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Weise, Christian: Überflüßige Gedancken Der grünenden jugend. Leipzig, 1701.

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Der beschützten Unschuld
glaub ich fast nicht. Ein grosser baum schlägt durch
seinen fall viel benachbarte stämme zu boden.
(Flavio
setzt sich an tisch: Poncinello bringt die pfeiffe)
Pon. Da habt ihr den besten toback von der welt/
wo der nicht hilfft/ so weiß ich keinen rath.
Flav. Du kanst sie nicht recht anstecken/ mache mir
etliche fidibus die ich gebrauchen kan.
Ponc. Da habt ihr papier/ macht die fidibus sel-
ber/ ich muß julep holen/ daß ihr den mund und den
halß wieder abspülen könnet.
(Geht ab.)
Flav. Was gibt mir der kerl vor papier/ es ist eine
schrifft drauff/ die mir soll bekandt seyn/ ich will sie aus
curiosität lesen: Werther hertzens-freund! Meine
vorigen briefe werden zu recht ankommen seyn. Und
wundert mich nicht/ daß keine antwort erfolget/ indem
die posten etwas unrichtig gehn/ und vielleicht die brie-
fe hier und da liegen bleiben. Jm übrigen lebe ich
der gewissen hoffnung/ mein freund werde sich indessen
meine wolfarth lassen recommendirt seyn. Jch habe
in Franckreich unterschiedene vorschläge/ dardurch mir
ein grösser glück versprochen wird/ allein es bleibt bey
meiner resolution/ wo meine Leonore und mein Flavio
lebt/ da will ich den rest meines lebens vergnügt be-
schliessen/ etc. Der brieff ist zerrissen/ ich kan nicht
weiter lesen: Doch was steckt vor eine verrätherey
darhinter? Die hand ist vom Camillo/ die schrifft ist
voller freundschafft/ und derselben gantz nicht ähnlich/
die uns bey dem Fürsten vorgelesen ward. Solte
sich wol Poncinello zu einem solchen bubenstück ge-
brauchen lassen? Es ist klar/ Camillo ist so schuldig
nicht/ als insgemein geglaubt wird/
(er steht auff)
das hertze bricht mir/ wenn ich an seine reden gedencke/
wie
Der beſchuͤtzten Unſchuld
glaub ich faſt nicht. Ein groſſer baum ſchlaͤgt durch
ſeinen fall viel benachbarte ſtaͤmme zu boden.
(Flavio
ſetzt ſich an tiſch: Poncinello bringt die pfeiffe)
Pon. Da habt ihr den beſten toback von der welt/
wo der nicht hilfft/ ſo weiß ich keinen rath.
Flav. Du kanſt ſie nicht recht anſtecken/ mache mir
etliche fidibus die ich gebrauchen kan.
Ponc. Da habt ihr papier/ macht die fidibus ſel-
ber/ ich muß julep holen/ daß ihr den mund und den
halß wieder abſpuͤlen koͤnnet.
(Geht ab.)
Flav. Was gibt mir der kerl vor papier/ es iſt eine
ſchrifft drauff/ die mir ſoll bekandt ſeyn/ ich will ſie aus
curioſitaͤt leſen: Werther hertzens-freund! Meine
vorigen briefe werden zu recht ankommen ſeyn. Und
wundert mich nicht/ daß keine antwort erfolget/ indem
die poſten etwas unrichtig gehn/ und vielleicht die brie-
fe hier und da liegen bleiben. Jm uͤbrigen lebe ich
der gewiſſen hoffnung/ mein freund werde ſich indeſſen
meine wolfarth laſſen recommendirt ſeyn. Jch habe
in Franckreich unterſchiedene vorſchlaͤge/ dardurch miꝛ
ein groͤſſer gluͤck verſprochen wird/ allein es bleibt bey
meiner reſolution/ wo meine Leonore und mein Flavio
lebt/ da will ich den reſt meines lebens vergnuͤgt be-
ſchlieſſen/ ꝛc. Der brieff iſt zerriſſen/ ich kan nicht
weiter leſen: Doch was ſteckt vor eine verꝛaͤtherey
darhinter? Die hand iſt vom Camillo/ die ſchrifft iſt
voller freundſchafft/ und derſelben gantz nicht aͤhnlich/
die uns bey dem Fuͤrſten vorgeleſen ward. Solte
ſich wol Poncinello zu einem ſolchen bubenſtuͤck ge-
brauchen laſſen? Es iſt klar/ Camillo iſt ſo ſchuldig
nicht/ als insgemein geglaubt wird/
(er ſteht auff)
das hertze bricht mir/ wenn ich an ſeine reden gedencke/
wie
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[548/0564] Der beſchuͤtzten Unſchuld glaub ich faſt nicht. Ein groſſer baum ſchlaͤgt durch ſeinen fall viel benachbarte ſtaͤmme zu boden. (Flavio ſetzt ſich an tiſch: Poncinello bringt die pfeiffe) Pon. Da habt ihr den beſten toback von der welt/ wo der nicht hilfft/ ſo weiß ich keinen rath. Flav. Du kanſt ſie nicht recht anſtecken/ mache mir etliche fidibus die ich gebrauchen kan. Ponc. Da habt ihr papier/ macht die fidibus ſel- ber/ ich muß julep holen/ daß ihr den mund und den halß wieder abſpuͤlen koͤnnet. (Geht ab.) Flav. Was gibt mir der kerl vor papier/ es iſt eine ſchrifft drauff/ die mir ſoll bekandt ſeyn/ ich will ſie aus curioſitaͤt leſen: Werther hertzens-freund! Meine vorigen briefe werden zu recht ankommen ſeyn. Und wundert mich nicht/ daß keine antwort erfolget/ indem die poſten etwas unrichtig gehn/ und vielleicht die brie- fe hier und da liegen bleiben. Jm uͤbrigen lebe ich der gewiſſen hoffnung/ mein freund werde ſich indeſſen meine wolfarth laſſen recommendirt ſeyn. Jch habe in Franckreich unterſchiedene vorſchlaͤge/ dardurch miꝛ ein groͤſſer gluͤck verſprochen wird/ allein es bleibt bey meiner reſolution/ wo meine Leonore und mein Flavio lebt/ da will ich den reſt meines lebens vergnuͤgt be- ſchlieſſen/ ꝛc. Der brieff iſt zerriſſen/ ich kan nicht weiter leſen: Doch was ſteckt vor eine verꝛaͤtherey darhinter? Die hand iſt vom Camillo/ die ſchrifft iſt voller freundſchafft/ und derſelben gantz nicht aͤhnlich/ die uns bey dem Fuͤrſten vorgeleſen ward. Solte ſich wol Poncinello zu einem ſolchen bubenſtuͤck ge- brauchen laſſen? Es iſt klar/ Camillo iſt ſo ſchuldig nicht/ als insgemein geglaubt wird/ (er ſteht auff) das hertze bricht mir/ wenn ich an ſeine reden gedencke/ wie

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Zitationshilfe: Weise, Christian: Überflüßige Gedancken Der grünenden jugend. Leipzig, 1701, S. 548. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weise_jugend_1701/564>, abgerufen am 01.06.2024.