Was nützt es, daß itzt jedermann eilfertig nach seinem Vortheile läuft, rennt und an- dre wegstößt? Nimmt man diese unglückliche Geschäftigkeit der Welt, diese Mutter so un- zählbarer Uebel hinweg, müssen nicht als- dann alle die unseligen Leidenschaften weg- fallen, die itzt Menschen von Menschen tren- nen und selbst den empfindenden Zuschauer dieses allgemeinen Kampfjagens der Welt das Leben verbittern? Die Menschheit ist ge- wiß nichts dadurch gebessert, daß sie sich zu den gegenwärtigen Bequemlichkeiten und dem Ueberflusse der Europäer emporarbeitete, daß man nicht mehr Eicheln, sondern die man- nichfaltigen Schmierereyen der Mundköche genießt, daß man nicht mehr auf Stroh, fondern Matratzen oder Federbetten schläft, daß man statt des klaren Bachs in einen französischen oder venetianischen Spiegel sieht: gewiß im Grunde nichts gebessert, nichts glücklicher! Alles hierinne bestimmt die Gewohnheit: diese machte es, daß vormals englische Lords auf einem Schnee- ballen so sanft ruhten, als itzt ein englischer Zärtling auf dem seidnen Kopfküssen. Nach meinem Wunsche und meiner Einbildung
sollte
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Was nuͤtzt es, daß itzt jedermann eilfertig nach ſeinem Vortheile laͤuft, rennt und an- dre wegſtoͤßt? Nimmt man dieſe ungluͤckliche Geſchaͤftigkeit der Welt, dieſe Mutter ſo un- zaͤhlbarer Uebel hinweg, muͤſſen nicht als- dann alle die unſeligen Leidenſchaften weg- fallen, die itzt Menſchen von Menſchen tren- nen und ſelbſt den empfindenden Zuſchauer dieſes allgemeinen Kampfjagens der Welt das Leben verbittern? Die Menſchheit iſt ge- wiß nichts dadurch gebeſſert, daß ſie ſich zu den gegenwaͤrtigen Bequemlichkeiten und dem Ueberfluſſe der Europaͤer emporarbeitete, daß man nicht mehr Eicheln, ſondern die man- nichfaltigen Schmierereyen der Mundkoͤche genießt, daß man nicht mehr auf Stroh, fondern Matratzen oder Federbetten ſchlaͤft, daß man ſtatt des klaren Bachs in einen franzoͤſiſchen oder venetianiſchen Spiegel ſieht: gewiß im Grunde nichts gebeſſert, nichts gluͤcklicher! Alles hierinne beſtimmt die Gewohnheit: dieſe machte es, daß vormals engliſche Lords auf einem Schnee- ballen ſo ſanft ruhten, als itzt ein engliſcher Zaͤrtling auf dem ſeidnen Kopfkuͤſſen. Nach meinem Wunſche und meiner Einbildung
ſollte
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Was nuͤtzt es, daß itzt jedermann eilfertig
nach ſeinem Vortheile laͤuft, rennt und an-
dre wegſtoͤßt? Nimmt man dieſe ungluͤckliche
Geſchaͤftigkeit der Welt, dieſe Mutter ſo un-
zaͤhlbarer Uebel hinweg, muͤſſen nicht als-
dann alle die unſeligen Leidenſchaften weg-
fallen, die itzt Menſchen von Menſchen tren-
nen und ſelbſt den empfindenden Zuſchauer
dieſes allgemeinen Kampfjagens der Welt
das Leben verbittern? Die Menſchheit iſt ge-
wiß nichts dadurch gebeſſert, daß ſie ſich zu
den gegenwaͤrtigen Bequemlichkeiten und dem
Ueberfluſſe der Europaͤer emporarbeitete, daß
man nicht mehr Eicheln, ſondern die man-
nichfaltigen Schmierereyen der Mundkoͤche
genießt, daß man nicht mehr auf Stroh,
fondern Matratzen oder Federbetten ſchlaͤft,
daß man ſtatt des klaren Bachs in einen
franzoͤſiſchen oder venetianiſchen Spiegel
ſieht: gewiß im Grunde nichts gebeſſert,
nichts gluͤcklicher! Alles hierinne beſtimmt
die Gewohnheit: dieſe machte es, daß
vormals engliſche Lords auf einem Schnee-
ballen ſo ſanft ruhten, als itzt ein engliſcher
Zaͤrtling auf dem ſeidnen Kopfkuͤſſen. Nach
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Wezel, Johann Carl: Belphegor, oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wezel_belphegor02_1776/89>, abgerufen am 22.12.2024.
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