Ich erstaunte, daß sie alles dies wissen konnte, und noch mehr, als ich in ihr -- meine S ** fand. Gütiger Gott! welche Begebenheit! Zu einer Zeit sie wieder zu finden, wo mein Herz schon ganz an ein andres geknüpft war! Die Liebe zu ihr war zwar durch die Länge der Zeit verdunkelt, aber ihr Andenken kehrte doch stark genug in mich zurück, um mich in einen Streit mit mir selbst zu versetzen. Ohne Anstand sprach sie mich, da sie meine Verlegenheit gewahr wurde, von meiner ersten Verbindung frey und kam mit mir überein, meine Liebe in Freundschaft zu ver- wandeln, die Alter und Zeit bey ihr von der ehemaligen Wärme zu einer kältern Gesetzt- heit herbeygebracht hätten. Sie begleitete uns eine kleine Strecke; in kurzem war ich mit meiner Lucie an Ort und Stelle und gleich darauf ihr Mann.
Ich hatte die Verwegenheit, in mein Va- terland nach einiger Zeit zurückzugehn, mich um Gelder zu bewerben, die ich dort zurück- gelassen und in den Händen meiner Anver- wandten glaubte: doch wie betrog ich mich! Der Sturm der Verfolgung hatte aufgehört zu wüten, aber sie wütete noch durch die
Gesetze.
Ich erſtaunte, daß ſie alles dies wiſſen konnte, und noch mehr, als ich in ihr — meine S ** fand. Guͤtiger Gott! welche Begebenheit! Zu einer Zeit ſie wieder zu finden, wo mein Herz ſchon ganz an ein andres geknuͤpft war! Die Liebe zu ihr war zwar durch die Laͤnge der Zeit verdunkelt, aber ihr Andenken kehrte doch ſtark genug in mich zuruͤck, um mich in einen Streit mit mir ſelbſt zu verſetzen. Ohne Anſtand ſprach ſie mich, da ſie meine Verlegenheit gewahr wurde, von meiner erſten Verbindung frey und kam mit mir uͤberein, meine Liebe in Freundſchaft zu ver- wandeln, die Alter und Zeit bey ihr von der ehemaligen Waͤrme zu einer kaͤltern Geſetzt- heit herbeygebracht haͤtten. Sie begleitete uns eine kleine Strecke; in kurzem war ich mit meiner Lucie an Ort und Stelle und gleich darauf ihr Mann.
Ich hatte die Verwegenheit, in mein Va- terland nach einiger Zeit zuruͤckzugehn, mich um Gelder zu bewerben, die ich dort zuruͤck- gelaſſen und in den Haͤnden meiner Anver- wandten glaubte: doch wie betrog ich mich! Der Sturm der Verfolgung hatte aufgehoͤrt zu wuͤten, aber ſie wuͤtete noch durch die
Geſetze.
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Ich erſtaunte, daß ſie alles dies wiſſen konnte,
und noch mehr, als ich in ihr — meine S **
fand. Guͤtiger Gott! welche Begebenheit!
Zu einer Zeit ſie wieder zu finden, wo mein
Herz ſchon ganz an ein andres geknuͤpft war!
Die Liebe zu ihr war zwar durch die Laͤnge
der Zeit verdunkelt, aber ihr Andenken kehrte
doch ſtark genug in mich zuruͤck, um mich
in einen Streit mit mir ſelbſt zu verſetzen.
Ohne Anſtand ſprach ſie mich, da ſie meine
Verlegenheit gewahr wurde, von meiner
erſten Verbindung frey und kam mit mir
uͤberein, meine Liebe in Freundſchaft zu ver-
wandeln, die Alter und Zeit bey ihr von der
ehemaligen Waͤrme zu einer kaͤltern Geſetzt-
heit herbeygebracht haͤtten. Sie begleitete
uns eine kleine Strecke; in kurzem war ich
mit meiner Lucie an Ort und Stelle und
gleich darauf ihr Mann.
Ich hatte die Verwegenheit, in mein Va-
terland nach einiger Zeit zuruͤckzugehn, mich
um Gelder zu bewerben, die ich dort zuruͤck-
gelaſſen und in den Haͤnden meiner Anver-
wandten glaubte: doch wie betrog ich mich!
Der Sturm der Verfolgung hatte aufgehoͤrt
zu wuͤten, aber ſie wuͤtete noch durch die
Geſetze.
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Wezel, Johann Carl: Belphegor, oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wezel_belphegor02_1776/99>, abgerufen am 22.12.2024.
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