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Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880.

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Eine erste Seereise
einem glücklichen Ungefähr ab. Eben so wenig giebt es passende
Krankenkost; wer nicht Erbsen und Salzfleisch vertragen kann,
für den wird etwas Reissuppe gekocht, in vielen Fällen freilich
zutreffend, aber für Reconvalescenten doch nur kraftloses Essen.
Ich war, wie der Doctor verordnet, vorläufig von allem Dienste
dispensirt, und wenn auch sehr matt, doch im Stande auf zu
sein und es drängte mich mein Herz, den Mann, welchem ich
so viel schuldete und der stets in väterlicher Weise seine Hand
schützend über mir gehalten, nach besten Kräften zu pflegen und
ihm dadurch meine Dankbarkeit zu beweisen.

Am bestimmten Tage traten wir unsere Rückreise an. Der
Gedanke, daß fortan jede zurückgelegte Meile mich der geliebten Hei-
math näher brachte, würde unter anderen Umständen mein Herz
freudiger haben klopfen lassen, als es der Fall war. Mein Be-
finden hatte sich in den letzten Tagen eher verschlechtert, als ge-
bessert; ich war wol zu früh aus dem Hospital entlassen worden und
der Aufenthalt an Bord in der dumpfen, unreinen Luft des Logis
mir nicht zuträglich gewesen. Ich fühlte mich sehr gedrückt und zu-
gleich apathisch, so daß selbst die Naturschönheiten von Anjer, wo
wir behufs Einnehmen von Erfrischungen noch einmal einen kurzen
Aufenthalt nahmen, mich gleichgiltig ließen. Dazu kam, daß die
Krankheit des Bootsmanns sich sichtlich verschlimmerte. In den
ersten Tagen hatte er noch öfter in seiner gewohnten gutmüthig
scherzhaften Weise zu mir gesprochen, doch dann war er stiller
geworden; das Fieber trat heftiger auf und er lag vielfach ohne
Besinnung oder redete irre. Er nahm nichts zu sich, als etwas
Wein mit Wasser, das ich ihm löffelweise einflößte, um seine
brennende Zunge zu kühlen. Ich sah, daß es mit ihm zu Ende
ging und eine tiefe Traurigkeit ergriff mich bei dem Gedanken,
den einzigen Menschen an Bord zu verlieren, der es wahr-
haft gut mit mir meinte und dann ganz einsam und verlassen
zu sein.

Am vierten Tage unserer Reise auf der Abendwache hatte

Eine erſte Seereiſe
einem glücklichen Ungefähr ab. Eben ſo wenig giebt es paſſende
Krankenkoſt; wer nicht Erbſen und Salzfleiſch vertragen kann,
für den wird etwas Reisſuppe gekocht, in vielen Fällen freilich
zutreffend, aber für Reconvalescenten doch nur kraftloſes Eſſen.
Ich war, wie der Doctor verordnet, vorläufig von allem Dienſte
dispenſirt, und wenn auch ſehr matt, doch im Stande auf zu
ſein und es drängte mich mein Herz, den Mann, welchem ich
ſo viel ſchuldete und der ſtets in väterlicher Weiſe ſeine Hand
ſchützend über mir gehalten, nach beſten Kräften zu pflegen und
ihm dadurch meine Dankbarkeit zu beweiſen.

Am beſtimmten Tage traten wir unſere Rückreiſe an. Der
Gedanke, daß fortan jede zurückgelegte Meile mich der geliebten Hei-
math näher brachte, würde unter anderen Umſtänden mein Herz
freudiger haben klopfen laſſen, als es der Fall war. Mein Be-
finden hatte ſich in den letzten Tagen eher verſchlechtert, als ge-
beſſert; ich war wol zu früh aus dem Hoſpital entlaſſen worden und
der Aufenthalt an Bord in der dumpfen, unreinen Luft des Logis
mir nicht zuträglich geweſen. Ich fühlte mich ſehr gedrückt und zu-
gleich apathiſch, ſo daß ſelbſt die Naturſchönheiten von Anjer, wo
wir behufs Einnehmen von Erfriſchungen noch einmal einen kurzen
Aufenthalt nahmen, mich gleichgiltig ließen. Dazu kam, daß die
Krankheit des Bootsmanns ſich ſichtlich verſchlimmerte. In den
erſten Tagen hatte er noch öfter in ſeiner gewohnten gutmüthig
ſcherzhaften Weiſe zu mir geſprochen, doch dann war er ſtiller
geworden; das Fieber trat heftiger auf und er lag vielfach ohne
Beſinnung oder redete irre. Er nahm nichts zu ſich, als etwas
Wein mit Waſſer, das ich ihm löffelweiſe einflößte, um ſeine
brennende Zunge zu kühlen. Ich ſah, daß es mit ihm zu Ende
ging und eine tiefe Traurigkeit ergriff mich bei dem Gedanken,
den einzigen Menſchen an Bord zu verlieren, der es wahr-
haft gut mit mir meinte und dann ganz einſam und verlaſſen
zu ſein.

Am vierten Tage unſerer Reiſe auf der Abendwache hatte

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[133/0145] Eine erſte Seereiſe einem glücklichen Ungefähr ab. Eben ſo wenig giebt es paſſende Krankenkoſt; wer nicht Erbſen und Salzfleiſch vertragen kann, für den wird etwas Reisſuppe gekocht, in vielen Fällen freilich zutreffend, aber für Reconvalescenten doch nur kraftloſes Eſſen. Ich war, wie der Doctor verordnet, vorläufig von allem Dienſte dispenſirt, und wenn auch ſehr matt, doch im Stande auf zu ſein und es drängte mich mein Herz, den Mann, welchem ich ſo viel ſchuldete und der ſtets in väterlicher Weiſe ſeine Hand ſchützend über mir gehalten, nach beſten Kräften zu pflegen und ihm dadurch meine Dankbarkeit zu beweiſen. Am beſtimmten Tage traten wir unſere Rückreiſe an. Der Gedanke, daß fortan jede zurückgelegte Meile mich der geliebten Hei- math näher brachte, würde unter anderen Umſtänden mein Herz freudiger haben klopfen laſſen, als es der Fall war. Mein Be- finden hatte ſich in den letzten Tagen eher verſchlechtert, als ge- beſſert; ich war wol zu früh aus dem Hoſpital entlaſſen worden und der Aufenthalt an Bord in der dumpfen, unreinen Luft des Logis mir nicht zuträglich geweſen. Ich fühlte mich ſehr gedrückt und zu- gleich apathiſch, ſo daß ſelbſt die Naturſchönheiten von Anjer, wo wir behufs Einnehmen von Erfriſchungen noch einmal einen kurzen Aufenthalt nahmen, mich gleichgiltig ließen. Dazu kam, daß die Krankheit des Bootsmanns ſich ſichtlich verſchlimmerte. In den erſten Tagen hatte er noch öfter in ſeiner gewohnten gutmüthig ſcherzhaften Weiſe zu mir geſprochen, doch dann war er ſtiller geworden; das Fieber trat heftiger auf und er lag vielfach ohne Beſinnung oder redete irre. Er nahm nichts zu ſich, als etwas Wein mit Waſſer, das ich ihm löffelweiſe einflößte, um ſeine brennende Zunge zu kühlen. Ich ſah, daß es mit ihm zu Ende ging und eine tiefe Traurigkeit ergriff mich bei dem Gedanken, den einzigen Menſchen an Bord zu verlieren, der es wahr- haft gut mit mir meinte und dann ganz einſam und verlaſſen zu ſein. Am vierten Tage unſerer Reiſe auf der Abendwache hatte

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Zitationshilfe: Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 133. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/145>, abgerufen am 21.11.2024.