Belphegorn zerstreute diese ruhige un- angefochtene Lebensart allmählich die düstern Wolken, die seine Widerwärtigkeiten um seine Seele versammelt hatten; er sahe die Dinge der Welt weniger schwarz, weil der Zirkel um ihn erheiterter war, und weil er sich ge- wöhnte, mehr das Gegenwärtige zu empfin- den als darüber nachzudenken, seinen Blick mehr in sich und den kleinen Umkreis seiner kleinen Bedürfnisse und Freuden zurückzu- ziehn und überhaupt den Horizont seines Nachdenkens mehr und mehr zu verengern, mehr finnlich als geistig, mehr empfinden- des und handelndes als denkendes Thier seyn zu wollen. Zu gleicher Zeit nahm er unvermerkt die gutherzige Philosophie seines Freundes, Medardus an, sich zu überre- den, daß alles gut sey, und daß vielleicht die größten Unordnungen der moralischen und körperlichen Natur zu einem unbekann- ten Guten abzwecken, nichts der Natur zur Last zu legen, zu glauben, daß sie ganz Nordamerika Jahrhunderte hindurch sich be- kriegen, fressen, schinden lassen kann -- Denn das konnte er sich nicht ausreden, daß die Natur die erste Urheberinn dieser
herge-
U 2
Belphegorn zerſtreute dieſe ruhige un- angefochtene Lebensart allmaͤhlich die duͤſtern Wolken, die ſeine Widerwaͤrtigkeiten um ſeine Seele verſammelt hatten; er ſahe die Dinge der Welt weniger ſchwarz, weil der Zirkel um ihn erheiterter war, und weil er ſich ge- woͤhnte, mehr das Gegenwaͤrtige zu empfin- den als daruͤber nachzudenken, ſeinen Blick mehr in ſich und den kleinen Umkreis ſeiner kleinen Beduͤrfniſſe und Freuden zuruͤckzu- ziehn und uͤberhaupt den Horizont ſeines Nachdenkens mehr und mehr zu verengern, mehr finnlich als geiſtig, mehr empfinden- des und handelndes als denkendes Thier ſeyn zu wollen. Zu gleicher Zeit nahm er unvermerkt die gutherzige Philoſophie ſeines Freundes, Medardus an, ſich zu uͤberre- den, daß alles gut ſey, und daß vielleicht die groͤßten Unordnungen der moraliſchen und koͤrperlichen Natur zu einem unbekann- ten Guten abzwecken, nichts der Natur zur Laſt zu legen, zu glauben, daß ſie ganz Nordamerika Jahrhunderte hindurch ſich be- kriegen, freſſen, ſchinden laſſen kann — Denn das konnte er ſich nicht ausreden, daß die Natur die erſte Urheberinn dieſer
herge-
U 2
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0311"n="305"/><p><hirendition="#fr">Belphegorn</hi> zerſtreute dieſe ruhige un-<lb/>
angefochtene Lebensart allmaͤhlich die duͤſtern<lb/>
Wolken, die ſeine Widerwaͤrtigkeiten um ſeine<lb/>
Seele verſammelt hatten; er ſahe die Dinge<lb/>
der Welt weniger ſchwarz, weil der Zirkel<lb/>
um ihn erheiterter war, und weil er ſich ge-<lb/>
woͤhnte, mehr das Gegenwaͤrtige zu empfin-<lb/>
den als daruͤber nachzudenken, ſeinen Blick<lb/>
mehr in ſich und den kleinen Umkreis ſeiner<lb/>
kleinen Beduͤrfniſſe und Freuden zuruͤckzu-<lb/>
ziehn und uͤberhaupt den Horizont ſeines<lb/>
Nachdenkens mehr und mehr zu verengern,<lb/>
mehr finnlich als geiſtig, mehr empfinden-<lb/>
des und handelndes als denkendes Thier<lb/>ſeyn zu wollen. Zu gleicher Zeit nahm er<lb/>
unvermerkt die gutherzige Philoſophie ſeines<lb/>
Freundes, Medardus an, ſich zu <hirendition="#fr">uͤberre-<lb/>
den,</hi> daß alles gut ſey, und daß vielleicht<lb/>
die groͤßten Unordnungen der moraliſchen<lb/>
und koͤrperlichen Natur zu einem unbekann-<lb/>
ten Guten abzwecken, nichts der Natur zur<lb/>
Laſt zu legen, zu glauben, daß ſie ganz<lb/>
Nordamerika Jahrhunderte hindurch ſich be-<lb/>
kriegen, freſſen, ſchinden laſſen kann —<lb/>
Denn das konnte er ſich nicht ausreden,<lb/>
daß die Natur die <hirendition="#fr">erſte</hi> Urheberinn dieſer<lb/><fwplace="bottom"type="sig">U 2</fw><fwplace="bottom"type="catch"><hirendition="#fr">herge-</hi></fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[305/0311]
Belphegorn zerſtreute dieſe ruhige un-
angefochtene Lebensart allmaͤhlich die duͤſtern
Wolken, die ſeine Widerwaͤrtigkeiten um ſeine
Seele verſammelt hatten; er ſahe die Dinge
der Welt weniger ſchwarz, weil der Zirkel
um ihn erheiterter war, und weil er ſich ge-
woͤhnte, mehr das Gegenwaͤrtige zu empfin-
den als daruͤber nachzudenken, ſeinen Blick
mehr in ſich und den kleinen Umkreis ſeiner
kleinen Beduͤrfniſſe und Freuden zuruͤckzu-
ziehn und uͤberhaupt den Horizont ſeines
Nachdenkens mehr und mehr zu verengern,
mehr finnlich als geiſtig, mehr empfinden-
des und handelndes als denkendes Thier
ſeyn zu wollen. Zu gleicher Zeit nahm er
unvermerkt die gutherzige Philoſophie ſeines
Freundes, Medardus an, ſich zu uͤberre-
den, daß alles gut ſey, und daß vielleicht
die groͤßten Unordnungen der moraliſchen
und koͤrperlichen Natur zu einem unbekann-
ten Guten abzwecken, nichts der Natur zur
Laſt zu legen, zu glauben, daß ſie ganz
Nordamerika Jahrhunderte hindurch ſich be-
kriegen, freſſen, ſchinden laſſen kann —
Denn das konnte er ſich nicht ausreden,
daß die Natur die erſte Urheberinn dieſer
herge-
U 2
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Wezel, Johann Carl: Belphegor, oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 305. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wezel_belphegor02_1776/311>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.