Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880.Eine erste Seereise voetsluys gelegen, war vor kurzem eingetroffen und zu meinergroßen Freude auf ihm mein junger Freund, der Sohn unseres Consuls, als Kadett eingeschifft. Er hatte mich nicht vergessen, sondern sobald er konnte, mich aufgesucht, um mich zu seinen Verwandten nach Welltefreden einzuladen; vom Kapitän war mir ein 48stündiger Urlaub bewilligt worden. Die Aussicht, unter so unerwartet günstigen Umständen an Land zu gehen und die wunderschöne Insel kennen zu lernen, entzückte mich begreif- licher Weise auf das höchste -- leider sollte sie aber unter ganz anderen Umständen sich verwirklichen, als meine Phantasie sich geträumt hatte. Ich wurde an's Land geschafft, aber ohne Be- wußtsein und nur um in das Hospital aufgenommen zu werden. Am Sonnabend Abend fühlte ich mich plötzlich sehr unwol, alle meine Glieder schmerzten, ich mußte mich zur Coje legen, und mein Zustand verschlimmerte sich so schnell, daß schon nach wenigen Stunden meine Gedanken zu wandern begannen und heiße Gluth meine Kräfte verzehrte. Ich war vom Klimafieber befallen und es trat gleich mit solcher Heftigkeit auf, daß der am andern Morgen vom "Kortenaar" geholte Arzt meine so- fortige Ueberführung in das Hospital anordnete. Wie man mir später mittheilte, hatte Niemand an Bord geglaubt, mich lebend wiederzusehen. Mein jugendlich kräftiger Körper leistete jedoch dem Anfalle erfolgreichen Widerstand, und als ich am dritten Tage wieder zu mir kam, war ich wol todesmatt, aber die größte Gefahr beseitigt. Der Oberarzt war ein Deutscher, von dem ich sehr freundlich behandelt wurde, das Hospital selbst ließ nichts zu wünschen übrig; mein Freund, der Kadett, be- suchte mich verschiedene Male, seine Verwandten sandten mir auf seine Veranlassung Bücher, und da meine Kräfte allmälig zurück- kehrten, fand sich auch die Elasticität meines Geistes wieder ein und ich blickte nicht mehr so trübe in die Zukunft. Am sechsten Tage hatte ich mich so weit erholt, daß ich 9*
Eine erſte Seereiſe voetsluys gelegen, war vor kurzem eingetroffen und zu meinergroßen Freude auf ihm mein junger Freund, der Sohn unſeres Conſuls, als Kadett eingeſchifft. Er hatte mich nicht vergeſſen, ſondern ſobald er konnte, mich aufgeſucht, um mich zu ſeinen Verwandten nach Welltefreden einzuladen; vom Kapitän war mir ein 48ſtündiger Urlaub bewilligt worden. Die Ausſicht, unter ſo unerwartet günſtigen Umſtänden an Land zu gehen und die wunderſchöne Inſel kennen zu lernen, entzückte mich begreif- licher Weiſe auf das höchſte — leider ſollte ſie aber unter ganz anderen Umſtänden ſich verwirklichen, als meine Phantaſie ſich geträumt hatte. Ich wurde an’s Land geſchafft, aber ohne Be- wußtſein und nur um in das Hoſpital aufgenommen zu werden. Am Sonnabend Abend fühlte ich mich plötzlich ſehr unwol, alle meine Glieder ſchmerzten, ich mußte mich zur Coje legen, und mein Zuſtand verſchlimmerte ſich ſo ſchnell, daß ſchon nach wenigen Stunden meine Gedanken zu wandern begannen und heiße Gluth meine Kräfte verzehrte. Ich war vom Klimafieber befallen und es trat gleich mit ſolcher Heftigkeit auf, daß der am andern Morgen vom „Kortenaar“ geholte Arzt meine ſo- fortige Ueberführung in das Hoſpital anordnete. Wie man mir ſpäter mittheilte, hatte Niemand an Bord geglaubt, mich lebend wiederzuſehen. Mein jugendlich kräftiger Körper leiſtete jedoch dem Anfalle erfolgreichen Widerſtand, und als ich am dritten Tage wieder zu mir kam, war ich wol todesmatt, aber die größte Gefahr beſeitigt. Der Oberarzt war ein Deutſcher, von dem ich ſehr freundlich behandelt wurde, das Hoſpital ſelbſt ließ nichts zu wünſchen übrig; mein Freund, der Kadett, be- ſuchte mich verſchiedene Male, ſeine Verwandten ſandten mir auf ſeine Veranlaſſung Bücher, und da meine Kräfte allmälig zurück- kehrten, fand ſich auch die Elaſticität meines Geiſtes wieder ein und ich blickte nicht mehr ſo trübe in die Zukunft. Am ſechſten Tage hatte ich mich ſo weit erholt, daß ich 9*
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Eine erſte Seereiſe
voetsluys gelegen, war vor kurzem eingetroffen und zu meiner
großen Freude auf ihm mein junger Freund, der Sohn unſeres
Conſuls, als Kadett eingeſchifft. Er hatte mich nicht vergeſſen,
ſondern ſobald er konnte, mich aufgeſucht, um mich zu ſeinen
Verwandten nach Welltefreden einzuladen; vom Kapitän war
mir ein 48ſtündiger Urlaub bewilligt worden. Die Ausſicht,
unter ſo unerwartet günſtigen Umſtänden an Land zu gehen und
die wunderſchöne Inſel kennen zu lernen, entzückte mich begreif-
licher Weiſe auf das höchſte — leider ſollte ſie aber unter ganz
anderen Umſtänden ſich verwirklichen, als meine Phantaſie ſich
geträumt hatte. Ich wurde an’s Land geſchafft, aber ohne Be-
wußtſein und nur um in das Hoſpital aufgenommen zu werden.
Am Sonnabend Abend fühlte ich mich plötzlich ſehr unwol,
alle meine Glieder ſchmerzten, ich mußte mich zur Coje legen,
und mein Zuſtand verſchlimmerte ſich ſo ſchnell, daß ſchon nach
wenigen Stunden meine Gedanken zu wandern begannen und
heiße Gluth meine Kräfte verzehrte. Ich war vom Klimafieber
befallen und es trat gleich mit ſolcher Heftigkeit auf, daß der
am andern Morgen vom „Kortenaar“ geholte Arzt meine ſo-
fortige Ueberführung in das Hoſpital anordnete. Wie man
mir ſpäter mittheilte, hatte Niemand an Bord geglaubt, mich
lebend wiederzuſehen. Mein jugendlich kräftiger Körper leiſtete
jedoch dem Anfalle erfolgreichen Widerſtand, und als ich am
dritten Tage wieder zu mir kam, war ich wol todesmatt, aber
die größte Gefahr beſeitigt. Der Oberarzt war ein Deutſcher,
von dem ich ſehr freundlich behandelt wurde, das Hoſpital ſelbſt
ließ nichts zu wünſchen übrig; mein Freund, der Kadett, be-
ſuchte mich verſchiedene Male, ſeine Verwandten ſandten mir auf
ſeine Veranlaſſung Bücher, und da meine Kräfte allmälig zurück-
kehrten, fand ſich auch die Elaſticität meines Geiſtes wieder ein
und ich blickte nicht mehr ſo trübe in die Zukunft.
Am ſechſten Tage hatte ich mich ſo weit erholt, daß ich
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