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Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880.

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Nach Westindien und dem Mittelmeer
ist an und für sich wegen der Erdbeben ziemlich niedrig und
ringsum von schweren aus Steinen gemauerten Strebe-
pfeilern umgeben, wodurch sie etwas Massiges erhält und ihr
Styl nicht zur Geltung kommt. Auch ihr Inneres bietet nichts
Sehenswerthes, außer einer Statue des Bolivar, die von einem
italienischen Künstler gefertigt ist.

Unter den 50,000 Einwohnern der Stadt befinden sich
gegen 3000 Fremde, darunter 600 Deutsche, die durchschnittlich
in recht guten Verhältnissen leben und eine sehr geachtete Stel-
lung einnehmen. Venezuela ist überhaupt das Land, wo Deutsche
vorzugsweise prosperiren und wo Ansiedlungen in größerem
Maße, namentlich auf der klimatisch so günstigen Hochebene des
Inlandes, sehr zu empfehlen wären, wenn die politischen Ver-
hältnisse des Landes sich etwas mehr consolidiren wollten. Durch
die häufigen Revolutionen aber wurde bis vor kurzem die Exi-
stenz der Ansiedler stets gefährdet.

In den letzten zehn Jahren ist es in Venezuela verhältniß-
mäßig friedlich hergegangen und dies hauptsächlich dem erwähnten
Guzman Blanco zu danken. Ein ungemein energischer Mann,
wenn auch nicht scrupulös in der Wahl seiner Mittel, weiß er
seine Landsleute in der richtigen Weise zu behandeln, d. h. ihnen
gehörig den Daum auf das Auge zu drücken und dadurch
Frieden im Lande zu erhalten. Während seiner ersten Präsi-
dentschaft 1871--75 erfreute sich Venezuela vollkommener Ruhe.
Unter seinem Nachfolger fingen die alten Streitigkeiten zwischen
den beiden politischen Parteien, den conservativen Blauen und
den liberalen Gelben wieder an. Zu den ersteren zählten die
Großgrundbesitzer, zu den letzteren die Städte und mit ihnen
die Fremden.

Anfang 1879 kam es in Caracas von neuem zu einer
blutigen Revolution. Die Liberalen, auf deren Seite Guzman
stand, siegten und letzterer wurde aus Deutschland, wo er sich
mit seiner Familie längere Zeit aufhielt, zurückberufen, um zum

Nach Weſtindien und dem Mittelmeer
iſt an und für ſich wegen der Erdbeben ziemlich niedrig und
ringsum von ſchweren aus Steinen gemauerten Strebe-
pfeilern umgeben, wodurch ſie etwas Maſſiges erhält und ihr
Styl nicht zur Geltung kommt. Auch ihr Inneres bietet nichts
Sehenswerthes, außer einer Statue des Bolivar, die von einem
italieniſchen Künſtler gefertigt iſt.

Unter den 50,000 Einwohnern der Stadt befinden ſich
gegen 3000 Fremde, darunter 600 Deutſche, die durchſchnittlich
in recht guten Verhältniſſen leben und eine ſehr geachtete Stel-
lung einnehmen. Venezuela iſt überhaupt das Land, wo Deutſche
vorzugsweiſe prosperiren und wo Anſiedlungen in größerem
Maße, namentlich auf der klimatiſch ſo günſtigen Hochebene des
Inlandes, ſehr zu empfehlen wären, wenn die politiſchen Ver-
hältniſſe des Landes ſich etwas mehr conſolidiren wollten. Durch
die häufigen Revolutionen aber wurde bis vor kurzem die Exi-
ſtenz der Anſiedler ſtets gefährdet.

In den letzten zehn Jahren iſt es in Venezuela verhältniß-
mäßig friedlich hergegangen und dies hauptſächlich dem erwähnten
Guzman Blanco zu danken. Ein ungemein energiſcher Mann,
wenn auch nicht ſcrupulös in der Wahl ſeiner Mittel, weiß er
ſeine Landsleute in der richtigen Weiſe zu behandeln, d. h. ihnen
gehörig den Daum auf das Auge zu drücken und dadurch
Frieden im Lande zu erhalten. Während ſeiner erſten Präſi-
dentſchaft 1871—75 erfreute ſich Venezuela vollkommener Ruhe.
Unter ſeinem Nachfolger fingen die alten Streitigkeiten zwiſchen
den beiden politiſchen Parteien, den conſervativen Blauen und
den liberalen Gelben wieder an. Zu den erſteren zählten die
Großgrundbeſitzer, zu den letzteren die Städte und mit ihnen
die Fremden.

Anfang 1879 kam es in Caracas von neuem zu einer
blutigen Revolution. Die Liberalen, auf deren Seite Guzman
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[333/0345] Nach Weſtindien und dem Mittelmeer iſt an und für ſich wegen der Erdbeben ziemlich niedrig und ringsum von ſchweren aus Steinen gemauerten Strebe- pfeilern umgeben, wodurch ſie etwas Maſſiges erhält und ihr Styl nicht zur Geltung kommt. Auch ihr Inneres bietet nichts Sehenswerthes, außer einer Statue des Bolivar, die von einem italieniſchen Künſtler gefertigt iſt. Unter den 50,000 Einwohnern der Stadt befinden ſich gegen 3000 Fremde, darunter 600 Deutſche, die durchſchnittlich in recht guten Verhältniſſen leben und eine ſehr geachtete Stel- lung einnehmen. Venezuela iſt überhaupt das Land, wo Deutſche vorzugsweiſe prosperiren und wo Anſiedlungen in größerem Maße, namentlich auf der klimatiſch ſo günſtigen Hochebene des Inlandes, ſehr zu empfehlen wären, wenn die politiſchen Ver- hältniſſe des Landes ſich etwas mehr conſolidiren wollten. Durch die häufigen Revolutionen aber wurde bis vor kurzem die Exi- ſtenz der Anſiedler ſtets gefährdet. In den letzten zehn Jahren iſt es in Venezuela verhältniß- mäßig friedlich hergegangen und dies hauptſächlich dem erwähnten Guzman Blanco zu danken. Ein ungemein energiſcher Mann, wenn auch nicht ſcrupulös in der Wahl ſeiner Mittel, weiß er ſeine Landsleute in der richtigen Weiſe zu behandeln, d. h. ihnen gehörig den Daum auf das Auge zu drücken und dadurch Frieden im Lande zu erhalten. Während ſeiner erſten Präſi- dentſchaft 1871—75 erfreute ſich Venezuela vollkommener Ruhe. Unter ſeinem Nachfolger fingen die alten Streitigkeiten zwiſchen den beiden politiſchen Parteien, den conſervativen Blauen und den liberalen Gelben wieder an. Zu den erſteren zählten die Großgrundbeſitzer, zu den letzteren die Städte und mit ihnen die Fremden. Anfang 1879 kam es in Caracas von neuem zu einer blutigen Revolution. Die Liberalen, auf deren Seite Guzman ſtand, ſiegten und letzterer wurde aus Deutſchland, wo er ſich mit ſeiner Familie längere Zeit aufhielt, zurückberufen, um zum

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Zitationshilfe: Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 333. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/345>, abgerufen am 22.11.2024.