Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880.

Bild:
<< vorherige Seite

Werner
ersten Officier die Jolle für den Nachmittag zum Spazieren-
segeln, holten Hannchen gegen zwei Uhr ab, ließen die Boots-
gäste an Land zurück, um nicht genirt zu sein, und dachten
gegen sechs Uhr nach Glückstadt zurück zu kommen. Alles ging
auch sehr schön; das Mädchen war allerliebst, wir amüsirten
uns herrlich, tranken in Krautsand bei Hannchens Tante Kaffee
und fuhren gegen fünf Uhr vergnügt wieder ab.

Da mußte aber ein unglücklicher Nebel kommen, der so
dicht war, daß wir keine Bootslänge vor uns sehen konnten.
Der Wind flaute so ab, daß an Segeln nicht weiter zu denken
war und so mußten wir zu den Riemen greifen. Wir ruderten,
was das Zeug halten wollte, da wir aber keinen Compaß mit
uns hatten, war die Sache schlimm, und nach etwa einer Stunde
saßen wir denn auch glücklich mit dem Boote fest und zwar so
gründlich, daß wir dasselbe nicht wieder abschieben konnten. Wir
stiegen aus, um die Jolle zu erleichtern und sie so vom Grunde
wieder abzubringen, sanken aber gleich bis an die Brust in den
Schlick und mußten schleunigst wieder in das Boot entern, um
nicht ganz in dem Morast zu verschwinden. Hannchen weinte,
und wir beide saßen naß und schwarz bis fast an den Hals
auf der Sitzbank und versuchten, sie zu trösten, wobei uns aber
die Zähne bei der Aussicht klapperten, die ganze lange Nacht
in diesem Aufzuge verbringen zu müssen. Gegen sieben Uhr
waren wir festgekommen; seit einer Stunde lief die Ebbe, und
es bot sich deshalb keine Hoffnung, selbst wenn der Nebel auf-
klaren sollte, vor dem nächsten Hochwasser am andern Morgen
wieder flott zu werden.

Das war eine schöne Bescheerung; aber wir konnten nichts
dagegen thun, mußten uns ruhig in unser Schicksal fügen
und die Kleider am Leibe trocknen lassen. Ich that alles mög-
liche, um Hannchen zu beruhigen und ergriff dabei einmal ihre
Hand, aber da hättet Ihr den kleinen Meyer sehen sollen! Er
warf mir einen Blick zu, als ob er mich morden wollte,

Werner
erſten Officier die Jolle für den Nachmittag zum Spazieren-
ſegeln, holten Hannchen gegen zwei Uhr ab, ließen die Boots-
gäſte an Land zurück, um nicht genirt zu ſein, und dachten
gegen ſechs Uhr nach Glückſtadt zurück zu kommen. Alles ging
auch ſehr ſchön; das Mädchen war allerliebſt, wir amüſirten
uns herrlich, tranken in Krautſand bei Hannchens Tante Kaffee
und fuhren gegen fünf Uhr vergnügt wieder ab.

Da mußte aber ein unglücklicher Nebel kommen, der ſo
dicht war, daß wir keine Bootslänge vor uns ſehen konnten.
Der Wind flaute ſo ab, daß an Segeln nicht weiter zu denken
war und ſo mußten wir zu den Riemen greifen. Wir ruderten,
was das Zeug halten wollte, da wir aber keinen Compaß mit
uns hatten, war die Sache ſchlimm, und nach etwa einer Stunde
ſaßen wir denn auch glücklich mit dem Boote feſt und zwar ſo
gründlich, daß wir daſſelbe nicht wieder abſchieben konnten. Wir
ſtiegen aus, um die Jolle zu erleichtern und ſie ſo vom Grunde
wieder abzubringen, ſanken aber gleich bis an die Bruſt in den
Schlick und mußten ſchleunigſt wieder in das Boot entern, um
nicht ganz in dem Moraſt zu verſchwinden. Hannchen weinte,
und wir beide ſaßen naß und ſchwarz bis faſt an den Hals
auf der Sitzbank und verſuchten, ſie zu tröſten, wobei uns aber
die Zähne bei der Ausſicht klapperten, die ganze lange Nacht
in dieſem Aufzuge verbringen zu müſſen. Gegen ſieben Uhr
waren wir feſtgekommen; ſeit einer Stunde lief die Ebbe, und
es bot ſich deshalb keine Hoffnung, ſelbſt wenn der Nebel auf-
klaren ſollte, vor dem nächſten Hochwaſſer am andern Morgen
wieder flott zu werden.

Das war eine ſchöne Beſcheerung; aber wir konnten nichts
dagegen thun, mußten uns ruhig in unſer Schickſal fügen
und die Kleider am Leibe trocknen laſſen. Ich that alles mög-
liche, um Hannchen zu beruhigen und ergriff dabei einmal ihre
Hand, aber da hättet Ihr den kleinen Meyer ſehen ſollen! Er
warf mir einen Blick zu, als ob er mich morden wollte,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0308" n="296"/><fw place="top" type="header">Werner</fw><lb/>
er&#x017F;ten Officier die Jolle für den Nachmittag zum Spazieren-<lb/>
&#x017F;egeln, holten Hannchen gegen zwei Uhr ab, ließen die Boots-<lb/>&#x017F;te an Land zurück, um nicht genirt zu &#x017F;ein, und dachten<lb/>
gegen &#x017F;echs Uhr nach Glück&#x017F;tadt zurück zu kommen. Alles ging<lb/>
auch &#x017F;ehr &#x017F;chön; das Mädchen war allerlieb&#x017F;t, wir amü&#x017F;irten<lb/>
uns herrlich, tranken in Kraut&#x017F;and bei Hannchens Tante Kaffee<lb/>
und fuhren gegen fünf Uhr vergnügt wieder ab.</p><lb/>
        <p>Da mußte aber ein unglücklicher Nebel kommen, der &#x017F;o<lb/>
dicht war, daß wir keine Bootslänge vor uns &#x017F;ehen konnten.<lb/>
Der Wind flaute &#x017F;o ab, daß an Segeln nicht weiter zu denken<lb/>
war und &#x017F;o mußten wir zu den Riemen greifen. Wir ruderten,<lb/>
was das Zeug halten wollte, da wir aber keinen Compaß mit<lb/>
uns hatten, war die Sache &#x017F;chlimm, und nach etwa einer Stunde<lb/>
&#x017F;aßen wir denn auch glücklich mit dem Boote fe&#x017F;t und zwar &#x017F;o<lb/>
gründlich, daß wir da&#x017F;&#x017F;elbe nicht wieder ab&#x017F;chieben konnten. Wir<lb/>
&#x017F;tiegen aus, um die Jolle zu erleichtern und &#x017F;ie &#x017F;o vom Grunde<lb/>
wieder abzubringen, &#x017F;anken aber gleich bis an die Bru&#x017F;t in den<lb/>
Schlick und mußten &#x017F;chleunig&#x017F;t wieder in das Boot entern, um<lb/>
nicht ganz in dem Mora&#x017F;t zu ver&#x017F;chwinden. Hannchen weinte,<lb/>
und wir beide &#x017F;aßen naß und &#x017F;chwarz bis fa&#x017F;t an den Hals<lb/>
auf der Sitzbank und ver&#x017F;uchten, &#x017F;ie zu trö&#x017F;ten, wobei uns aber<lb/>
die Zähne bei der Aus&#x017F;icht klapperten, die ganze lange Nacht<lb/>
in die&#x017F;em Aufzuge verbringen zu mü&#x017F;&#x017F;en. Gegen &#x017F;ieben Uhr<lb/>
waren wir fe&#x017F;tgekommen; &#x017F;eit einer Stunde lief die Ebbe, und<lb/>
es bot &#x017F;ich deshalb keine Hoffnung, &#x017F;elb&#x017F;t wenn der Nebel auf-<lb/>
klaren &#x017F;ollte, vor dem näch&#x017F;ten Hochwa&#x017F;&#x017F;er am andern Morgen<lb/>
wieder flott zu werden.</p><lb/>
        <p>Das war eine &#x017F;chöne Be&#x017F;cheerung; aber wir konnten nichts<lb/>
dagegen thun, mußten uns ruhig in un&#x017F;er Schick&#x017F;al fügen<lb/>
und die Kleider am Leibe trocknen la&#x017F;&#x017F;en. Ich that alles mög-<lb/>
liche, um Hannchen zu beruhigen und ergriff dabei einmal ihre<lb/>
Hand, aber da hättet Ihr den kleinen Meyer &#x017F;ehen &#x017F;ollen! Er<lb/>
warf mir einen Blick zu, als ob er mich morden wollte,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[296/0308] Werner erſten Officier die Jolle für den Nachmittag zum Spazieren- ſegeln, holten Hannchen gegen zwei Uhr ab, ließen die Boots- gäſte an Land zurück, um nicht genirt zu ſein, und dachten gegen ſechs Uhr nach Glückſtadt zurück zu kommen. Alles ging auch ſehr ſchön; das Mädchen war allerliebſt, wir amüſirten uns herrlich, tranken in Krautſand bei Hannchens Tante Kaffee und fuhren gegen fünf Uhr vergnügt wieder ab. Da mußte aber ein unglücklicher Nebel kommen, der ſo dicht war, daß wir keine Bootslänge vor uns ſehen konnten. Der Wind flaute ſo ab, daß an Segeln nicht weiter zu denken war und ſo mußten wir zu den Riemen greifen. Wir ruderten, was das Zeug halten wollte, da wir aber keinen Compaß mit uns hatten, war die Sache ſchlimm, und nach etwa einer Stunde ſaßen wir denn auch glücklich mit dem Boote feſt und zwar ſo gründlich, daß wir daſſelbe nicht wieder abſchieben konnten. Wir ſtiegen aus, um die Jolle zu erleichtern und ſie ſo vom Grunde wieder abzubringen, ſanken aber gleich bis an die Bruſt in den Schlick und mußten ſchleunigſt wieder in das Boot entern, um nicht ganz in dem Moraſt zu verſchwinden. Hannchen weinte, und wir beide ſaßen naß und ſchwarz bis faſt an den Hals auf der Sitzbank und verſuchten, ſie zu tröſten, wobei uns aber die Zähne bei der Ausſicht klapperten, die ganze lange Nacht in dieſem Aufzuge verbringen zu müſſen. Gegen ſieben Uhr waren wir feſtgekommen; ſeit einer Stunde lief die Ebbe, und es bot ſich deshalb keine Hoffnung, ſelbſt wenn der Nebel auf- klaren ſollte, vor dem nächſten Hochwaſſer am andern Morgen wieder flott zu werden. Das war eine ſchöne Beſcheerung; aber wir konnten nichts dagegen thun, mußten uns ruhig in unſer Schickſal fügen und die Kleider am Leibe trocknen laſſen. Ich that alles mög- liche, um Hannchen zu beruhigen und ergriff dabei einmal ihre Hand, aber da hättet Ihr den kleinen Meyer ſehen ſollen! Er warf mir einen Blick zu, als ob er mich morden wollte,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/308
Zitationshilfe: Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 296. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/308>, abgerufen am 20.05.2024.