Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880.Nach Westindien und dem Mittelmeer ten, verrieth, daß unser Wirth neben seiner militärischen Stellungnoch eine Privatbeschäftigung habe, nämlich einen kleinen Brannt- weinschank sowie eine Handlung mit Schwefelhölzern, Thon- pfeifen und geräucherten Würsten. Im Hinterzimmer wurden wir "Madame" vorgestellt und zwar in vollendetster Form. Sie war eine kleine niedliche Frau mit glattem Haar und ziemlich weiß, also mindestens eine Tercerone. Sie trug ein weißes peignoir, obwol es Nachmittag war; doch bei einem Vergleich der Farben fanden wir den Teint von Madame reiner und weißer als die Robe, unter deren mit der Zeit ausgefranzten Rockkante bisweilen ein paar zerrissene Schuhe verschämt her- vorschauten. Mit größter Liebenswürdigkeit wurden wir befragt, ob wir Es dauerte eine geraume Weile, ehe die Erfrischung kam, Endlich erschien Madame, um uns mit einer graziösen 23*
Nach Weſtindien und dem Mittelmeer ten, verrieth, daß unſer Wirth neben ſeiner militäriſchen Stellungnoch eine Privatbeſchäftigung habe, nämlich einen kleinen Brannt- weinſchank ſowie eine Handlung mit Schwefelhölzern, Thon- pfeifen und geräucherten Würſten. Im Hinterzimmer wurden wir „Madame“ vorgeſtellt und zwar in vollendetſter Form. Sie war eine kleine niedliche Frau mit glattem Haar und ziemlich weiß, alſo mindeſtens eine Tercerone. Sie trug ein weißes peignoir, obwol es Nachmittag war; doch bei einem Vergleich der Farben fanden wir den Teint von Madame reiner und weißer als die Robe, unter deren mit der Zeit ausgefranzten Rockkante bisweilen ein paar zerriſſene Schuhe verſchämt her- vorſchauten. Mit größter Liebenswürdigkeit wurden wir befragt, ob wir Es dauerte eine geraume Weile, ehe die Erfriſchung kam, Endlich erſchien Madame, um uns mit einer graziöſen 23*
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Nach Weſtindien und dem Mittelmeer
ten, verrieth, daß unſer Wirth neben ſeiner militäriſchen Stellung
noch eine Privatbeſchäftigung habe, nämlich einen kleinen Brannt-
weinſchank ſowie eine Handlung mit Schwefelhölzern, Thon-
pfeifen und geräucherten Würſten. Im Hinterzimmer wurden
wir „Madame“ vorgeſtellt und zwar in vollendetſter Form. Sie
war eine kleine niedliche Frau mit glattem Haar und ziemlich
weiß, alſo mindeſtens eine Tercerone. Sie trug ein weißes
peignoir, obwol es Nachmittag war; doch bei einem Vergleich
der Farben fanden wir den Teint von Madame reiner und
weißer als die Robe, unter deren mit der Zeit ausgefranzten
Rockkante bisweilen ein paar zerriſſene Schuhe verſchämt her-
vorſchauten.
Mit größter Liebenswürdigkeit wurden wir befragt, ob wir
ſchon geſpeiſt hätten und ob man uns nicht eine kleine Erfri-
ſchung anbieten dürfte. Als wir das letztere nicht ablehnen zu
dürfen glaubten, flüſterte Monsieur le général Madame etwas
zu und dieſe verſchwand in der Küche.
Es dauerte eine geraume Weile, ehe die Erfriſchung kam,
wol anderthalb Stunden, jedoch wurde uns die Zeit nicht lang.
Unſer Wirth unterhielt uns auf das Lebhafteſte und beant-
wortete unſere, ich darf wol ſagen öfter indiscreten Fragen
über die Landesverhältniſſe mit einer rührenden Offenheit, ob-
ſchon wir bisweilen Mühe hatten, ſeinem etwas eigenthümlichen
Franzöſiſch zu folgen. Die Unterhaltung wurde noch anziehen-
der, als zwei ältere würdige Herren, ein Onkel und ein Freund
des Hausherrn, erſchienen, erſterer ebenfalls General und in
voller Uniform, letzterer Oberrichter. Auch durch ſie bereicher-
ten wir unſere Kenntniſſe von Hayti bedeutend. Ihre eigenen
Fragen an uns verriethen jedoch mehr Wißbegierde als Wiſſen.
Endlich erſchien Madame, um uns mit einer graziöſen
Handbewegung zum Imbiß zu laden. Die beiden älteren
Herren ſowie unſere Wirthe nahmen ebenfalls Theil. Die
Speiſen waren ganz gut bereitet, und ſo ließen wir uns die ge-
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