allein zu quälen, sondern jede Qual noch mit einer Bitterkeit zu begleiten, die stärker als die Qual selbst schmerzte. Er nahm ihr das Kind und übergab es sremden Händen, wo sie es ohne die ängstlichste Besorgniß nicht wissen konnte, da es unter den ihrigen die beste Erziehung, den nützlichsten Unter- richt hätte genießen können. Sie bat, sie flehte auf den Knieen: der Tyrann lachte. Sie fiel ihm um den Hals, sie badete sein Gesicht mit Thränen, sie beschwor ihn bey der Wohlfahrt seines Kindes, bey seiner eignen Glückseligkeit, sie nicht von ihrem eignen Herze zu trennen, das allzeit mit ihrem Kinde an Einem Platze wohnte. Der tückische Bösewicht verbarg die Empfindung, die ihm eine solche Bitte wider seinen Willen aufdrang: er verließ sie, gab zwar Befehl, ihr das Kind zu überliefern, wiederrief ihn aber gleich, ehe es noch gebracht wurde. Seine Launen waren gewiß die einzigen un- ter dem Himmel: er war ihr beständiges Spiel und wurde von ihnen von einer Ent- schließung zur andern herumgeworfen; ehe er eine ausführte, riß ihn eine andere hin, so eine dritte, und nach einem weiten Zirkel
kam
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allein zu quaͤlen, ſondern jede Qual noch mit einer Bitterkeit zu begleiten, die ſtaͤrker als die Qual ſelbſt ſchmerzte. Er nahm ihr das Kind und uͤbergab es ſremden Haͤnden, wo ſie es ohne die aͤngſtlichſte Beſorgniß nicht wiſſen konnte, da es unter den ihrigen die beſte Erziehung, den nuͤtzlichſten Unter- richt haͤtte genießen koͤnnen. Sie bat, ſie flehte auf den Knieen: der Tyrann lachte. Sie fiel ihm um den Hals, ſie badete ſein Geſicht mit Thraͤnen, ſie beſchwor ihn bey der Wohlfahrt ſeines Kindes, bey ſeiner eignen Gluͤckſeligkeit, ſie nicht von ihrem eignen Herze zu trennen, das allzeit mit ihrem Kinde an Einem Platze wohnte. Der tuͤckiſche Boͤſewicht verbarg die Empfindung, die ihm eine ſolche Bitte wider ſeinen Willen aufdrang: er verließ ſie, gab zwar Befehl, ihr das Kind zu uͤberliefern, wiederrief ihn aber gleich, ehe es noch gebracht wurde. Seine Launen waren gewiß die einzigen un- ter dem Himmel: er war ihr beſtaͤndiges Spiel und wurde von ihnen von einer Ent- ſchließung zur andern herumgeworfen; ehe er eine ausfuͤhrte, riß ihn eine andere hin, ſo eine dritte, und nach einem weiten Zirkel
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allein zu quaͤlen, ſondern jede Qual noch
mit einer Bitterkeit zu begleiten, die ſtaͤrker
als die Qual ſelbſt ſchmerzte. Er nahm ihr
das Kind und uͤbergab es ſremden Haͤnden,
wo ſie es ohne die aͤngſtlichſte Beſorgniß
nicht wiſſen konnte, da es unter den ihrigen
die beſte Erziehung, den nuͤtzlichſten Unter-
richt haͤtte genießen koͤnnen. Sie bat, ſie
flehte auf den Knieen: der Tyrann lachte.
Sie fiel ihm um den Hals, ſie badete ſein
Geſicht mit Thraͤnen, ſie beſchwor ihn bey
der Wohlfahrt ſeines Kindes, bey ſeiner
eignen Gluͤckſeligkeit, ſie nicht von ihrem
eignen Herze zu trennen, das allzeit mit
ihrem Kinde an Einem Platze wohnte. Der
tuͤckiſche Boͤſewicht verbarg die Empfindung,
die ihm eine ſolche Bitte wider ſeinen Willen
aufdrang: er verließ ſie, gab zwar Befehl,
ihr das Kind zu uͤberliefern, wiederrief ihn
aber gleich, ehe es noch gebracht wurde.
Seine Launen waren gewiß die einzigen un-
ter dem Himmel: er war ihr beſtaͤndiges
Spiel und wurde von ihnen von einer Ent-
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Wezel, Johann Carl: Belphegor, oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wezel_belphegor02_1776/93>, abgerufen am 22.12.2024.
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