ungemeinen Sicherheit beim Fahren schwand bei uns allmälig die Aufregung bei solchen Begegnungen und bald achteten wir auch nicht mehr auf die Kreuze, die meistens an solchen Biegungen errichtet waren.
Die vier Stunden, in denen wir nach Caracas vertrags- mäßig geschafft werden sollten, reckten sich jedoch um ebensoviel weiter hinaus wie unsere verabredete Abfahrt am Morgen. Die Kutscher hatten offenbar viel Durst oder auch das Bedürfniß einer lebhafteren Unterhaltung, als wir mit ihnen pflogen, denn ohne sich an unsere Remonstrationen zu kehren, hielten sie bei jeder Posada, wenn auch der Ausdruck für solche Oertlichkeit oft sehr gewagt war. Vier Pfähle mit einem Dach von Palmen- blättern lehnten sich windschief gegen die Felswand. In einer Ecke befand sich eine Feuerstelle; ein Kessel, zwei oder drei irdene Gefäße und eine geflochtene Hürde, hinter welcher sich die Schlafstellen verbargen -- das war die gesammte Ausstattung dieser "Gasthöfe". Unsereiner konnte in ihnen natürlich nichts bekommen, denn das in den irdenen Gefäßen enthaltene un- definirbare gegohrene Getränk war für Europäer ungenießbar.
Auf halbem Wege wurden wir jedoch in einer diesen Namen wirklich verdienenden Posada, welche vier Wände und mehrere Zimmer hatte, durch ein ganz vortreffliches Frühstück entschädigt, das auch verhältnißmäßig nicht theuer war und, was uns besonders auffiel, merkwürdig reinlich servirt wurde. Hier erhielten wir neue Pferde, und da wir den höchsten Punkt unserer Route überwunden hatten, so ging es jetzt im schärfsten Trabe und sehr schnell vorwärts. Noch eine Biegung, und die ganze Hochebene von Caracas mit der Stadt in ihrer Mitte, eingeschlossen von reichbewaldeten Höhenzügen, auf denen der bläuliche Duft südlicher Gegenden lagerte, zeigte sich unseren Blicken.
So schön und romantisch uns aber auch die Umgebung erschien, so wenig imponirte uns die Stadt selbst. Möglicher-
Nach Weſtindien und dem Mittelmeer
ungemeinen Sicherheit beim Fahren ſchwand bei uns allmälig die Aufregung bei ſolchen Begegnungen und bald achteten wir auch nicht mehr auf die Kreuze, die meiſtens an ſolchen Biegungen errichtet waren.
Die vier Stunden, in denen wir nach Caracas vertrags- mäßig geſchafft werden ſollten, reckten ſich jedoch um ebenſoviel weiter hinaus wie unſere verabredete Abfahrt am Morgen. Die Kutſcher hatten offenbar viel Durſt oder auch das Bedürfniß einer lebhafteren Unterhaltung, als wir mit ihnen pflogen, denn ohne ſich an unſere Remonſtrationen zu kehren, hielten ſie bei jeder Poſada, wenn auch der Ausdruck für ſolche Oertlichkeit oft ſehr gewagt war. Vier Pfähle mit einem Dach von Palmen- blättern lehnten ſich windſchief gegen die Felswand. In einer Ecke befand ſich eine Feuerſtelle; ein Keſſel, zwei oder drei irdene Gefäße und eine geflochtene Hürde, hinter welcher ſich die Schlafſtellen verbargen — das war die geſammte Ausſtattung dieſer „Gaſthöfe“. Unſereiner konnte in ihnen natürlich nichts bekommen, denn das in den irdenen Gefäßen enthaltene un- definirbare gegohrene Getränk war für Europäer ungenießbar.
Auf halbem Wege wurden wir jedoch in einer dieſen Namen wirklich verdienenden Poſada, welche vier Wände und mehrere Zimmer hatte, durch ein ganz vortreffliches Frühſtück entſchädigt, das auch verhältnißmäßig nicht theuer war und, was uns beſonders auffiel, merkwürdig reinlich ſervirt wurde. Hier erhielten wir neue Pferde, und da wir den höchſten Punkt unſerer Route überwunden hatten, ſo ging es jetzt im ſchärfſten Trabe und ſehr ſchnell vorwärts. Noch eine Biegung, und die ganze Hochebene von Caracas mit der Stadt in ihrer Mitte, eingeſchloſſen von reichbewaldeten Höhenzügen, auf denen der bläuliche Duft ſüdlicher Gegenden lagerte, zeigte ſich unſeren Blicken.
So ſchön und romantiſch uns aber auch die Umgebung erſchien, ſo wenig imponirte uns die Stadt ſelbſt. Möglicher-
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0343"n="331"/><fwplace="top"type="header">Nach Weſtindien und dem Mittelmeer</fw><lb/>
ungemeinen Sicherheit beim Fahren ſchwand bei uns allmälig<lb/>
die Aufregung bei ſolchen Begegnungen und bald achteten wir<lb/>
auch nicht mehr auf die Kreuze, die meiſtens an ſolchen<lb/>
Biegungen errichtet waren.</p><lb/><p>Die vier Stunden, in denen wir nach Caracas vertrags-<lb/>
mäßig geſchafft werden ſollten, reckten ſich jedoch um ebenſoviel<lb/>
weiter hinaus wie unſere verabredete Abfahrt am Morgen. Die<lb/>
Kutſcher hatten offenbar viel Durſt oder auch das Bedürfniß<lb/>
einer lebhafteren Unterhaltung, als wir mit ihnen pflogen, denn<lb/>
ohne ſich an unſere Remonſtrationen zu kehren, hielten ſie bei<lb/>
jeder Poſada, wenn auch der Ausdruck für ſolche Oertlichkeit oft<lb/>ſehr gewagt war. Vier Pfähle mit einem Dach von Palmen-<lb/>
blättern lehnten ſich windſchief gegen die Felswand. In einer<lb/>
Ecke befand ſich eine Feuerſtelle; ein Keſſel, zwei oder drei<lb/>
irdene Gefäße und eine geflochtene Hürde, hinter welcher ſich die<lb/>
Schlafſtellen verbargen — das war die geſammte Ausſtattung<lb/>
dieſer „Gaſthöfe“. Unſereiner konnte in ihnen natürlich nichts<lb/>
bekommen, denn das in den irdenen Gefäßen enthaltene un-<lb/>
definirbare gegohrene Getränk war für Europäer ungenießbar.</p><lb/><p>Auf halbem Wege wurden wir jedoch in einer dieſen<lb/>
Namen wirklich verdienenden Poſada, welche vier Wände und<lb/>
mehrere Zimmer hatte, durch ein ganz vortreffliches Frühſtück<lb/>
entſchädigt, das auch verhältnißmäßig nicht theuer war und,<lb/>
was uns beſonders auffiel, merkwürdig reinlich ſervirt wurde.<lb/>
Hier erhielten wir neue Pferde, und da wir den höchſten Punkt<lb/>
unſerer Route überwunden hatten, ſo ging es jetzt im ſchärfſten<lb/>
Trabe und ſehr ſchnell vorwärts. Noch eine Biegung, und die<lb/>
ganze Hochebene von Caracas mit der Stadt in ihrer Mitte,<lb/>
eingeſchloſſen von reichbewaldeten Höhenzügen, auf denen<lb/>
der bläuliche Duft ſüdlicher Gegenden lagerte, zeigte ſich unſeren<lb/>
Blicken.</p><lb/><p>So ſchön und romantiſch uns aber auch die Umgebung<lb/>
erſchien, ſo wenig imponirte uns die Stadt ſelbſt. Möglicher-<lb/></p></div></body></text></TEI>
[331/0343]
Nach Weſtindien und dem Mittelmeer
ungemeinen Sicherheit beim Fahren ſchwand bei uns allmälig
die Aufregung bei ſolchen Begegnungen und bald achteten wir
auch nicht mehr auf die Kreuze, die meiſtens an ſolchen
Biegungen errichtet waren.
Die vier Stunden, in denen wir nach Caracas vertrags-
mäßig geſchafft werden ſollten, reckten ſich jedoch um ebenſoviel
weiter hinaus wie unſere verabredete Abfahrt am Morgen. Die
Kutſcher hatten offenbar viel Durſt oder auch das Bedürfniß
einer lebhafteren Unterhaltung, als wir mit ihnen pflogen, denn
ohne ſich an unſere Remonſtrationen zu kehren, hielten ſie bei
jeder Poſada, wenn auch der Ausdruck für ſolche Oertlichkeit oft
ſehr gewagt war. Vier Pfähle mit einem Dach von Palmen-
blättern lehnten ſich windſchief gegen die Felswand. In einer
Ecke befand ſich eine Feuerſtelle; ein Keſſel, zwei oder drei
irdene Gefäße und eine geflochtene Hürde, hinter welcher ſich die
Schlafſtellen verbargen — das war die geſammte Ausſtattung
dieſer „Gaſthöfe“. Unſereiner konnte in ihnen natürlich nichts
bekommen, denn das in den irdenen Gefäßen enthaltene un-
definirbare gegohrene Getränk war für Europäer ungenießbar.
Auf halbem Wege wurden wir jedoch in einer dieſen
Namen wirklich verdienenden Poſada, welche vier Wände und
mehrere Zimmer hatte, durch ein ganz vortreffliches Frühſtück
entſchädigt, das auch verhältnißmäßig nicht theuer war und,
was uns beſonders auffiel, merkwürdig reinlich ſervirt wurde.
Hier erhielten wir neue Pferde, und da wir den höchſten Punkt
unſerer Route überwunden hatten, ſo ging es jetzt im ſchärfſten
Trabe und ſehr ſchnell vorwärts. Noch eine Biegung, und die
ganze Hochebene von Caracas mit der Stadt in ihrer Mitte,
eingeſchloſſen von reichbewaldeten Höhenzügen, auf denen
der bläuliche Duft ſüdlicher Gegenden lagerte, zeigte ſich unſeren
Blicken.
So ſchön und romantiſch uns aber auch die Umgebung
erſchien, ſo wenig imponirte uns die Stadt ſelbſt. Möglicher-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 331. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/343>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.