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Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880.

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Werner
erwärmenden Strahle erfüllte die gütige Aufnahme mein ver-
zagtes Herz! Manchen schönen unvergessenen Abend verbrachte
ich in jener liebenswürdigen Familie, deren ich mich heute noch so
dankbar erinnere, und so gestalteten sich für mich die letzten
Wochen unseres Bleibens in ungeahnt angenehmer Weise. Der
alte Bootsmann hatte wieder einmal Recht gehabt, die "anständige
Gesellschaft" brachte mich, wenn sie auch etwas anders zusammen-
gesetzt war, als die von ihm mit diesem Namen belegte, auf
andere Gedanken. Ich lag nicht mehr mit losen Segeln, sondern
hielt voll und kreuzte damit flott gegen den conträren Wind
trüber und bohrender Gedanken auf. Die eintreffenden guten
Nachrichten aus dem Elternhause trugen nicht wenig dazu bei,
mich froh zu stimmen, und als unsere Reparaturen beendet
waren und wir kurz vor Weihnachten in See gingen, da wurde
mir der Abschied von den guten Menschen, die sich des fremden,
alleinstehenden Seemanns so liebevoll angenommen, wohl schwer,
aber gleichzeitig trug ich auch frischen, hoffenden Muth mit mir
hinaus in die weite Ferne und fühlte mich neu gekräftigt, um
kommenden Widerwärtigkeiten siegreich die Spitze zu bieten.

Mit günstigem Winde verließen wir den Hafen; schon am
nächsten Tage tauchten die Kreidefelsen Englands vor unsern
Blicken auf und pfeilschnell ging es bei gutem Wetter durch den
Kanal, als wollte die "Alma" einholen, was sie versäumt.
Leider dauerte es nicht lange, das Mißgeschick schien sich an
unsere Fersen zu heften, denn kaum waren wir in den Meerbusen
von Biscaya eingetreten, da begann das Kämpfen mit den
Elementen auf's Neue und das liebe Weihnachtsfest brachte uns
wenig Freude. Glücklicher Weise kamen wir diesmal ohne Ver-
lust an Segeln und Rundhölzern davon, obwohl wir ganz ge-
hörig durchgeschüttelt wurden. Zuerst blies der Wind stürmisch
aus Südwesten, dann schoß er mit Trommeln und Pfeifen aus
Nordwest hervor, und erst als wir uns mit diesem unter stets
gerefften Segeln, mit himmelhoher See, mit Hagel und Schnee

Werner
erwärmenden Strahle erfüllte die gütige Aufnahme mein ver-
zagtes Herz! Manchen ſchönen unvergeſſenen Abend verbrachte
ich in jener liebenswürdigen Familie, deren ich mich heute noch ſo
dankbar erinnere, und ſo geſtalteten ſich für mich die letzten
Wochen unſeres Bleibens in ungeahnt angenehmer Weiſe. Der
alte Bootsmann hatte wieder einmal Recht gehabt, die „anſtändige
Geſellſchaft“ brachte mich, wenn ſie auch etwas anders zuſammen-
geſetzt war, als die von ihm mit dieſem Namen belegte, auf
andere Gedanken. Ich lag nicht mehr mit loſen Segeln, ſondern
hielt voll und kreuzte damit flott gegen den conträren Wind
trüber und bohrender Gedanken auf. Die eintreffenden guten
Nachrichten aus dem Elternhauſe trugen nicht wenig dazu bei,
mich froh zu ſtimmen, und als unſere Reparaturen beendet
waren und wir kurz vor Weihnachten in See gingen, da wurde
mir der Abſchied von den guten Menſchen, die ſich des fremden,
alleinſtehenden Seemanns ſo liebevoll angenommen, wohl ſchwer,
aber gleichzeitig trug ich auch friſchen, hoffenden Muth mit mir
hinaus in die weite Ferne und fühlte mich neu gekräftigt, um
kommenden Widerwärtigkeiten ſiegreich die Spitze zu bieten.

Mit günſtigem Winde verließen wir den Hafen; ſchon am
nächſten Tage tauchten die Kreidefelſen Englands vor unſern
Blicken auf und pfeilſchnell ging es bei gutem Wetter durch den
Kanal, als wollte die „Alma“ einholen, was ſie verſäumt.
Leider dauerte es nicht lange, das Mißgeſchick ſchien ſich an
unſere Ferſen zu heften, denn kaum waren wir in den Meerbuſen
von Biscaya eingetreten, da begann das Kämpfen mit den
Elementen auf’s Neue und das liebe Weihnachtsfeſt brachte uns
wenig Freude. Glücklicher Weiſe kamen wir diesmal ohne Ver-
luſt an Segeln und Rundhölzern davon, obwohl wir ganz ge-
hörig durchgeſchüttelt wurden. Zuerſt blies der Wind ſtürmiſch
aus Südweſten, dann ſchoß er mit Trommeln und Pfeifen aus
Nordweſt hervor, und erſt als wir uns mit dieſem unter ſtets
gerefften Segeln, mit himmelhoher See, mit Hagel und Schnee

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[46/0058] Werner erwärmenden Strahle erfüllte die gütige Aufnahme mein ver- zagtes Herz! Manchen ſchönen unvergeſſenen Abend verbrachte ich in jener liebenswürdigen Familie, deren ich mich heute noch ſo dankbar erinnere, und ſo geſtalteten ſich für mich die letzten Wochen unſeres Bleibens in ungeahnt angenehmer Weiſe. Der alte Bootsmann hatte wieder einmal Recht gehabt, die „anſtändige Geſellſchaft“ brachte mich, wenn ſie auch etwas anders zuſammen- geſetzt war, als die von ihm mit dieſem Namen belegte, auf andere Gedanken. Ich lag nicht mehr mit loſen Segeln, ſondern hielt voll und kreuzte damit flott gegen den conträren Wind trüber und bohrender Gedanken auf. Die eintreffenden guten Nachrichten aus dem Elternhauſe trugen nicht wenig dazu bei, mich froh zu ſtimmen, und als unſere Reparaturen beendet waren und wir kurz vor Weihnachten in See gingen, da wurde mir der Abſchied von den guten Menſchen, die ſich des fremden, alleinſtehenden Seemanns ſo liebevoll angenommen, wohl ſchwer, aber gleichzeitig trug ich auch friſchen, hoffenden Muth mit mir hinaus in die weite Ferne und fühlte mich neu gekräftigt, um kommenden Widerwärtigkeiten ſiegreich die Spitze zu bieten. Mit günſtigem Winde verließen wir den Hafen; ſchon am nächſten Tage tauchten die Kreidefelſen Englands vor unſern Blicken auf und pfeilſchnell ging es bei gutem Wetter durch den Kanal, als wollte die „Alma“ einholen, was ſie verſäumt. Leider dauerte es nicht lange, das Mißgeſchick ſchien ſich an unſere Ferſen zu heften, denn kaum waren wir in den Meerbuſen von Biscaya eingetreten, da begann das Kämpfen mit den Elementen auf’s Neue und das liebe Weihnachtsfeſt brachte uns wenig Freude. Glücklicher Weiſe kamen wir diesmal ohne Ver- luſt an Segeln und Rundhölzern davon, obwohl wir ganz ge- hörig durchgeſchüttelt wurden. Zuerſt blies der Wind ſtürmiſch aus Südweſten, dann ſchoß er mit Trommeln und Pfeifen aus Nordweſt hervor, und erſt als wir uns mit dieſem unter ſtets gerefften Segeln, mit himmelhoher See, mit Hagel und Schnee

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Zitationshilfe: Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/58>, abgerufen am 21.11.2024.