Wezel, Johann Carl: Belphegor, oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne. Bd. 2. Leipzig, 1776.dem Glauben an Vorsicht, Unsterblichkeit und der die Wirkung eines blinden Zufalls, andre als
die Folge einer festgeketteten Nothwendigkeit, eines Fatums, andre als die abgezweckte An- ordnung einer nach Plan und Absicht handeln- den Vorsicht vor: jede unter diesen Vorstel- lungsarten hat Gründe für sich, aber keine so viele, daß sie die Beweise der übrigen und alle Zweifel ganz vernichtete: es sind Verstellun- gen von dem Laufe der Welt, aus verschiede- nen Gesichtspunkten genommen: wer nun un- ter diesen eine für die einzige wahre hält, der setzt dem Gewichte ihrer Gründe etwas wissentlich oder unwissentlich hinzu -- wel- ches meistentheils unsre Leidenschaften und Ideen ohne unser Bewußtseyn thun -- und illudirt sich, in so fern dieses zur Ueberzeu- gung ausschlagende Etwas nicht die reine Wirkung ist. Glauben kann man in dieser Welt nie ohne Illusion. dem Glauben an Vorſicht, Unſterblichkeit und der die Wirkung eines blinden Zufalls, andre als
die Folge einer feſtgeketteten Nothwendigkeit, eines Fatums, andre als die abgezweckte An- ordnung einer nach Plan und Abſicht handeln- den Vorſicht vor: jede unter dieſen Vorſtel- lungsarten hat Gruͤnde fuͤr ſich, aber keine ſo viele, daß ſie die Beweiſe der uͤbrigen und alle Zweifel ganz vernichtete: es ſind Verſtellun- gen von dem Laufe der Welt, aus verſchiede- nen Geſichtspunkten genommen: wer nun un- ter dieſen eine fuͤr die einzige wahre haͤlt, der ſetzt dem Gewichte ihrer Gruͤnde etwas wiſſentlich oder unwiſſentlich hinzu — wel- ches meiſtentheils unſre Leidenſchaften und Ideen ohne unſer Bewußtſeyn thun — und illudirt ſich, in ſo fern dieſes zur Ueberzeu- gung ausſchlagende Etwas nicht die reine Wirkung iſt. Glauben kann man in dieſer Welt nie ohne Illuſion. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0110" n="104"/> dem Glauben an Vorſicht, Unſterblichkeit und<lb/> Erhabenheit der Seele: ſetze deine Natur und<lb/> alſo auch dich ſelbſt auf die hoͤchſte Staffel<lb/> der Weſen, ruͤcke ſie der Gottheit nahe:<lb/> weide dich an dieſen Schauſpielen der Ima-<lb/> gination und der Empfindung: ſey mehr<lb/><hi rendition="#fr">Geiſt</hi> als <hi rendition="#fr">Thier,</hi> lebe mehr in der Idee<lb/> als in der Wirklichkeit und kenne nichts auf<lb/> <fw place="bottom" type="catch">der</fw><lb/><note xml:id="seg2pn_1_2" prev="#seg2pn_1_1" place="foot" n="*)">die Wirkung eines blinden Zufalls, andre als<lb/> die Folge einer feſtgeketteten Nothwendigkeit,<lb/> eines Fatums, andre als die abgezweckte An-<lb/> ordnung einer nach Plan und Abſicht handeln-<lb/> den Vorſicht vor: jede unter dieſen Vorſtel-<lb/> lungsarten hat Gruͤnde fuͤr ſich, aber keine ſo<lb/> viele, daß ſie die Beweiſe der uͤbrigen und alle<lb/> Zweifel ganz vernichtete: es ſind Verſtellun-<lb/> gen von dem Laufe der Welt, aus verſchiede-<lb/> nen Geſichtspunkten genommen: wer nun un-<lb/> ter dieſen eine fuͤr die <hi rendition="#fr">einzige wahre</hi> haͤlt,<lb/> der ſetzt dem Gewichte ihrer Gruͤnde etwas<lb/> wiſſentlich oder unwiſſentlich hinzu — wel-<lb/> ches meiſtentheils unſre Leidenſchaften und<lb/> Ideen ohne unſer Bewußtſeyn thun — und<lb/><hi rendition="#fr">illudirt</hi> ſich, in ſo fern dieſes zur Ueberzeu-<lb/> gung ausſchlagende Etwas nicht die reine<lb/> Wirkung iſt. <hi rendition="#fr">Glauben</hi> kann man in dieſer<lb/> Welt nie ohne Illuſion.</note><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [104/0110]
dem Glauben an Vorſicht, Unſterblichkeit und
Erhabenheit der Seele: ſetze deine Natur und
alſo auch dich ſelbſt auf die hoͤchſte Staffel
der Weſen, ruͤcke ſie der Gottheit nahe:
weide dich an dieſen Schauſpielen der Ima-
gination und der Empfindung: ſey mehr
Geiſt als Thier, lebe mehr in der Idee
als in der Wirklichkeit und kenne nichts auf
der
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*) die Wirkung eines blinden Zufalls, andre als
die Folge einer feſtgeketteten Nothwendigkeit,
eines Fatums, andre als die abgezweckte An-
ordnung einer nach Plan und Abſicht handeln-
den Vorſicht vor: jede unter dieſen Vorſtel-
lungsarten hat Gruͤnde fuͤr ſich, aber keine ſo
viele, daß ſie die Beweiſe der uͤbrigen und alle
Zweifel ganz vernichtete: es ſind Verſtellun-
gen von dem Laufe der Welt, aus verſchiede-
nen Geſichtspunkten genommen: wer nun un-
ter dieſen eine fuͤr die einzige wahre haͤlt,
der ſetzt dem Gewichte ihrer Gruͤnde etwas
wiſſentlich oder unwiſſentlich hinzu — wel-
ches meiſtentheils unſre Leidenſchaften und
Ideen ohne unſer Bewußtſeyn thun — und
illudirt ſich, in ſo fern dieſes zur Ueberzeu-
gung ausſchlagende Etwas nicht die reine
Wirkung iſt. Glauben kann man in dieſer
Welt nie ohne Illuſion.
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Zitationshilfe: | Wezel, Johann Carl: Belphegor, oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wezel_belphegor02_1776/110>, abgerufen am 20.07.2024. |