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Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880.

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der Stelle, Dich hat gewiß Jan Looi gepackt." Wie die
Matrosen gern personificiren und z. B. die See, d. h. wenn
sie in unbequemer Weise sich fühlbar macht, "Rasmus"* nennen,
so bezeichnen sie die durch die Hitze erzeugte Schlaffheit des
Körpers mit "Jan Looi"; das letztere Wort stammt aus dem
niederdeutschen und bedeutet "träge, faul". Dieser Hohn wirkte
besser, als andere Mittel, um die Ermattung zu überwinden
und ich kam auch bald darüber fort.

Am letzten Tage, an dem wir uns im Stillgürtel befanden,
erlebte ich noch ein wunderbares und höchst interessantes Schau-
spiel, das uns alle in die höchste Aufregung versetzte und über-
dies nur selten beobachtet wird.

Es war klarer schöner Sonnenschein; kein Hauch trübte
die Fläche des Meeres und die Sonnenstrahlen tauchten sich schim-
mernd in seinen tiefblauen Schooß. Ich hatte Freiwache und war
grade in die Lectüre eines alten Kalenders vertieft, der sich in
der Seekiste des Kochs aufgefunden und dessen Inhalt ich den
Kameraden vorlas, als wir durch den Ruf eines in der Takelage
beschäftigten Matrosen: "Brandung voraus, zwei Strich an
Steuerbord" aufgeschreckt wurden.

Alle sprangen auf und richteten die Blicke nach der be-
zeichneten Stelle, die etwa zwei Meilen weit entfernt war.
Der Kapitän schaute lange und aufmerksam mit dem Fernrohr
hin. "Unbegreiflich!" äußerte er kopfschüttelnd, "Auf hundert
Meilen in der Runde zeigen die Karten nirgends eine Gefahr;
ich bin hier schon zehnmal durchgekommen, habe davon weder
etwas gehört noch gesehen, und doch sind es richtige Klippen,
die wir dort vor uns haben." Fünf bis sechs dunkle Felsen
ragten über die Wasserfläche empor und die Brandung spritzte
schäumend an ihnen hinauf.

Unterdessen war auch der Bootsmann an Deck gekommen,

* Erasmus.

Werner
der Stelle, Dich hat gewiß Jan Looi gepackt.“ Wie die
Matroſen gern perſonificiren und z. B. die See, d. h. wenn
ſie in unbequemer Weiſe ſich fühlbar macht, „Rasmus“* nennen,
ſo bezeichnen ſie die durch die Hitze erzeugte Schlaffheit des
Körpers mit „Jan Looi“; das letztere Wort ſtammt aus dem
niederdeutſchen und bedeutet „träge, faul“. Dieſer Hohn wirkte
beſſer, als andere Mittel, um die Ermattung zu überwinden
und ich kam auch bald darüber fort.

Am letzten Tage, an dem wir uns im Stillgürtel befanden,
erlebte ich noch ein wunderbares und höchſt intereſſantes Schau-
ſpiel, das uns alle in die höchſte Aufregung verſetzte und über-
dies nur ſelten beobachtet wird.

Es war klarer ſchöner Sonnenſchein; kein Hauch trübte
die Fläche des Meeres und die Sonnenſtrahlen tauchten ſich ſchim-
mernd in ſeinen tiefblauen Schooß. Ich hatte Freiwache und war
grade in die Lectüre eines alten Kalenders vertieft, der ſich in
der Seekiſte des Kochs aufgefunden und deſſen Inhalt ich den
Kameraden vorlas, als wir durch den Ruf eines in der Takelage
beſchäftigten Matroſen: „Brandung voraus, zwei Strich an
Steuerbord“ aufgeſchreckt wurden.

Alle ſprangen auf und richteten die Blicke nach der be-
zeichneten Stelle, die etwa zwei Meilen weit entfernt war.
Der Kapitän ſchaute lange und aufmerkſam mit dem Fernrohr
hin. „Unbegreiflich!“ äußerte er kopfſchüttelnd, „Auf hundert
Meilen in der Runde zeigen die Karten nirgends eine Gefahr;
ich bin hier ſchon zehnmal durchgekommen, habe davon weder
etwas gehört noch geſehen, und doch ſind es richtige Klippen,
die wir dort vor uns haben.“ Fünf bis ſechs dunkle Felſen
ragten über die Waſſerfläche empor und die Brandung ſpritzte
ſchäumend an ihnen hinauf.

Unterdeſſen war auch der Bootsmann an Deck gekommen,

* Erasmus.
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[90/0102] Werner der Stelle, Dich hat gewiß Jan Looi gepackt.“ Wie die Matroſen gern perſonificiren und z. B. die See, d. h. wenn ſie in unbequemer Weiſe ſich fühlbar macht, „Rasmus“ * nennen, ſo bezeichnen ſie die durch die Hitze erzeugte Schlaffheit des Körpers mit „Jan Looi“; das letztere Wort ſtammt aus dem niederdeutſchen und bedeutet „träge, faul“. Dieſer Hohn wirkte beſſer, als andere Mittel, um die Ermattung zu überwinden und ich kam auch bald darüber fort. Am letzten Tage, an dem wir uns im Stillgürtel befanden, erlebte ich noch ein wunderbares und höchſt intereſſantes Schau- ſpiel, das uns alle in die höchſte Aufregung verſetzte und über- dies nur ſelten beobachtet wird. Es war klarer ſchöner Sonnenſchein; kein Hauch trübte die Fläche des Meeres und die Sonnenſtrahlen tauchten ſich ſchim- mernd in ſeinen tiefblauen Schooß. Ich hatte Freiwache und war grade in die Lectüre eines alten Kalenders vertieft, der ſich in der Seekiſte des Kochs aufgefunden und deſſen Inhalt ich den Kameraden vorlas, als wir durch den Ruf eines in der Takelage beſchäftigten Matroſen: „Brandung voraus, zwei Strich an Steuerbord“ aufgeſchreckt wurden. Alle ſprangen auf und richteten die Blicke nach der be- zeichneten Stelle, die etwa zwei Meilen weit entfernt war. Der Kapitän ſchaute lange und aufmerkſam mit dem Fernrohr hin. „Unbegreiflich!“ äußerte er kopfſchüttelnd, „Auf hundert Meilen in der Runde zeigen die Karten nirgends eine Gefahr; ich bin hier ſchon zehnmal durchgekommen, habe davon weder etwas gehört noch geſehen, und doch ſind es richtige Klippen, die wir dort vor uns haben.“ Fünf bis ſechs dunkle Felſen ragten über die Waſſerfläche empor und die Brandung ſpritzte ſchäumend an ihnen hinauf. Unterdeſſen war auch der Bootsmann an Deck gekommen, * Erasmus.

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Zitationshilfe: Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/102>, abgerufen am 21.11.2024.