Siehst du, Brüderchen? nun kam die Reihe an mich, Unrecht zu haben. Sie unter- gruben mich heimlich auf die listigste Weise, und ehe ichs dachte, ward mein Amt wieder aufgehoben, und ich in eine andre Stelle versezt, wo die christliche Gemeine so klein war, daß meine Heterodoxie nicht viele ver- führen konnte. Siehst du, Brüderchen? izt hatte ich bey jedermann Unrecht, weil ich unten lag: aber eben deswegen wurden der Superintendent und alle meine vorigen Geg- ner allmählich meine guten Freunde, und ich war in ihren Augen wieder so orthodox, als ein symbolisches Buch.
Bald darauf wurde Krieg, und ich Feld- prediger. Mein Kollege war mir behülflich dazu und außerordentlich gewogen: aber we- nige hörten ihn gern, und alle verlangten mich; wer es Umgang haben konnte, vermied seine Predigten, und in meine kamen sie hau- fenweise. Siehst du, Brüderchen? die Freundschaft war aus; und er wurde mir gar feind, als ich einen gewissen Fromal zum Tode bereiten mußte --
E
Siehſt du, Bruͤderchen? nun kam die Reihe an mich, Unrecht zu haben. Sie unter- gruben mich heimlich auf die liſtigſte Weiſe, und ehe ichs dachte, ward mein Amt wieder aufgehoben, und ich in eine andre Stelle verſezt, wo die chriſtliche Gemeine ſo klein war, daß meine Heterodoxie nicht viele ver- fuͤhren konnte. Siehſt du, Bruͤderchen? izt hatte ich bey jedermann Unrecht, weil ich unten lag: aber eben deswegen wurden der Superintendent und alle meine vorigen Geg- ner allmaͤhlich meine guten Freunde, und ich war in ihren Augen wieder ſo orthodox, als ein ſymboliſches Buch.
Bald darauf wurde Krieg, und ich Feld- prediger. Mein Kollege war mir behuͤlflich dazu und außerordentlich gewogen: aber we- nige hoͤrten ihn gern, und alle verlangten mich; wer es Umgang haben konnte, vermied ſeine Predigten, und in meine kamen ſie hau- fenweiſe. Siehſt du, Bruͤderchen? die Freundſchaft war aus; und er wurde mir gar feind, als ich einen gewiſſen Fromal zum Tode bereiten mußte —
E
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0085"n="65"/>
Siehſt du, Bruͤderchen? nun kam die Reihe<lb/>
an <hirendition="#fr">mich,</hi> Unrecht zu haben. Sie unter-<lb/>
gruben mich heimlich auf die liſtigſte Weiſe,<lb/>
und ehe ichs dachte, ward mein Amt wieder<lb/>
aufgehoben, und ich in eine andre Stelle<lb/>
verſezt, wo die chriſtliche Gemeine ſo klein<lb/>
war, daß meine Heterodoxie nicht viele ver-<lb/>
fuͤhren konnte. Siehſt du, Bruͤderchen? izt<lb/>
hatte ich bey jedermann Unrecht, weil ich<lb/>
unten lag: aber eben deswegen wurden der<lb/>
Superintendent und alle meine vorigen Geg-<lb/>
ner allmaͤhlich meine guten Freunde, und ich<lb/>
war in ihren Augen wieder ſo orthodox, als<lb/>
ein ſymboliſches Buch.</p><lb/><p>Bald darauf wurde Krieg, und ich Feld-<lb/>
prediger. Mein Kollege war mir behuͤlflich<lb/>
dazu und außerordentlich gewogen: aber we-<lb/>
nige hoͤrten ihn gern, und alle verlangten<lb/>
mich; wer es Umgang haben konnte, vermied<lb/>ſeine Predigten, und in meine kamen ſie hau-<lb/>
fenweiſe. Siehſt du, Bruͤderchen? die<lb/>
Freundſchaft war aus; und er wurde mir<lb/>
gar feind, als ich einen gewiſſen Fromal zum<lb/>
Tode bereiten mußte —</p><lb/><fwplace="bottom"type="sig">E</fw><lb/></div></body></text></TEI>
[65/0085]
Siehſt du, Bruͤderchen? nun kam die Reihe
an mich, Unrecht zu haben. Sie unter-
gruben mich heimlich auf die liſtigſte Weiſe,
und ehe ichs dachte, ward mein Amt wieder
aufgehoben, und ich in eine andre Stelle
verſezt, wo die chriſtliche Gemeine ſo klein
war, daß meine Heterodoxie nicht viele ver-
fuͤhren konnte. Siehſt du, Bruͤderchen? izt
hatte ich bey jedermann Unrecht, weil ich
unten lag: aber eben deswegen wurden der
Superintendent und alle meine vorigen Geg-
ner allmaͤhlich meine guten Freunde, und ich
war in ihren Augen wieder ſo orthodox, als
ein ſymboliſches Buch.
Bald darauf wurde Krieg, und ich Feld-
prediger. Mein Kollege war mir behuͤlflich
dazu und außerordentlich gewogen: aber we-
nige hoͤrten ihn gern, und alle verlangten
mich; wer es Umgang haben konnte, vermied
ſeine Predigten, und in meine kamen ſie hau-
fenweiſe. Siehſt du, Bruͤderchen? die
Freundſchaft war aus; und er wurde mir
gar feind, als ich einen gewiſſen Fromal zum
Tode bereiten mußte —
E
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Wezel, Johann Carl: Belphegor, oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wezel_belphegor01_1776/85>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.