <lb n="pwe_065.002"/> nach ihrem Schnittpunkt, der sich in den individuellen Menschenfiguren der <lb n="pwe_065.003"/> erzählenden Dichtung als den Gestalten eines Dichters darstellt. Die Art <lb n="pwe_065.004"/> und Weise, in welcher damit die gesamte dichterische Welt auf die <hi rendition="#g">individuellen <lb n="pwe_065.005"/> Problemsubjekte</hi> bezogen ist, macht nichts anderes als <lb n="pwe_065.006"/> die gesamte Struktur der Erzählung aus, ist der „Stil“ vor aller Form-Inhalt-Unterscheidung, <lb n="pwe_065.007"/> um deren Überwindung es auch <hi rendition="#k">Lugowski</hi> geht. Jede <lb n="pwe_065.008"/> Dichtung ist eine menschlich-gemachte, ihr Stil bedeutet also eine so und so <lb n="pwe_065.009"/> geartete „Künstlichkeit“, die bis zu einem gewissen Grade vom Leser geteilt <lb n="pwe_065.010"/> werden muß, und die auch ihre geschichtlichen Wandlungen erfährt. <lb n="pwe_065.011"/> In der frühen deutschen Prosaerzählung kann nun, vom Gesichtspunkt <lb n="pwe_065.012"/> der Individualität der Figuren aus, diese Stilwelt, diese geschichtliche Form <lb n="pwe_065.013"/> von Künstlichkeit, in ihrer Art, ihren Wandlungen oder Auflösungen verfolgt <lb n="pwe_065.014"/> werden. Dabei kommt u. a. auch etwa die Zeitstruktur zur Untersuchung.</p> <lb n="pwe_065.015"/> <lb n="pwe_065.016"/> <p> So wie hier „Individualität“ der dichterischen Person aus einem thematischen <lb n="pwe_065.017"/> Problem zu einem stilistischen wird, kann auch die jeweilige dichterische <lb n="pwe_065.018"/> Auffassung der <hi rendition="#g">Wirklichkeit,</hi> die je zu einem Menschen und zu <lb n="pwe_065.019"/> einem Dichter gehört, zum Hebel der stilkritischen Interpretation werden. <lb n="pwe_065.020"/> Vielleicht, daß man diesen Begriff der „Wirklichkeit“ etwa dem Heideggerschen <lb n="pwe_065.021"/> Begriff der „Erde“ gleichsetzen kann, wogegen „Welt“ der Zeit- <lb n="pwe_065.022"/> Raum-Struktur des Stils entspräche, Wirklichkeit also das, was in diesen <lb n="pwe_065.023"/> Anschauungsformen sich erfüllt und erscheint. <hi rendition="#k">Lugowski</hi> greift – in seinem <lb n="pwe_065.024"/> zweiten Werk<note xml:id="PWE_065_1" place="foot" n="1"><lb n="pwe_065.038"/> Clemens Lugowski, <hi rendition="#i">Wirklichkeit und Dichtung. Untersuchungen zur Wirklichkeitsauffassung <lb n="pwe_065.039"/> Heinrichs von Kleist.</hi> Frankfurt a. M. 1936.</note> – zwei gegensätzliche Typen, „zwei große abendländische <lb n="pwe_065.025"/> Möglichkeiten“ der Wirklichkeitserfahrung heraus. Die eine ist im wesentlichen <lb n="pwe_065.026"/> romanisch und gibt sich als „märchenhafte Enträtselung der Wirklichkeit“, <lb n="pwe_065.027"/> als Märchenroman und zugehöriger Antimärchenroman (vertreten <lb n="pwe_065.028"/> durch den höfisch-idealistischen bzw. realistischen Roman des 17. Jahrhunderts); <lb n="pwe_065.029"/> dazu gehört ein Stil der Distanz, der genauen Kausalmotivierung, <lb n="pwe_065.030"/> des Gegenübers von zwanghafter Wirklichkeit und überwirklichem <lb n="pwe_065.031"/> Jenseits. Auf der andern Seite gibt es die im wesentlichen germanische <lb n="pwe_065.032"/> Form der Wirklichkeit als das Unmittelbare, wo das Objektive überwunden <lb n="pwe_065.033"/> ist in der Einheit von Wirklichkeit und Wollen und einem bejahten <lb n="pwe_065.034"/> Schicksal.</p> <lb n="pwe_065.035"/> <p> Völlig unabhängig davon und auf viel breiterer Basis ist dieses Wirklichkeitsproblem <lb n="pwe_065.036"/> der abendländischen Dichtung inzwischen von <hi rendition="#k">Erich <lb n="pwe_065.037"/> Auerbach</hi><note xml:id="PWE_065_2" place="foot" n="2"><lb n="pwe_065.040"/> Erich Auerbach, <hi rendition="#i">Mimesis. Dargestellte Wirklichkeit in der abendländischen <lb n="pwe_065.041"/> Literatur.</hi> Bern 1946.</note> aufgenommen worden, auch hier unter Ansetzen zweier </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [65/0071]
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dem Subjekt aller der verschiedenen Probleme (Liebe, Tod usw.), d. h. pwe_065.002
nach ihrem Schnittpunkt, der sich in den individuellen Menschenfiguren der pwe_065.003
erzählenden Dichtung als den Gestalten eines Dichters darstellt. Die Art pwe_065.004
und Weise, in welcher damit die gesamte dichterische Welt auf die individuellen pwe_065.005
Problemsubjekte bezogen ist, macht nichts anderes als pwe_065.006
die gesamte Struktur der Erzählung aus, ist der „Stil“ vor aller Form-Inhalt-Unterscheidung, pwe_065.007
um deren Überwindung es auch Lugowski geht. Jede pwe_065.008
Dichtung ist eine menschlich-gemachte, ihr Stil bedeutet also eine so und so pwe_065.009
geartete „Künstlichkeit“, die bis zu einem gewissen Grade vom Leser geteilt pwe_065.010
werden muß, und die auch ihre geschichtlichen Wandlungen erfährt. pwe_065.011
In der frühen deutschen Prosaerzählung kann nun, vom Gesichtspunkt pwe_065.012
der Individualität der Figuren aus, diese Stilwelt, diese geschichtliche Form pwe_065.013
von Künstlichkeit, in ihrer Art, ihren Wandlungen oder Auflösungen verfolgt pwe_065.014
werden. Dabei kommt u. a. auch etwa die Zeitstruktur zur Untersuchung.
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So wie hier „Individualität“ der dichterischen Person aus einem thematischen pwe_065.017
Problem zu einem stilistischen wird, kann auch die jeweilige dichterische pwe_065.018
Auffassung der Wirklichkeit, die je zu einem Menschen und zu pwe_065.019
einem Dichter gehört, zum Hebel der stilkritischen Interpretation werden. pwe_065.020
Vielleicht, daß man diesen Begriff der „Wirklichkeit“ etwa dem Heideggerschen pwe_065.021
Begriff der „Erde“ gleichsetzen kann, wogegen „Welt“ der Zeit- pwe_065.022
Raum-Struktur des Stils entspräche, Wirklichkeit also das, was in diesen pwe_065.023
Anschauungsformen sich erfüllt und erscheint. Lugowski greift – in seinem pwe_065.024
zweiten Werk 1 – zwei gegensätzliche Typen, „zwei große abendländische pwe_065.025
Möglichkeiten“ der Wirklichkeitserfahrung heraus. Die eine ist im wesentlichen pwe_065.026
romanisch und gibt sich als „märchenhafte Enträtselung der Wirklichkeit“, pwe_065.027
als Märchenroman und zugehöriger Antimärchenroman (vertreten pwe_065.028
durch den höfisch-idealistischen bzw. realistischen Roman des 17. Jahrhunderts); pwe_065.029
dazu gehört ein Stil der Distanz, der genauen Kausalmotivierung, pwe_065.030
des Gegenübers von zwanghafter Wirklichkeit und überwirklichem pwe_065.031
Jenseits. Auf der andern Seite gibt es die im wesentlichen germanische pwe_065.032
Form der Wirklichkeit als das Unmittelbare, wo das Objektive überwunden pwe_065.033
ist in der Einheit von Wirklichkeit und Wollen und einem bejahten pwe_065.034
Schicksal.
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Völlig unabhängig davon und auf viel breiterer Basis ist dieses Wirklichkeitsproblem pwe_065.036
der abendländischen Dichtung inzwischen von Erich pwe_065.037
Auerbach 2 aufgenommen worden, auch hier unter Ansetzen zweier
1 pwe_065.038
Clemens Lugowski, Wirklichkeit und Dichtung. Untersuchungen zur Wirklichkeitsauffassung pwe_065.039
Heinrichs von Kleist. Frankfurt a. M. 1936.
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Erich Auerbach, Mimesis. Dargestellte Wirklichkeit in der abendländischen pwe_065.041
Literatur. Bern 1946.
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