Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wezel, Johann Carl: Belphegor, oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne. Bd. 2. Leipzig, 1776.

Bild:
<< vorherige Seite

dem Glauben an Vorsicht, Unsterblichkeit und
Erhabenheit der Seele: setze deine Natur und
also auch dich selbst auf die höchste Staffel
der Wesen, rücke sie der Gottheit nahe:
weide dich an diesen Schauspielen der Ima-
gination und der Empfindung: sey mehr
Geist als Thier, lebe mehr in der Idee
als in der Wirklichkeit und kenne nichts auf

der
die Wirkung eines blinden Zufalls, andre als
die Folge einer festgeketteten Nothwendigkeit,
eines Fatums, andre als die abgezweckte An-
ordnung einer nach Plan und Absicht handeln-
den Vorsicht vor: jede unter diesen Vorstel-
lungsarten hat Gründe für sich, aber keine so
viele, daß sie die Beweise der übrigen und alle
Zweifel ganz vernichtete: es sind Verstellun-
gen von dem Laufe der Welt, aus verschiede-
nen Gesichtspunkten genommen: wer nun un-
ter diesen eine für die einzige wahre hält,
der setzt dem Gewichte ihrer Gründe etwas
wissentlich oder unwissentlich hinzu -- wel-
ches meistentheils unsre Leidenschaften und
Ideen ohne unser Bewußtseyn thun -- und
illudirt sich, in so fern dieses zur Ueberzeu-
gung ausschlagende Etwas nicht die reine
Wirkung ist. Glauben kann man in dieser
Welt nie ohne Illusion.

dem Glauben an Vorſicht, Unſterblichkeit und
Erhabenheit der Seele: ſetze deine Natur und
alſo auch dich ſelbſt auf die hoͤchſte Staffel
der Weſen, ruͤcke ſie der Gottheit nahe:
weide dich an dieſen Schauſpielen der Ima-
gination und der Empfindung: ſey mehr
Geiſt als Thier, lebe mehr in der Idee
als in der Wirklichkeit und kenne nichts auf

der
die Wirkung eines blinden Zufalls, andre als
die Folge einer feſtgeketteten Nothwendigkeit,
eines Fatums, andre als die abgezweckte An-
ordnung einer nach Plan und Abſicht handeln-
den Vorſicht vor: jede unter dieſen Vorſtel-
lungsarten hat Gruͤnde fuͤr ſich, aber keine ſo
viele, daß ſie die Beweiſe der uͤbrigen und alle
Zweifel ganz vernichtete: es ſind Verſtellun-
gen von dem Laufe der Welt, aus verſchiede-
nen Geſichtspunkten genommen: wer nun un-
ter dieſen eine fuͤr die einzige wahre haͤlt,
der ſetzt dem Gewichte ihrer Gruͤnde etwas
wiſſentlich oder unwiſſentlich hinzu — wel-
ches meiſtentheils unſre Leidenſchaften und
Ideen ohne unſer Bewußtſeyn thun — und
illudirt ſich, in ſo fern dieſes zur Ueberzeu-
gung ausſchlagende Etwas nicht die reine
Wirkung iſt. Glauben kann man in dieſer
Welt nie ohne Illuſion.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0110" n="104"/>
dem Glauben an Vor&#x017F;icht, Un&#x017F;terblichkeit und<lb/>
Erhabenheit der Seele: &#x017F;etze deine Natur und<lb/>
al&#x017F;o auch dich &#x017F;elb&#x017F;t auf die ho&#x0364;ch&#x017F;te Staffel<lb/>
der We&#x017F;en, ru&#x0364;cke &#x017F;ie der Gottheit nahe:<lb/>
weide dich an die&#x017F;en Schau&#x017F;pielen der Ima-<lb/>
gination und der Empfindung: &#x017F;ey mehr<lb/><hi rendition="#fr">Gei&#x017F;t</hi> als <hi rendition="#fr">Thier,</hi> lebe mehr in der Idee<lb/>
als in der Wirklichkeit und kenne nichts auf<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">der</fw><lb/><note xml:id="seg2pn_1_2" prev="#seg2pn_1_1" place="foot" n="*)">die Wirkung eines blinden Zufalls, andre als<lb/>
die Folge einer fe&#x017F;tgeketteten Nothwendigkeit,<lb/>
eines Fatums, andre als die abgezweckte An-<lb/>
ordnung einer nach Plan und Ab&#x017F;icht handeln-<lb/>
den Vor&#x017F;icht vor: jede unter die&#x017F;en Vor&#x017F;tel-<lb/>
lungsarten hat Gru&#x0364;nde fu&#x0364;r &#x017F;ich, aber keine &#x017F;o<lb/>
viele, daß &#x017F;ie die Bewei&#x017F;e der u&#x0364;brigen und alle<lb/>
Zweifel ganz vernichtete: es &#x017F;ind Ver&#x017F;tellun-<lb/>
gen von dem Laufe der Welt, aus ver&#x017F;chiede-<lb/>
nen Ge&#x017F;ichtspunkten genommen: wer nun un-<lb/>
ter die&#x017F;en eine fu&#x0364;r die <hi rendition="#fr">einzige wahre</hi> ha&#x0364;lt,<lb/>
der &#x017F;etzt dem Gewichte ihrer Gru&#x0364;nde etwas<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;entlich oder unwi&#x017F;&#x017F;entlich hinzu &#x2014; wel-<lb/>
ches mei&#x017F;tentheils un&#x017F;re Leiden&#x017F;chaften und<lb/>
Ideen ohne un&#x017F;er Bewußt&#x017F;eyn thun &#x2014; und<lb/><hi rendition="#fr">illudirt</hi> &#x017F;ich, in &#x017F;o fern die&#x017F;es zur Ueberzeu-<lb/>
gung aus&#x017F;chlagende Etwas nicht die reine<lb/>
Wirkung i&#x017F;t. <hi rendition="#fr">Glauben</hi> kann man in die&#x017F;er<lb/>
Welt nie ohne Illu&#x017F;ion.</note><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[104/0110] dem Glauben an Vorſicht, Unſterblichkeit und Erhabenheit der Seele: ſetze deine Natur und alſo auch dich ſelbſt auf die hoͤchſte Staffel der Weſen, ruͤcke ſie der Gottheit nahe: weide dich an dieſen Schauſpielen der Ima- gination und der Empfindung: ſey mehr Geiſt als Thier, lebe mehr in der Idee als in der Wirklichkeit und kenne nichts auf der *) *) die Wirkung eines blinden Zufalls, andre als die Folge einer feſtgeketteten Nothwendigkeit, eines Fatums, andre als die abgezweckte An- ordnung einer nach Plan und Abſicht handeln- den Vorſicht vor: jede unter dieſen Vorſtel- lungsarten hat Gruͤnde fuͤr ſich, aber keine ſo viele, daß ſie die Beweiſe der uͤbrigen und alle Zweifel ganz vernichtete: es ſind Verſtellun- gen von dem Laufe der Welt, aus verſchiede- nen Geſichtspunkten genommen: wer nun un- ter dieſen eine fuͤr die einzige wahre haͤlt, der ſetzt dem Gewichte ihrer Gruͤnde etwas wiſſentlich oder unwiſſentlich hinzu — wel- ches meiſtentheils unſre Leidenſchaften und Ideen ohne unſer Bewußtſeyn thun — und illudirt ſich, in ſo fern dieſes zur Ueberzeu- gung ausſchlagende Etwas nicht die reine Wirkung iſt. Glauben kann man in dieſer Welt nie ohne Illuſion.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wezel_belphegor02_1776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wezel_belphegor02_1776/110
Zitationshilfe: Wezel, Johann Carl: Belphegor, oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wezel_belphegor02_1776/110>, abgerufen am 22.12.2024.