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Wezel, Johann Carl: Belphegor, oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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müssen, den Stärkern ohne Sünde betriegen,
thun als wenn ich das Joch seiner Meynung
annähme, und bleiben, was ich meiner Ein-
sicht nach seyn muß? Nach den nämlichen
Gesetzen der Natur, die meine Seele befolgt,
wenn sie meine Meynung für wahr erkennt,
handelt auch die seinige, wenn sie der ihri-
gen anhängt: du hast uns einmal so ange-
legt, daß unser Glaube von erlernten Vor-
urtheilen, Leidenschaften, unmerkbaren Nei-
gungen und Trieben, wie eine Marionette,
regiert werden soll, was kann ich dafür,
daß mich die meinigen zur Linken ziehn, und
meine Feinde zur Rechten? Noch mehr!
was kann ich dafür, daß meine Gegner
die Stärke haben, mich nach ihrer Rich-
tung hinzureissen oder zu würgen? -- Ich
schwöre: wer von uns beyden Recht hat,
weißt du nur, du Richter der Welt: du
willst es nicht unmittelbar entscheiden; ich
bleibe also bey der Wahrheit, die mir die
Nothwendigkeit des Schicksals als Wahrheit
aufgedrungen hat, und entsage ihr mit dem
Munde, weil ebendieselbe Nothwendigkeit
der Stärkern mich dazu zwingen läßt.
Wohl! mein Meineid muß das edelste Werk

seyn;
G 2

muͤſſen, den Staͤrkern ohne Suͤnde betriegen,
thun als wenn ich das Joch ſeiner Meynung
annaͤhme, und bleiben, was ich meiner Ein-
ſicht nach ſeyn muß? Nach den naͤmlichen
Geſetzen der Natur, die meine Seele befolgt,
wenn ſie meine Meynung fuͤr wahr erkennt,
handelt auch die ſeinige, wenn ſie der ihri-
gen anhaͤngt: du haſt uns einmal ſo ange-
legt, daß unſer Glaube von erlernten Vor-
urtheilen, Leidenſchaften, unmerkbaren Nei-
gungen und Trieben, wie eine Marionette,
regiert werden ſoll, was kann ich dafuͤr,
daß mich die meinigen zur Linken ziehn, und
meine Feinde zur Rechten? Noch mehr!
was kann ich dafuͤr, daß meine Gegner
die Staͤrke haben, mich nach ihrer Rich-
tung hinzureiſſen oder zu wuͤrgen? — Ich
ſchwoͤre: wer von uns beyden Recht hat,
weißt du nur, du Richter der Welt: du
willſt es nicht unmittelbar entſcheiden; ich
bleibe alſo bey der Wahrheit, die mir die
Nothwendigkeit des Schickſals als Wahrheit
aufgedrungen hat, und entſage ihr mit dem
Munde, weil ebendieſelbe Nothwendigkeit
der Staͤrkern mich dazu zwingen laͤßt.
Wohl! mein Meineid muß das edelſte Werk

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[97/0103] muͤſſen, den Staͤrkern ohne Suͤnde betriegen, thun als wenn ich das Joch ſeiner Meynung annaͤhme, und bleiben, was ich meiner Ein- ſicht nach ſeyn muß? Nach den naͤmlichen Geſetzen der Natur, die meine Seele befolgt, wenn ſie meine Meynung fuͤr wahr erkennt, handelt auch die ſeinige, wenn ſie der ihri- gen anhaͤngt: du haſt uns einmal ſo ange- legt, daß unſer Glaube von erlernten Vor- urtheilen, Leidenſchaften, unmerkbaren Nei- gungen und Trieben, wie eine Marionette, regiert werden ſoll, was kann ich dafuͤr, daß mich die meinigen zur Linken ziehn, und meine Feinde zur Rechten? Noch mehr! was kann ich dafuͤr, daß meine Gegner die Staͤrke haben, mich nach ihrer Rich- tung hinzureiſſen oder zu wuͤrgen? — Ich ſchwoͤre: wer von uns beyden Recht hat, weißt du nur, du Richter der Welt: du willſt es nicht unmittelbar entſcheiden; ich bleibe alſo bey der Wahrheit, die mir die Nothwendigkeit des Schickſals als Wahrheit aufgedrungen hat, und entſage ihr mit dem Munde, weil ebendieſelbe Nothwendigkeit der Staͤrkern mich dazu zwingen laͤßt. Wohl! mein Meineid muß das edelſte Werk ſeyn; G 2

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Zitationshilfe: Wezel, Johann Carl: Belphegor, oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wezel_belphegor02_1776/103>, abgerufen am 22.12.2024.