Wasser mit der Hand zu fangen: der Hun- ger trieb ihn an, daß er eine Fertigkeit wie- der versuchte, die er schon längst aufgegeben hatte, allein durch das Alter und die Unge- wohnheit waren seine Hände unsicher und unstät geworden, daß er also mit der äußer- sten Anstrengung in einem Tage kaum genug fieng, um sich und seiner Gesellschaft das Leben zu fristen, aber nicht um sie zu nähren. Oben drein mußte das Unglück ihren Jam- mer vermehren und den Alten, dessen schwächlicher Körper einen so kümmerlichen Unterhalt nicht ertragen konnte, in wenig Tagen sterben lassen. Was nun zu thun? -- Nichts als zu hungern oder zu sterben!
In dieser schrecklichen Verlegenheit mußte sich Belphegor bequemen, den Ton seiner Menschenfeindlichkeit um vieles herabzustim- men: so sehr er sonst vor dem Anblicke der Menschen flohe, so eifrig spähte er itzt an dem Rande seiner Insel, um vielleicht an dem entgegenstehenden Ufer menschliche Fi- guren zu entdecken, denen er durch Rufen und Zeichen verständlich machen könnte, daß hier einige von ihren Brüdern ihres Beystandes bedürften: er dünkte sich zwar
etwas
N 5
Waſſer mit der Hand zu fangen: der Hun- ger trieb ihn an, daß er eine Fertigkeit wie- der verſuchte, die er ſchon laͤngſt aufgegeben hatte, allein durch das Alter und die Unge- wohnheit waren ſeine Haͤnde unſicher und unſtaͤt geworden, daß er alſo mit der aͤußer- ſten Anſtrengung in einem Tage kaum genug fieng, um ſich und ſeiner Geſellſchaft das Leben zu friſten, aber nicht um ſie zu naͤhren. Oben drein mußte das Ungluͤck ihren Jam- mer vermehren und den Alten, deſſen ſchwaͤchlicher Koͤrper einen ſo kuͤmmerlichen Unterhalt nicht ertragen konnte, in wenig Tagen ſterben laſſen. Was nun zu thun? — Nichts als zu hungern oder zu ſterben!
In dieſer ſchrecklichen Verlegenheit mußte ſich Belphegor bequemen, den Ton ſeiner Menſchenfeindlichkeit um vieles herabzuſtim- men: ſo ſehr er ſonſt vor dem Anblicke der Menſchen flohe, ſo eifrig ſpaͤhte er itzt an dem Rande ſeiner Inſel, um vielleicht an dem entgegenſtehenden Ufer menſchliche Fi- guren zu entdecken, denen er durch Rufen und Zeichen verſtaͤndlich machen koͤnnte, daß hier einige von ihren Bruͤdern ihres Beyſtandes beduͤrften: er duͤnkte ſich zwar
etwas
N 5
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0205"n="199"/>
Waſſer mit der Hand zu fangen: der Hun-<lb/>
ger trieb ihn an, daß er eine Fertigkeit wie-<lb/>
der verſuchte, die er ſchon laͤngſt aufgegeben<lb/>
hatte, allein durch das Alter und die Unge-<lb/>
wohnheit waren ſeine Haͤnde unſicher und<lb/>
unſtaͤt geworden, daß er alſo mit der aͤußer-<lb/>ſten Anſtrengung in einem Tage kaum genug<lb/>
fieng, um ſich und ſeiner Geſellſchaft das<lb/>
Leben zu friſten, aber nicht um ſie zu naͤhren.<lb/>
Oben drein mußte das Ungluͤck ihren Jam-<lb/>
mer vermehren und den Alten, deſſen<lb/>ſchwaͤchlicher Koͤrper einen ſo kuͤmmerlichen<lb/>
Unterhalt nicht ertragen konnte, in wenig<lb/>
Tagen ſterben laſſen. Was nun zu thun? —<lb/>
Nichts als zu hungern oder zu ſterben!</p><lb/><p>In dieſer ſchrecklichen Verlegenheit mußte<lb/>ſich Belphegor bequemen, den Ton ſeiner<lb/>
Menſchenfeindlichkeit um vieles herabzuſtim-<lb/>
men: ſo ſehr er ſonſt vor dem Anblicke der<lb/>
Menſchen flohe, ſo eifrig ſpaͤhte er itzt an<lb/>
dem Rande ſeiner Inſel, um vielleicht an<lb/>
dem entgegenſtehenden Ufer menſchliche Fi-<lb/>
guren zu entdecken, denen er durch Rufen<lb/>
und Zeichen verſtaͤndlich machen koͤnnte,<lb/>
daß hier einige von ihren Bruͤdern ihres<lb/>
Beyſtandes beduͤrften: er duͤnkte ſich zwar<lb/><fwplace="bottom"type="sig">N 5</fw><fwplace="bottom"type="catch">etwas</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[199/0205]
Waſſer mit der Hand zu fangen: der Hun-
ger trieb ihn an, daß er eine Fertigkeit wie-
der verſuchte, die er ſchon laͤngſt aufgegeben
hatte, allein durch das Alter und die Unge-
wohnheit waren ſeine Haͤnde unſicher und
unſtaͤt geworden, daß er alſo mit der aͤußer-
ſten Anſtrengung in einem Tage kaum genug
fieng, um ſich und ſeiner Geſellſchaft das
Leben zu friſten, aber nicht um ſie zu naͤhren.
Oben drein mußte das Ungluͤck ihren Jam-
mer vermehren und den Alten, deſſen
ſchwaͤchlicher Koͤrper einen ſo kuͤmmerlichen
Unterhalt nicht ertragen konnte, in wenig
Tagen ſterben laſſen. Was nun zu thun? —
Nichts als zu hungern oder zu ſterben!
In dieſer ſchrecklichen Verlegenheit mußte
ſich Belphegor bequemen, den Ton ſeiner
Menſchenfeindlichkeit um vieles herabzuſtim-
men: ſo ſehr er ſonſt vor dem Anblicke der
Menſchen flohe, ſo eifrig ſpaͤhte er itzt an
dem Rande ſeiner Inſel, um vielleicht an
dem entgegenſtehenden Ufer menſchliche Fi-
guren zu entdecken, denen er durch Rufen
und Zeichen verſtaͤndlich machen koͤnnte,
daß hier einige von ihren Bruͤdern ihres
Beyſtandes beduͤrften: er duͤnkte ſich zwar
etwas
N 5
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Wezel, Johann Carl: Belphegor, oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wezel_belphegor02_1776/205>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.