und überlegte, kämpfte und stritt mit mir selbst. -- Gütiger Gott! rief ich endlich und sank auf meine Kniee, konntest du den Menschen so schaffen, daß nothwendig einer mit dem andern nicht gleichförmig denken mußte, und daß doch gleichwohl jeder sich für den einzigen Besitzer der Wahrheit hielt, konntest du zulassen, daß einer den andern zu seiner Meynung zwingen wollte; warum solltest du es mir als ein Verbrechen anrech- nen, wenn ich den Gesetzen deiner Einrich- tung folge, wenn ich, der Schwächre, dem Stärkern mich unterwerfe und in die Anord- nung füge, die von Ewigkeit her in deiner Welt geherrscht hat -- daß der Schwächre Unrecht behielt, thun und selbst glauben mußte, was der Stärkre zu glauben gebot. Glauben kann ich nicht: aber um drey Menschen aus einem martervollen Leben zu erlösen, um sie nicht ewig in Banden seufzen zu lassen, um sie der Glückseligkeit fähiger zu machen, wozu du doch jedes Geschöpf auf diese Erde, nach unsrer aller Gefühle, gesetzt haben willst -- kann ich nicht um solcher edlen Endzwecke willen, die dein eig- ner Wille seyn und deine Billigung haben
müssen,
und uͤberlegte, kaͤmpfte und ſtritt mit mir ſelbſt. — Guͤtiger Gott! rief ich endlich und ſank auf meine Kniee, konnteſt du den Menſchen ſo ſchaffen, daß nothwendig einer mit dem andern nicht gleichfoͤrmig denken mußte, und daß doch gleichwohl jeder ſich fuͤr den einzigen Beſitzer der Wahrheit hielt, konnteſt du zulaſſen, daß einer den andern zu ſeiner Meynung zwingen wollte; warum ſollteſt du es mir als ein Verbrechen anrech- nen, wenn ich den Geſetzen deiner Einrich- tung folge, wenn ich, der Schwaͤchre, dem Staͤrkern mich unterwerfe und in die Anord- nung fuͤge, die von Ewigkeit her in deiner Welt geherrſcht hat — daß der Schwaͤchre Unrecht behielt, thun und ſelbſt glauben mußte, was der Staͤrkre zu glauben gebot. Glauben kann ich nicht: aber um drey Menſchen aus einem martervollen Leben zu erloͤſen, um ſie nicht ewig in Banden ſeufzen zu laſſen, um ſie der Gluͤckſeligkeit faͤhiger zu machen, wozu du doch jedes Geſchoͤpf auf dieſe Erde, nach unſrer aller Gefuͤhle, geſetzt haben willſt — kann ich nicht um ſolcher edlen Endzwecke willen, die dein eig- ner Wille ſeyn und deine Billigung haben
muͤſſen,
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und uͤberlegte, kaͤmpfte und ſtritt mit mir
ſelbſt. — Guͤtiger Gott! rief ich endlich
und ſank auf meine Kniee, konnteſt du den
Menſchen ſo ſchaffen, daß nothwendig einer
mit dem andern nicht gleichfoͤrmig denken
mußte, und daß doch gleichwohl jeder ſich
fuͤr den einzigen Beſitzer der Wahrheit hielt,
konnteſt du zulaſſen, daß einer den andern
zu ſeiner Meynung zwingen wollte; warum
ſollteſt du es mir als ein Verbrechen anrech-
nen, wenn ich den Geſetzen deiner Einrich-
tung folge, wenn ich, der Schwaͤchre, dem
Staͤrkern mich unterwerfe und in die Anord-
nung fuͤge, die von Ewigkeit her in deiner
Welt geherrſcht hat — daß der Schwaͤchre
Unrecht behielt, thun und ſelbſt glauben
mußte, was der Staͤrkre zu glauben gebot.
Glauben kann ich nicht: aber um drey
Menſchen aus einem martervollen Leben zu
erloͤſen, um ſie nicht ewig in Banden ſeufzen
zu laſſen, um ſie der Gluͤckſeligkeit faͤhiger
zu machen, wozu du doch jedes Geſchoͤpf
auf dieſe Erde, nach unſrer aller Gefuͤhle,
geſetzt haben willſt — kann ich nicht um
ſolcher edlen Endzwecke willen, die dein eig-
ner Wille ſeyn und deine Billigung haben
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Wezel, Johann Carl: Belphegor, oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wezel_belphegor02_1776/102>, abgerufen am 22.12.2024.
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