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Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880.

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weise mag sie im Anfange dieses Jahrhunderts ein großartigeres
Aussehen gehabt haben, aber bekanntlich wurde sie 1812 durch
ein Erdbeben vollständig zerstört, nur die Kathedrale und zwei
bis drei andere Gebäude blieben stehen, und bei dem Wieder-
aufbau hat man allein das Nützlichkeitsprincip gelten lassen.
Mit Rücksicht auf Erdbeben sind, mit sehr wenigen Ausnahmen,
sämmtliche Häuser einstöckig, ohne jede architektonische Schönheit,
aus rohen Bruchsteinen aufgeführt. Die Straßen durchschneiden
sich zwar wie in allen Tropenstädten spanischen Ursprungs recht-
winklig in bestimmten Entfernungen, sind aber meistens sehr
eng und schlecht gepflastert. Außer der Kathedrale sind die
übrigen Kirchen niedrig und gedrückt und treten deshalb kaum
aus der eintönigen Häusermasse hervor, so daß der Eindruck,
den man von Caracas gewinnt, ein höchst mittelmäßiger ist.

Die Kathedrale bildet ungefähr den Mittelpunkt der Stadt
und die eine Seite des einzigen größeren öffentlichen Platzes
(es giebt deren noch zwei andere), der zwar auch nur beschränkte
Dimensionen hat, sonst aber recht geschmackvoll mit Gartenan-
lagen geschmückt ist. Erfahrungsmäßig treten an diesen Punkten
die Erdbeben am schwächsten auf und deshalb finden sich hier
auch die einzigen zweistöckigen Häuser: das Congreßgebäude und
der erzbischöfliche Palast. Letzterer war zur Zeit unserer An-
wesenheit jedoch unbewohnt und der Erzbischof befand sich im
Exil. Venezuela hatte auch seinen Culturkampf, aber der Präsi-
dent der Republik, Guzman Blanco, machte mit dem gesammten
Clerus kurzen Proceß. Er ließ den widerspenstigen und den
Staatsgesetzen den Gehorsam versagenden Erzbischof ohne Weite-
res aufheben, mit einigen anderen unbotmäßigen Prälaten auf
ein Schiff und außer Landes bringen. Ebenso entzog er den
Klöstern die bislang gewährten staatlichen Zuschüsse und wies
die Insassen an, sich ihren Lebensunterhalt durch eigene Arbeit
zu erwerben.

Die Kathedrale hinterläßt keinen schönen Eindruck. Sie

Werner
weiſe mag ſie im Anfange dieſes Jahrhunderts ein großartigeres
Ausſehen gehabt haben, aber bekanntlich wurde ſie 1812 durch
ein Erdbeben vollſtändig zerſtört, nur die Kathedrale und zwei
bis drei andere Gebäude blieben ſtehen, und bei dem Wieder-
aufbau hat man allein das Nützlichkeitsprincip gelten laſſen.
Mit Rückſicht auf Erdbeben ſind, mit ſehr wenigen Ausnahmen,
ſämmtliche Häuſer einſtöckig, ohne jede architektoniſche Schönheit,
aus rohen Bruchſteinen aufgeführt. Die Straßen durchſchneiden
ſich zwar wie in allen Tropenſtädten ſpaniſchen Urſprungs recht-
winklig in beſtimmten Entfernungen, ſind aber meiſtens ſehr
eng und ſchlecht gepflaſtert. Außer der Kathedrale ſind die
übrigen Kirchen niedrig und gedrückt und treten deshalb kaum
aus der eintönigen Häuſermaſſe hervor, ſo daß der Eindruck,
den man von Caracas gewinnt, ein höchſt mittelmäßiger iſt.

Die Kathedrale bildet ungefähr den Mittelpunkt der Stadt
und die eine Seite des einzigen größeren öffentlichen Platzes
(es giebt deren noch zwei andere), der zwar auch nur beſchränkte
Dimenſionen hat, ſonſt aber recht geſchmackvoll mit Gartenan-
lagen geſchmückt iſt. Erfahrungsmäßig treten an dieſen Punkten
die Erdbeben am ſchwächſten auf und deshalb finden ſich hier
auch die einzigen zweiſtöckigen Häuſer: das Congreßgebäude und
der erzbiſchöfliche Palaſt. Letzterer war zur Zeit unſerer An-
weſenheit jedoch unbewohnt und der Erzbiſchof befand ſich im
Exil. Venezuela hatte auch ſeinen Culturkampf, aber der Präſi-
dent der Republik, Guzman Blanco, machte mit dem geſammten
Clerus kurzen Proceß. Er ließ den widerſpenſtigen und den
Staatsgeſetzen den Gehorſam verſagenden Erzbiſchof ohne Weite-
res aufheben, mit einigen anderen unbotmäßigen Prälaten auf
ein Schiff und außer Landes bringen. Ebenſo entzog er den
Klöſtern die bislang gewährten ſtaatlichen Zuſchüſſe und wies
die Inſaſſen an, ſich ihren Lebensunterhalt durch eigene Arbeit
zu erwerben.

Die Kathedrale hinterläßt keinen ſchönen Eindruck. Sie

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[332/0344] Werner weiſe mag ſie im Anfange dieſes Jahrhunderts ein großartigeres Ausſehen gehabt haben, aber bekanntlich wurde ſie 1812 durch ein Erdbeben vollſtändig zerſtört, nur die Kathedrale und zwei bis drei andere Gebäude blieben ſtehen, und bei dem Wieder- aufbau hat man allein das Nützlichkeitsprincip gelten laſſen. Mit Rückſicht auf Erdbeben ſind, mit ſehr wenigen Ausnahmen, ſämmtliche Häuſer einſtöckig, ohne jede architektoniſche Schönheit, aus rohen Bruchſteinen aufgeführt. Die Straßen durchſchneiden ſich zwar wie in allen Tropenſtädten ſpaniſchen Urſprungs recht- winklig in beſtimmten Entfernungen, ſind aber meiſtens ſehr eng und ſchlecht gepflaſtert. Außer der Kathedrale ſind die übrigen Kirchen niedrig und gedrückt und treten deshalb kaum aus der eintönigen Häuſermaſſe hervor, ſo daß der Eindruck, den man von Caracas gewinnt, ein höchſt mittelmäßiger iſt. Die Kathedrale bildet ungefähr den Mittelpunkt der Stadt und die eine Seite des einzigen größeren öffentlichen Platzes (es giebt deren noch zwei andere), der zwar auch nur beſchränkte Dimenſionen hat, ſonſt aber recht geſchmackvoll mit Gartenan- lagen geſchmückt iſt. Erfahrungsmäßig treten an dieſen Punkten die Erdbeben am ſchwächſten auf und deshalb finden ſich hier auch die einzigen zweiſtöckigen Häuſer: das Congreßgebäude und der erzbiſchöfliche Palaſt. Letzterer war zur Zeit unſerer An- weſenheit jedoch unbewohnt und der Erzbiſchof befand ſich im Exil. Venezuela hatte auch ſeinen Culturkampf, aber der Präſi- dent der Republik, Guzman Blanco, machte mit dem geſammten Clerus kurzen Proceß. Er ließ den widerſpenſtigen und den Staatsgeſetzen den Gehorſam verſagenden Erzbiſchof ohne Weite- res aufheben, mit einigen anderen unbotmäßigen Prälaten auf ein Schiff und außer Landes bringen. Ebenſo entzog er den Klöſtern die bislang gewährten ſtaatlichen Zuſchüſſe und wies die Inſaſſen an, ſich ihren Lebensunterhalt durch eigene Arbeit zu erwerben. Die Kathedrale hinterläßt keinen ſchönen Eindruck. Sie

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Zitationshilfe: Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 332. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/344>, abgerufen am 22.11.2024.