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Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880.

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Werner
und ich hatte ganz bestimmt gehofft, daß der alte Bootsmann
mich besuchen würde, aber er blieb aus. Das schmerzte mich
tief; fremde Leute erwiesen sich freundlich gegen mich in meiner
Verlassenheit, doch an Bord des eigenen Schiffes schien sich
Niemand um mich zu kümmern. Der Kapitän war einmal in
der ersten Zeit dagewesen, als ich noch ohne Besinnung lag,
dann nicht wieder. Andern Morgens erschien er nochmals, doch
hauptsächlich nur, um den Arzt zu fragen, ob ich nicht am
nächsten Tage entlassen werden könne, da das Schiff am Mitt-
woch segeln solle. Der Doctor gab sein Einverständniß unter
der Bedingung, daß ich noch längere Zeit geschont würde und
so brachte mich die Gig an Bord zurück. Dabei fühlte ich je-
doch, wie sehr schwach und angegriffen ich noch war, ich konnte
ohne Hülfe nicht die Fallreepstreppe ersteigen. Den Bootsmann
fand ich in der Coje, auch er hatte seit drei Tagen das Fieber.
"Wäre ich nicht selbst so elendiglich auf den Strand gelau-
fen, Schweizer" sagte er mit matter Stimme zu mir, als ich
an sein Bett trat "dann hätte ich Dich ganz bestimmt besucht."
Ich drückte ihm stumm die Hand und mir traten die Thränen
in die Augen, als ich den kräftigen Mann jetzt so hülflos da-
liegen sah. In das Hospital hatte er absolut nicht gewollt; in
wenigen Tagen werde alles wieder gut sein, meinte er, und in
der That schien sich sein Zustand auch etwas zu bessern.

Von Krankenpflege in gewöhnlichem Sinne ist auf Kauf-
farteischiffen nicht die Rede. Die so knapp bemessene und durch
die Kranken noch mehr geschwächte Besatzungszahl gestattet nicht
die Stellung besonderer Wärter; die Kameraden thun wol hier
und dort gern eine Handreichung, aber oft ist Niemand von ihnen
in der Nähe, wenn das Bedürfniß dazu gerade am dringend-
sten ist. Heilmittel verabreicht der Kapitän aus der an Bord
befindlichen Medicinkiste, nach Anleitung eines kleinen zu diesem
Zwecke mitgegebenen Buches und nach bestem Wissen. Ob dieses
beste Wissen auch das richtige ist, hängt mehr oder minder von

Werner
und ich hatte ganz beſtimmt gehofft, daß der alte Bootsmann
mich beſuchen würde, aber er blieb aus. Das ſchmerzte mich
tief; fremde Leute erwieſen ſich freundlich gegen mich in meiner
Verlaſſenheit, doch an Bord des eigenen Schiffes ſchien ſich
Niemand um mich zu kümmern. Der Kapitän war einmal in
der erſten Zeit dageweſen, als ich noch ohne Beſinnung lag,
dann nicht wieder. Andern Morgens erſchien er nochmals, doch
hauptſächlich nur, um den Arzt zu fragen, ob ich nicht am
nächſten Tage entlaſſen werden könne, da das Schiff am Mitt-
woch ſegeln ſolle. Der Doctor gab ſein Einverſtändniß unter
der Bedingung, daß ich noch längere Zeit geſchont würde und
ſo brachte mich die Gig an Bord zurück. Dabei fühlte ich je-
doch, wie ſehr ſchwach und angegriffen ich noch war, ich konnte
ohne Hülfe nicht die Fallreepstreppe erſteigen. Den Bootsmann
fand ich in der Coje, auch er hatte ſeit drei Tagen das Fieber.
„Wäre ich nicht ſelbſt ſo elendiglich auf den Strand gelau-
fen, Schweizer“ ſagte er mit matter Stimme zu mir, als ich
an ſein Bett trat „dann hätte ich Dich ganz beſtimmt beſucht.“
Ich drückte ihm ſtumm die Hand und mir traten die Thränen
in die Augen, als ich den kräftigen Mann jetzt ſo hülflos da-
liegen ſah. In das Hoſpital hatte er abſolut nicht gewollt; in
wenigen Tagen werde alles wieder gut ſein, meinte er, und in
der That ſchien ſich ſein Zuſtand auch etwas zu beſſern.

Von Krankenpflege in gewöhnlichem Sinne iſt auf Kauf-
farteiſchiffen nicht die Rede. Die ſo knapp bemeſſene und durch
die Kranken noch mehr geſchwächte Beſatzungszahl geſtattet nicht
die Stellung beſonderer Wärter; die Kameraden thun wol hier
und dort gern eine Handreichung, aber oft iſt Niemand von ihnen
in der Nähe, wenn das Bedürfniß dazu gerade am dringend-
ſten iſt. Heilmittel verabreicht der Kapitän aus der an Bord
befindlichen Medicinkiſte, nach Anleitung eines kleinen zu dieſem
Zwecke mitgegebenen Buches und nach beſtem Wiſſen. Ob dieſes
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[132/0144] Werner und ich hatte ganz beſtimmt gehofft, daß der alte Bootsmann mich beſuchen würde, aber er blieb aus. Das ſchmerzte mich tief; fremde Leute erwieſen ſich freundlich gegen mich in meiner Verlaſſenheit, doch an Bord des eigenen Schiffes ſchien ſich Niemand um mich zu kümmern. Der Kapitän war einmal in der erſten Zeit dageweſen, als ich noch ohne Beſinnung lag, dann nicht wieder. Andern Morgens erſchien er nochmals, doch hauptſächlich nur, um den Arzt zu fragen, ob ich nicht am nächſten Tage entlaſſen werden könne, da das Schiff am Mitt- woch ſegeln ſolle. Der Doctor gab ſein Einverſtändniß unter der Bedingung, daß ich noch längere Zeit geſchont würde und ſo brachte mich die Gig an Bord zurück. Dabei fühlte ich je- doch, wie ſehr ſchwach und angegriffen ich noch war, ich konnte ohne Hülfe nicht die Fallreepstreppe erſteigen. Den Bootsmann fand ich in der Coje, auch er hatte ſeit drei Tagen das Fieber. „Wäre ich nicht ſelbſt ſo elendiglich auf den Strand gelau- fen, Schweizer“ ſagte er mit matter Stimme zu mir, als ich an ſein Bett trat „dann hätte ich Dich ganz beſtimmt beſucht.“ Ich drückte ihm ſtumm die Hand und mir traten die Thränen in die Augen, als ich den kräftigen Mann jetzt ſo hülflos da- liegen ſah. In das Hoſpital hatte er abſolut nicht gewollt; in wenigen Tagen werde alles wieder gut ſein, meinte er, und in der That ſchien ſich ſein Zuſtand auch etwas zu beſſern. Von Krankenpflege in gewöhnlichem Sinne iſt auf Kauf- farteiſchiffen nicht die Rede. Die ſo knapp bemeſſene und durch die Kranken noch mehr geſchwächte Beſatzungszahl geſtattet nicht die Stellung beſonderer Wärter; die Kameraden thun wol hier und dort gern eine Handreichung, aber oft iſt Niemand von ihnen in der Nähe, wenn das Bedürfniß dazu gerade am dringend- ſten iſt. Heilmittel verabreicht der Kapitän aus der an Bord befindlichen Medicinkiſte, nach Anleitung eines kleinen zu dieſem Zwecke mitgegebenen Buches und nach beſtem Wiſſen. Ob dieſes beſte Wiſſen auch das richtige iſt, hängt mehr oder minder von

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Zitationshilfe: Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/144>, abgerufen am 21.11.2024.