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Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880.

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Eine erste Seereise

In der letzten Woche hatte der Regen nachgelassen, die
Sonne brach auf Stunden durch, aber mit dem Aufhören der
Gewitterböen verloren wir auch die stärkeren oder schwächeren
Windstöße, die uns vorwärs gebracht. Wir lagen bisweilen
48 Stunden in vollkommener Windstille und dies war um so
ärgerlicher, als wir uns nur noch höchstens zwei bis drei Meilen
von der Grenze des Südostpassates befanden und aus den
Toppen den dunklen Streifen zu erkennen glaubten, den an-
kommende Briese auf dem Wasser macht. Das war eine Ge-
duldsprobe und auch das Kratzen am Mast und Pfeifen wollte
keinen Wind bringen. Es erschien mir wahrhaft komisch, mit
welchem Ernst die alten Matrosen an die Wirksamkeit dieser
beiden Mittel glaubten. Das Pfeifen ist sonst an Bord voll-
ständig verpönt; aus Langeweile hatte ich es einige Male Nachts
auf der Wache gethan, doch war es mir stets mit der unwirschen
Bemerkung untersagt, auf einem Schiffe müsse man nicht pfeifen.
Jetzt begriff ich den Grund des Verbotes. Pfeifen giebt Wind;
damals hatten wir aber so viel davon, daß wir nicht mehr
gebrauchen konnten.

Nachdem übrigens die Sonne wieder zum Vorschein ge-
kommen war und jetzt der kühlfächelnde Hauch des Windes fehlte,
merkten wir doch die tropische Hitze ganz bedeutend. Der "rothe
Hund", eine Ausschlagskrankheit, die fast jeder Nordeuropäer
beim Uebergang in heiße Klimate durchzumachen hat, zeigte sich
in unangenehmer Weise. Man mußte sich in Acht nehmen,
nicht außer dem abgehärteten Gesicht und den Händen, andere
Körpertheile der Sonne auszusetzen, weil diese sofort Blasen zog,
und die Hitze erschlaffte die Muskeln, namentlich der jüngeren
Leute, so, daß man sich gar nicht rühren mochte.

Ach, wie schwer wurde es mir in dieser Zeit, wenn ich zu
irgend welchem Zwecke nach der Bramraa hinauf mußte und
wie oft wurde ich, wenn das Klettern sehr langsam ging, durch
die höhnenden Worte angespornt: "Du kommst ja nicht aus

Eine erſte Seereiſe

In der letzten Woche hatte der Regen nachgelaſſen, die
Sonne brach auf Stunden durch, aber mit dem Aufhören der
Gewitterböen verloren wir auch die ſtärkeren oder ſchwächeren
Windſtöße, die uns vorwärs gebracht. Wir lagen bisweilen
48 Stunden in vollkommener Windſtille und dies war um ſo
ärgerlicher, als wir uns nur noch höchſtens zwei bis drei Meilen
von der Grenze des Südoſtpaſſates befanden und aus den
Toppen den dunklen Streifen zu erkennen glaubten, den an-
kommende Brieſe auf dem Waſſer macht. Das war eine Ge-
duldsprobe und auch das Kratzen am Maſt und Pfeifen wollte
keinen Wind bringen. Es erſchien mir wahrhaft komiſch, mit
welchem Ernſt die alten Matroſen an die Wirkſamkeit dieſer
beiden Mittel glaubten. Das Pfeifen iſt ſonſt an Bord voll-
ſtändig verpönt; aus Langeweile hatte ich es einige Male Nachts
auf der Wache gethan, doch war es mir ſtets mit der unwirſchen
Bemerkung unterſagt, auf einem Schiffe müſſe man nicht pfeifen.
Jetzt begriff ich den Grund des Verbotes. Pfeifen giebt Wind;
damals hatten wir aber ſo viel davon, daß wir nicht mehr
gebrauchen konnten.

Nachdem übrigens die Sonne wieder zum Vorſchein ge-
kommen war und jetzt der kühlfächelnde Hauch des Windes fehlte,
merkten wir doch die tropiſche Hitze ganz bedeutend. Der „rothe
Hund“, eine Ausſchlagskrankheit, die faſt jeder Nordeuropäer
beim Uebergang in heiße Klimate durchzumachen hat, zeigte ſich
in unangenehmer Weiſe. Man mußte ſich in Acht nehmen,
nicht außer dem abgehärteten Geſicht und den Händen, andere
Körpertheile der Sonne auszuſetzen, weil dieſe ſofort Blaſen zog,
und die Hitze erſchlaffte die Muskeln, namentlich der jüngeren
Leute, ſo, daß man ſich gar nicht rühren mochte.

Ach, wie ſchwer wurde es mir in dieſer Zeit, wenn ich zu
irgend welchem Zwecke nach der Bramraa hinauf mußte und
wie oft wurde ich, wenn das Klettern ſehr langſam ging, durch
die höhnenden Worte angeſpornt: „Du kommſt ja nicht aus

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[89/0101] Eine erſte Seereiſe In der letzten Woche hatte der Regen nachgelaſſen, die Sonne brach auf Stunden durch, aber mit dem Aufhören der Gewitterböen verloren wir auch die ſtärkeren oder ſchwächeren Windſtöße, die uns vorwärs gebracht. Wir lagen bisweilen 48 Stunden in vollkommener Windſtille und dies war um ſo ärgerlicher, als wir uns nur noch höchſtens zwei bis drei Meilen von der Grenze des Südoſtpaſſates befanden und aus den Toppen den dunklen Streifen zu erkennen glaubten, den an- kommende Brieſe auf dem Waſſer macht. Das war eine Ge- duldsprobe und auch das Kratzen am Maſt und Pfeifen wollte keinen Wind bringen. Es erſchien mir wahrhaft komiſch, mit welchem Ernſt die alten Matroſen an die Wirkſamkeit dieſer beiden Mittel glaubten. Das Pfeifen iſt ſonſt an Bord voll- ſtändig verpönt; aus Langeweile hatte ich es einige Male Nachts auf der Wache gethan, doch war es mir ſtets mit der unwirſchen Bemerkung unterſagt, auf einem Schiffe müſſe man nicht pfeifen. Jetzt begriff ich den Grund des Verbotes. Pfeifen giebt Wind; damals hatten wir aber ſo viel davon, daß wir nicht mehr gebrauchen konnten. Nachdem übrigens die Sonne wieder zum Vorſchein ge- kommen war und jetzt der kühlfächelnde Hauch des Windes fehlte, merkten wir doch die tropiſche Hitze ganz bedeutend. Der „rothe Hund“, eine Ausſchlagskrankheit, die faſt jeder Nordeuropäer beim Uebergang in heiße Klimate durchzumachen hat, zeigte ſich in unangenehmer Weiſe. Man mußte ſich in Acht nehmen, nicht außer dem abgehärteten Geſicht und den Händen, andere Körpertheile der Sonne auszuſetzen, weil dieſe ſofort Blaſen zog, und die Hitze erſchlaffte die Muskeln, namentlich der jüngeren Leute, ſo, daß man ſich gar nicht rühren mochte. Ach, wie ſchwer wurde es mir in dieſer Zeit, wenn ich zu irgend welchem Zwecke nach der Bramraa hinauf mußte und wie oft wurde ich, wenn das Klettern ſehr langſam ging, durch die höhnenden Worte angeſpornt: „Du kommſt ja nicht aus

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Zitationshilfe: Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/101>, abgerufen am 24.11.2024.