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Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880.

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Werner
Eingeborenen den Baum nennen. Er hat die kupferbraune
glänzende Farbe der Indianer, seine Zweige sind fast blattlos
und strecken sich wie nackte Arme horizontal aus. Die Aus-
sicht von den Höhen war prachtvoll und kein neidischer Nebel
trübte sie. Die Luft war so klar und durchsichtig, daß alle
Gegenstände viel näher erschienen und bei jeder Biegung des
Weges öffnete sich ein neues Panorama, das unsere Blicke
fesselte. Zu unseren Füßen lagerten Hunderte von Bergkuppen,
deren dunkle Bewaldung öfter von lieblichen Thälern unter-
brochen wurde, durch welche sich ein Bergstrom wand und an
dessen Ufern Bananen oder Brotfruchtbäume ihre Blätter im
Winde wiegten. In nächster Nähe webte ein reicher Blumenflor
einen leuchtenden Teppich über die Erde, buntgefiederte Vögel
huschten durch das Gezweig der Bäume und prachtvoll gefärbte
Schmetterlinge glänzten im Sonnenlichte und entzückten das
Auge.

Dieser beständige Wechsel der Scenerie verkürzte uns
auf die angenehmste Weise die Zeit, aber auch anderartige
neue Erscheinungen zogen unsere Aufmerksamkeit auf sich. Die
Fahrstraße vermittelt den ganzen Handelsverkehr zwischen dem
Inlande und La Guayra und es herrscht deshalb auf ihr eine
ungemein lebhafte Communication. Endlose Züge von beladenen
Maulthieren oder zweiräderigen Karren kommen dem Reisenden
entgegen und die Glocken der Leitthiere klingen melodisch schon
aus weiter Ferne zu ihm herüber. Mit bedächtigem Schritt
steigen die Thiere herunter und lassen den begegnenden Wagen
die sichere Bergseite, dagegen verursachen die im scharfen Trabe
thalwärts jagenden Miethwagen oft keinen geringen Schrecken,
wenn sie, ohne daß man ihren Peitschenknall vorher gehört,
plötzlich um eine der scharfen Ecken biegen und nun ausge-
wichen werden soll. Da heißt es aufpassen und geschickt sein,
und das muß man den Venezuelaner Kutschern lassen, sie ver-
stehen ihr Fach aus dem Grunde. Unter dem Eindrucke ihrer

Werner
Eingeborenen den Baum nennen. Er hat die kupferbraune
glänzende Farbe der Indianer, ſeine Zweige ſind faſt blattlos
und ſtrecken ſich wie nackte Arme horizontal aus. Die Aus-
ſicht von den Höhen war prachtvoll und kein neidiſcher Nebel
trübte ſie. Die Luft war ſo klar und durchſichtig, daß alle
Gegenſtände viel näher erſchienen und bei jeder Biegung des
Weges öffnete ſich ein neues Panorama, das unſere Blicke
feſſelte. Zu unſeren Füßen lagerten Hunderte von Bergkuppen,
deren dunkle Bewaldung öfter von lieblichen Thälern unter-
brochen wurde, durch welche ſich ein Bergſtrom wand und an
deſſen Ufern Bananen oder Brotfruchtbäume ihre Blätter im
Winde wiegten. In nächſter Nähe webte ein reicher Blumenflor
einen leuchtenden Teppich über die Erde, buntgefiederte Vögel
huſchten durch das Gezweig der Bäume und prachtvoll gefärbte
Schmetterlinge glänzten im Sonnenlichte und entzückten das
Auge.

Dieſer beſtändige Wechſel der Scenerie verkürzte uns
auf die angenehmſte Weiſe die Zeit, aber auch anderartige
neue Erſcheinungen zogen unſere Aufmerkſamkeit auf ſich. Die
Fahrſtraße vermittelt den ganzen Handelsverkehr zwiſchen dem
Inlande und La Guayra und es herrſcht deshalb auf ihr eine
ungemein lebhafte Communication. Endloſe Züge von beladenen
Maulthieren oder zweiräderigen Karren kommen dem Reiſenden
entgegen und die Glocken der Leitthiere klingen melodiſch ſchon
aus weiter Ferne zu ihm herüber. Mit bedächtigem Schritt
ſteigen die Thiere herunter und laſſen den begegnenden Wagen
die ſichere Bergſeite, dagegen verurſachen die im ſcharfen Trabe
thalwärts jagenden Miethwagen oft keinen geringen Schrecken,
wenn ſie, ohne daß man ihren Peitſchenknall vorher gehört,
plötzlich um eine der ſcharfen Ecken biegen und nun ausge-
wichen werden ſoll. Da heißt es aufpaſſen und geſchickt ſein,
und das muß man den Venezuelaner Kutſchern laſſen, ſie ver-
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[330/0342] Werner Eingeborenen den Baum nennen. Er hat die kupferbraune glänzende Farbe der Indianer, ſeine Zweige ſind faſt blattlos und ſtrecken ſich wie nackte Arme horizontal aus. Die Aus- ſicht von den Höhen war prachtvoll und kein neidiſcher Nebel trübte ſie. Die Luft war ſo klar und durchſichtig, daß alle Gegenſtände viel näher erſchienen und bei jeder Biegung des Weges öffnete ſich ein neues Panorama, das unſere Blicke feſſelte. Zu unſeren Füßen lagerten Hunderte von Bergkuppen, deren dunkle Bewaldung öfter von lieblichen Thälern unter- brochen wurde, durch welche ſich ein Bergſtrom wand und an deſſen Ufern Bananen oder Brotfruchtbäume ihre Blätter im Winde wiegten. In nächſter Nähe webte ein reicher Blumenflor einen leuchtenden Teppich über die Erde, buntgefiederte Vögel huſchten durch das Gezweig der Bäume und prachtvoll gefärbte Schmetterlinge glänzten im Sonnenlichte und entzückten das Auge. Dieſer beſtändige Wechſel der Scenerie verkürzte uns auf die angenehmſte Weiſe die Zeit, aber auch anderartige neue Erſcheinungen zogen unſere Aufmerkſamkeit auf ſich. Die Fahrſtraße vermittelt den ganzen Handelsverkehr zwiſchen dem Inlande und La Guayra und es herrſcht deshalb auf ihr eine ungemein lebhafte Communication. Endloſe Züge von beladenen Maulthieren oder zweiräderigen Karren kommen dem Reiſenden entgegen und die Glocken der Leitthiere klingen melodiſch ſchon aus weiter Ferne zu ihm herüber. Mit bedächtigem Schritt ſteigen die Thiere herunter und laſſen den begegnenden Wagen die ſichere Bergſeite, dagegen verurſachen die im ſcharfen Trabe thalwärts jagenden Miethwagen oft keinen geringen Schrecken, wenn ſie, ohne daß man ihren Peitſchenknall vorher gehört, plötzlich um eine der ſcharfen Ecken biegen und nun ausge- wichen werden ſoll. Da heißt es aufpaſſen und geſchickt ſein, und das muß man den Venezuelaner Kutſchern laſſen, ſie ver- ſtehen ihr Fach aus dem Grunde. Unter dem Eindrucke ihrer

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Zitationshilfe: Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 330. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/342>, abgerufen am 22.11.2024.