müssen, den Stärkern ohne Sünde betriegen, thun als wenn ich das Joch seiner Meynung annähme, und bleiben, was ich meiner Ein- sicht nach seyn muß? Nach den nämlichen Gesetzen der Natur, die meine Seele befolgt, wenn sie meine Meynung für wahr erkennt, handelt auch die seinige, wenn sie der ihri- gen anhängt: du hast uns einmal so ange- legt, daß unser Glaube von erlernten Vor- urtheilen, Leidenschaften, unmerkbaren Nei- gungen und Trieben, wie eine Marionette, regiert werden soll, was kann ich dafür, daß mich die meinigen zur Linken ziehn, und meine Feinde zur Rechten? Noch mehr! was kann ich dafür, daß meine Gegner die Stärke haben, mich nach ihrer Rich- tung hinzureissen oder zu würgen? -- Ich schwöre: wer von uns beyden Recht hat, weißt du nur, du Richter der Welt: du willst es nicht unmittelbar entscheiden; ich bleibe also bey der Wahrheit, die mir die Nothwendigkeit des Schicksals als Wahrheit aufgedrungen hat, und entsage ihr mit dem Munde, weil ebendieselbe Nothwendigkeit der Stärkern mich dazu zwingen läßt. Wohl! mein Meineid muß das edelste Werk
seyn;
G 2
muͤſſen, den Staͤrkern ohne Suͤnde betriegen, thun als wenn ich das Joch ſeiner Meynung annaͤhme, und bleiben, was ich meiner Ein- ſicht nach ſeyn muß? Nach den naͤmlichen Geſetzen der Natur, die meine Seele befolgt, wenn ſie meine Meynung fuͤr wahr erkennt, handelt auch die ſeinige, wenn ſie der ihri- gen anhaͤngt: du haſt uns einmal ſo ange- legt, daß unſer Glaube von erlernten Vor- urtheilen, Leidenſchaften, unmerkbaren Nei- gungen und Trieben, wie eine Marionette, regiert werden ſoll, was kann ich dafuͤr, daß mich die meinigen zur Linken ziehn, und meine Feinde zur Rechten? Noch mehr! was kann ich dafuͤr, daß meine Gegner die Staͤrke haben, mich nach ihrer Rich- tung hinzureiſſen oder zu wuͤrgen? — Ich ſchwoͤre: wer von uns beyden Recht hat, weißt du nur, du Richter der Welt: du willſt es nicht unmittelbar entſcheiden; ich bleibe alſo bey der Wahrheit, die mir die Nothwendigkeit des Schickſals als Wahrheit aufgedrungen hat, und entſage ihr mit dem Munde, weil ebendieſelbe Nothwendigkeit der Staͤrkern mich dazu zwingen laͤßt. Wohl! mein Meineid muß das edelſte Werk
ſeyn;
G 2
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0103"n="97"/>
muͤſſen, den Staͤrkern ohne Suͤnde betriegen,<lb/>
thun als wenn ich das Joch ſeiner Meynung<lb/>
annaͤhme, und bleiben, was ich meiner Ein-<lb/>ſicht nach ſeyn muß? Nach den naͤmlichen<lb/>
Geſetzen der Natur, die meine Seele befolgt,<lb/>
wenn ſie meine Meynung fuͤr wahr erkennt,<lb/>
handelt auch die ſeinige, wenn ſie der ihri-<lb/>
gen anhaͤngt: du haſt uns einmal ſo ange-<lb/>
legt, daß unſer Glaube von erlernten Vor-<lb/>
urtheilen, Leidenſchaften, unmerkbaren Nei-<lb/>
gungen und Trieben, wie eine Marionette,<lb/>
regiert werden ſoll, was kann <hirendition="#fr">ich</hi> dafuͤr,<lb/>
daß mich die meinigen zur Linken ziehn, und<lb/>
meine Feinde zur Rechten? Noch mehr!<lb/>
was kann <hirendition="#fr">ich</hi> dafuͤr, daß meine Gegner<lb/>
die <hirendition="#fr">Staͤrke</hi> haben, mich nach ihrer Rich-<lb/>
tung hinzureiſſen oder zu wuͤrgen? — Ich<lb/>ſchwoͤre: wer von uns beyden Recht hat,<lb/>
weißt <hirendition="#fr">du</hi> nur, du Richter der Welt: du<lb/>
willſt es nicht unmittelbar entſcheiden; ich<lb/>
bleibe alſo bey <hirendition="#fr">der</hi> Wahrheit, die mir die<lb/>
Nothwendigkeit des Schickſals als Wahrheit<lb/>
aufgedrungen hat, und entſage ihr mit dem<lb/>
Munde, weil ebendieſelbe Nothwendigkeit<lb/>
der Staͤrkern mich dazu zwingen laͤßt.<lb/>
Wohl! mein Meineid muß das edelſte Werk<lb/><fwplace="bottom"type="sig">G 2</fw><fwplace="bottom"type="catch">ſeyn;</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[97/0103]
muͤſſen, den Staͤrkern ohne Suͤnde betriegen,
thun als wenn ich das Joch ſeiner Meynung
annaͤhme, und bleiben, was ich meiner Ein-
ſicht nach ſeyn muß? Nach den naͤmlichen
Geſetzen der Natur, die meine Seele befolgt,
wenn ſie meine Meynung fuͤr wahr erkennt,
handelt auch die ſeinige, wenn ſie der ihri-
gen anhaͤngt: du haſt uns einmal ſo ange-
legt, daß unſer Glaube von erlernten Vor-
urtheilen, Leidenſchaften, unmerkbaren Nei-
gungen und Trieben, wie eine Marionette,
regiert werden ſoll, was kann ich dafuͤr,
daß mich die meinigen zur Linken ziehn, und
meine Feinde zur Rechten? Noch mehr!
was kann ich dafuͤr, daß meine Gegner
die Staͤrke haben, mich nach ihrer Rich-
tung hinzureiſſen oder zu wuͤrgen? — Ich
ſchwoͤre: wer von uns beyden Recht hat,
weißt du nur, du Richter der Welt: du
willſt es nicht unmittelbar entſcheiden; ich
bleibe alſo bey der Wahrheit, die mir die
Nothwendigkeit des Schickſals als Wahrheit
aufgedrungen hat, und entſage ihr mit dem
Munde, weil ebendieſelbe Nothwendigkeit
der Staͤrkern mich dazu zwingen laͤßt.
Wohl! mein Meineid muß das edelſte Werk
ſeyn;
G 2
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Wezel, Johann Carl: Belphegor, oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wezel_belphegor02_1776/103>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.