und so überließ ich ihm denn allein die Tröstung; aber erst gegen Mitternacht hatte Hannchen sich satt geweint und ließ sich bereden, etwas zu schlafen. Wir machten ihr hinten in der Jolle, so gut es gehen wollte, ein Lager aus den Bootskissen und deckten sie mit dem Großsegel zu. Die Fock nahm ich, um mich vorn im Boot zu lagern, und ich wollte auch Meyer bereden, sich niederzulegen, aber er weigerte sich hartnäckig und erklärte, unter jeder Bedingung wach bleiben zu wollen.
Nun ich ließ ihm seinen Willen, wickelte mich in die Fock und schlief auch bald ein. Die scharfkantigen Inhölzer des Bootes waren jedoch gerade nicht behaglich und ich wachte schon gegen zwei Uhr wieder so kreuzlahm auf, als ob ich auf Latten gelegen hätte. Trotz meiner Schmerzen mußte ich aber laut auf- lachen, denn wahrhaftig, Meyer saß wie der Engel Gabriel vor dem Paradiese mit gezücktem Schwerte auf der Ruderbank mitt- schiffs und hielt über Hannchen Wache.
Ich wollte ihn ablösen, aber er lehnte entschieden ab. "Ich habe die Erlaubniß von Hannchens Vater zu der Fahrt einge- holt und meine Pflicht ist es, das Mädchen so wieder abzu- liefern, wie ich sie empfangen," sprach er mit feierlichem Ernst, "und von dieser Pflicht wird mich Niemand abwendig machen."
Nun ich ließ ihn auf seinem Posten, wählte mir die weichste Planke aus und versuchte noch etwas zu schlafen. End- lich wurde es Tag, der Nebel war gefallen und wir sahen, wo wir waren. Die Ebbe hatte uns ganz gehörig versetzt, und statt an das Nordufer, waren wir an das südliche, ganz nahe bei Freiburg, gerathen. Gegen sechs Uhr Morgens kamen wir dann mit Hochwasser los und mit dem westlichen Winde um acht Uhr in Glückstadt an."
"Und wie war der Empfang?" fragte ein Junker.
"Nun Ihr könnt Euch denken, was der alte Iversen für ein Gesicht machte und welche Mühe es kostete, ihm unsere Un- schuld an dem Ausbleiben nachzuweisen. Er wollte sofort zur
Die Seejunker
und ſo überließ ich ihm denn allein die Tröſtung; aber erſt gegen Mitternacht hatte Hannchen ſich ſatt geweint und ließ ſich bereden, etwas zu ſchlafen. Wir machten ihr hinten in der Jolle, ſo gut es gehen wollte, ein Lager aus den Bootskiſſen und deckten ſie mit dem Großſegel zu. Die Fock nahm ich, um mich vorn im Boot zu lagern, und ich wollte auch Meyer bereden, ſich niederzulegen, aber er weigerte ſich hartnäckig und erklärte, unter jeder Bedingung wach bleiben zu wollen.
Nun ich ließ ihm ſeinen Willen, wickelte mich in die Fock und ſchlief auch bald ein. Die ſcharfkantigen Inhölzer des Bootes waren jedoch gerade nicht behaglich und ich wachte ſchon gegen zwei Uhr wieder ſo kreuzlahm auf, als ob ich auf Latten gelegen hätte. Trotz meiner Schmerzen mußte ich aber laut auf- lachen, denn wahrhaftig, Meyer ſaß wie der Engel Gabriel vor dem Paradieſe mit gezücktem Schwerte auf der Ruderbank mitt- ſchiffs und hielt über Hannchen Wache.
Ich wollte ihn ablöſen, aber er lehnte entſchieden ab. „Ich habe die Erlaubniß von Hannchens Vater zu der Fahrt einge- holt und meine Pflicht iſt es, das Mädchen ſo wieder abzu- liefern, wie ich ſie empfangen,“ ſprach er mit feierlichem Ernſt, „und von dieſer Pflicht wird mich Niemand abwendig machen.“
Nun ich ließ ihn auf ſeinem Poſten, wählte mir die weichſte Planke aus und verſuchte noch etwas zu ſchlafen. End- lich wurde es Tag, der Nebel war gefallen und wir ſahen, wo wir waren. Die Ebbe hatte uns ganz gehörig verſetzt, und ſtatt an das Nordufer, waren wir an das ſüdliche, ganz nahe bei Freiburg, gerathen. Gegen ſechs Uhr Morgens kamen wir dann mit Hochwaſſer los und mit dem weſtlichen Winde um acht Uhr in Glückſtadt an.“
„Und wie war der Empfang?“ fragte ein Junker.
„Nun Ihr könnt Euch denken, was der alte Iverſen für ein Geſicht machte und welche Mühe es koſtete, ihm unſere Un- ſchuld an dem Ausbleiben nachzuweiſen. Er wollte ſofort zur
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0309"n="297"/><fwplace="top"type="header">Die Seejunker</fw><lb/>
und ſo überließ ich ihm denn allein die Tröſtung; aber erſt<lb/>
gegen Mitternacht hatte Hannchen ſich ſatt geweint und ließ ſich<lb/>
bereden, etwas zu ſchlafen. Wir machten ihr hinten in der<lb/>
Jolle, ſo gut es gehen wollte, ein Lager aus den Bootskiſſen<lb/>
und deckten ſie mit dem Großſegel zu. Die Fock nahm ich,<lb/>
um mich vorn im Boot zu lagern, und ich wollte auch Meyer<lb/>
bereden, ſich niederzulegen, aber er weigerte ſich hartnäckig und<lb/>
erklärte, unter jeder Bedingung wach bleiben zu wollen.</p><lb/><p>Nun ich ließ ihm ſeinen Willen, wickelte mich in die Fock<lb/>
und ſchlief auch bald ein. Die ſcharfkantigen Inhölzer des<lb/>
Bootes waren jedoch gerade nicht behaglich und ich wachte ſchon<lb/>
gegen zwei Uhr wieder ſo kreuzlahm auf, als ob ich auf Latten<lb/>
gelegen hätte. Trotz meiner Schmerzen mußte ich aber laut auf-<lb/>
lachen, denn wahrhaftig, Meyer ſaß wie der Engel Gabriel vor<lb/>
dem Paradieſe mit gezücktem Schwerte auf der Ruderbank mitt-<lb/>ſchiffs und hielt über Hannchen Wache.</p><lb/><p>Ich wollte ihn ablöſen, aber er lehnte entſchieden ab. „Ich<lb/>
habe die Erlaubniß von Hannchens Vater zu der Fahrt einge-<lb/>
holt und meine Pflicht iſt es, das Mädchen ſo wieder abzu-<lb/>
liefern, wie ich ſie empfangen,“ſprach er mit feierlichem Ernſt,<lb/>„und von dieſer Pflicht wird mich Niemand abwendig machen.“</p><lb/><p>Nun ich ließ ihn auf ſeinem Poſten, wählte mir die<lb/>
weichſte Planke aus und verſuchte noch etwas zu ſchlafen. End-<lb/>
lich wurde es Tag, der Nebel war gefallen und wir ſahen,<lb/>
wo wir waren. Die Ebbe hatte uns ganz gehörig verſetzt,<lb/>
und ſtatt an das Nordufer, waren wir an das ſüdliche, ganz<lb/>
nahe bei Freiburg, gerathen. Gegen ſechs Uhr Morgens kamen<lb/>
wir dann mit Hochwaſſer los und mit dem weſtlichen Winde<lb/>
um acht Uhr in Glückſtadt an.“</p><lb/><p>„Und wie war der Empfang?“ fragte ein Junker.</p><lb/><p>„Nun Ihr könnt Euch denken, was der alte Iverſen für<lb/>
ein Geſicht machte und welche Mühe es koſtete, ihm unſere Un-<lb/>ſchuld an dem Ausbleiben nachzuweiſen. Er wollte ſofort zur<lb/></p></div></body></text></TEI>
[297/0309]
Die Seejunker
und ſo überließ ich ihm denn allein die Tröſtung; aber erſt
gegen Mitternacht hatte Hannchen ſich ſatt geweint und ließ ſich
bereden, etwas zu ſchlafen. Wir machten ihr hinten in der
Jolle, ſo gut es gehen wollte, ein Lager aus den Bootskiſſen
und deckten ſie mit dem Großſegel zu. Die Fock nahm ich,
um mich vorn im Boot zu lagern, und ich wollte auch Meyer
bereden, ſich niederzulegen, aber er weigerte ſich hartnäckig und
erklärte, unter jeder Bedingung wach bleiben zu wollen.
Nun ich ließ ihm ſeinen Willen, wickelte mich in die Fock
und ſchlief auch bald ein. Die ſcharfkantigen Inhölzer des
Bootes waren jedoch gerade nicht behaglich und ich wachte ſchon
gegen zwei Uhr wieder ſo kreuzlahm auf, als ob ich auf Latten
gelegen hätte. Trotz meiner Schmerzen mußte ich aber laut auf-
lachen, denn wahrhaftig, Meyer ſaß wie der Engel Gabriel vor
dem Paradieſe mit gezücktem Schwerte auf der Ruderbank mitt-
ſchiffs und hielt über Hannchen Wache.
Ich wollte ihn ablöſen, aber er lehnte entſchieden ab. „Ich
habe die Erlaubniß von Hannchens Vater zu der Fahrt einge-
holt und meine Pflicht iſt es, das Mädchen ſo wieder abzu-
liefern, wie ich ſie empfangen,“ ſprach er mit feierlichem Ernſt,
„und von dieſer Pflicht wird mich Niemand abwendig machen.“
Nun ich ließ ihn auf ſeinem Poſten, wählte mir die
weichſte Planke aus und verſuchte noch etwas zu ſchlafen. End-
lich wurde es Tag, der Nebel war gefallen und wir ſahen,
wo wir waren. Die Ebbe hatte uns ganz gehörig verſetzt,
und ſtatt an das Nordufer, waren wir an das ſüdliche, ganz
nahe bei Freiburg, gerathen. Gegen ſechs Uhr Morgens kamen
wir dann mit Hochwaſſer los und mit dem weſtlichen Winde
um acht Uhr in Glückſtadt an.“
„Und wie war der Empfang?“ fragte ein Junker.
„Nun Ihr könnt Euch denken, was der alte Iverſen für
ein Geſicht machte und welche Mühe es koſtete, ihm unſere Un-
ſchuld an dem Ausbleiben nachzuweiſen. Er wollte ſofort zur
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 297. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/309>, abgerufen am 27.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.