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Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880.

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Werner
er wieder einen heftigen Anfall gehabt. Danach war er ruhiger
geworden und schien einzuschlafen. Als ich eine Zeit lang seinen
Athemzügen gelauscht, die so regelmäßig waren, daß ich auf den
Eintritt einer günstigen Krise hoffte, suchte ich meine Coje auf,
um auch ein wenig zu schlummern, doch schon nach wenigen
Minuten hörte ich leise meinen Namen rufen und sprang wieder
auf, um nach dem Kranken zu sehen. "Reinhold" sagte er,
indem er die Worte nur mit Mühe und abgebrochen hervor-
stieß, "es ist vorbei mit mir, ich fühle es und morgen werde
ich in Gottes Keller liegen. Sage dem Zimmermann, er solle
von den zweizölligen Planken zum Sarge nehmen und es be-
schweren, damit die Haie nicht heran können und es gut sinkt.
Was ich hinterlasse bekommen die Armen, da ich keine Ange-
hörigen habe; der Kapitän weiß schon davon. Weiter ist nichts
zu bestellen, das andere habe ich vorhin mit dem lieben Gott
selbst alles klar gemacht. Leb wol mein Junge, Du hast mich
treu gepflegt und ich danke Dir. Werde ein fixer Kerl und
wenn Du nach oben gehst, dann halte Dich immer an den
Wanten fest, aber nie an den Webeleinen, sie können leicht
brechen." Er schwieg und hielt meine Hand in der seinen.
Trotz meines von Thränen getrübten Blickes nahm ich jetzt eine
große Veränderung in seinen Gesichtszügen wahr. Der Tod
trat an ihn heran, einige röchelnde Töne drangen aus der Brust
hervor, die Glieder streckten sich und -- alles war vorbei! Als
der letzte Seufzer des Sterbenden verhallte, da schlug es acht
Glas -- Mitternacht, und der Ruf des die Freiwache wecken-
den Matrosen "Reiß aus Quartier in Gottes Namen!" schallte
in die Logiskappe hinunter. Der Ruf galt den Lebenden, aber
auch der Todte folgte ihm; seine Seele verließ ihr irdisches
Quartier, um sich zum Himmel emporzuschwingen in Gottes
Namen. Ich drückte ihm die Augen zu.

Am andern Nachmittage übergaben wir ihn seinem weiten
Grabe. Als der nach seinen letzten Wünschen gefertigte Sarg

Werner
er wieder einen heftigen Anfall gehabt. Danach war er ruhiger
geworden und ſchien einzuſchlafen. Als ich eine Zeit lang ſeinen
Athemzügen gelauſcht, die ſo regelmäßig waren, daß ich auf den
Eintritt einer günſtigen Kriſe hoffte, ſuchte ich meine Coje auf,
um auch ein wenig zu ſchlummern, doch ſchon nach wenigen
Minuten hörte ich leiſe meinen Namen rufen und ſprang wieder
auf, um nach dem Kranken zu ſehen. „Reinhold“ ſagte er,
indem er die Worte nur mit Mühe und abgebrochen hervor-
ſtieß, „es iſt vorbei mit mir, ich fühle es und morgen werde
ich in Gottes Keller liegen. Sage dem Zimmermann, er ſolle
von den zweizölligen Planken zum Sarge nehmen und es be-
ſchweren, damit die Haie nicht heran können und es gut ſinkt.
Was ich hinterlaſſe bekommen die Armen, da ich keine Ange-
hörigen habe; der Kapitän weiß ſchon davon. Weiter iſt nichts
zu beſtellen, das andere habe ich vorhin mit dem lieben Gott
ſelbſt alles klar gemacht. Leb wol mein Junge, Du haſt mich
treu gepflegt und ich danke Dir. Werde ein fixer Kerl und
wenn Du nach oben gehſt, dann halte Dich immer an den
Wanten feſt, aber nie an den Webeleinen, ſie können leicht
brechen.“ Er ſchwieg und hielt meine Hand in der ſeinen.
Trotz meines von Thränen getrübten Blickes nahm ich jetzt eine
große Veränderung in ſeinen Geſichtszügen wahr. Der Tod
trat an ihn heran, einige röchelnde Töne drangen aus der Bruſt
hervor, die Glieder ſtreckten ſich und — alles war vorbei! Als
der letzte Seufzer des Sterbenden verhallte, da ſchlug es acht
Glas — Mitternacht, und der Ruf des die Freiwache wecken-
den Matroſen „Reiß aus Quartier in Gottes Namen!“ ſchallte
in die Logiskappe hinunter. Der Ruf galt den Lebenden, aber
auch der Todte folgte ihm; ſeine Seele verließ ihr irdiſches
Quartier, um ſich zum Himmel emporzuſchwingen in Gottes
Namen. Ich drückte ihm die Augen zu.

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[134/0146] Werner er wieder einen heftigen Anfall gehabt. Danach war er ruhiger geworden und ſchien einzuſchlafen. Als ich eine Zeit lang ſeinen Athemzügen gelauſcht, die ſo regelmäßig waren, daß ich auf den Eintritt einer günſtigen Kriſe hoffte, ſuchte ich meine Coje auf, um auch ein wenig zu ſchlummern, doch ſchon nach wenigen Minuten hörte ich leiſe meinen Namen rufen und ſprang wieder auf, um nach dem Kranken zu ſehen. „Reinhold“ ſagte er, indem er die Worte nur mit Mühe und abgebrochen hervor- ſtieß, „es iſt vorbei mit mir, ich fühle es und morgen werde ich in Gottes Keller liegen. Sage dem Zimmermann, er ſolle von den zweizölligen Planken zum Sarge nehmen und es be- ſchweren, damit die Haie nicht heran können und es gut ſinkt. Was ich hinterlaſſe bekommen die Armen, da ich keine Ange- hörigen habe; der Kapitän weiß ſchon davon. Weiter iſt nichts zu beſtellen, das andere habe ich vorhin mit dem lieben Gott ſelbſt alles klar gemacht. Leb wol mein Junge, Du haſt mich treu gepflegt und ich danke Dir. Werde ein fixer Kerl und wenn Du nach oben gehſt, dann halte Dich immer an den Wanten feſt, aber nie an den Webeleinen, ſie können leicht brechen.“ Er ſchwieg und hielt meine Hand in der ſeinen. Trotz meines von Thränen getrübten Blickes nahm ich jetzt eine große Veränderung in ſeinen Geſichtszügen wahr. Der Tod trat an ihn heran, einige röchelnde Töne drangen aus der Bruſt hervor, die Glieder ſtreckten ſich und — alles war vorbei! Als der letzte Seufzer des Sterbenden verhallte, da ſchlug es acht Glas — Mitternacht, und der Ruf des die Freiwache wecken- den Matroſen „Reiß aus Quartier in Gottes Namen!“ ſchallte in die Logiskappe hinunter. Der Ruf galt den Lebenden, aber auch der Todte folgte ihm; ſeine Seele verließ ihr irdiſches Quartier, um ſich zum Himmel emporzuſchwingen in Gottes Namen. Ich drückte ihm die Augen zu. Am andern Nachmittage übergaben wir ihn ſeinem weiten Grabe. Als der nach ſeinen letzten Wünſchen gefertigte Sarg

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Zitationshilfe: Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 134. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/146>, abgerufen am 21.11.2024.